Klaudine griff sich wild an die Stirn. »Herzensbund!« sagte sie bitter, »welch furchtbarer Hohn!«
Sie grübelte und grämte sich bis über Mitternacht hinaus, bis sich ihre Gedanken verwirrten. Der schrecklichste Tag ihres Lebens war vorüber. Was würde ihm nun noch folgen an Qual und Herzensleid?
26.
In der Frühe des folgenden Tages ward Klaudine durch einen Boten der Herzoginmutter, welche ihr einen köstlichen Blumenstrauß nebst einem Brillantring sandte, aus schwerem bleiernem Schlaf geweckt.
Es tat ihr weh, sich auf das Gestern besinnen zu müssen, und nur mit Anstrengung konnte sie sich erheben. Die Kammerfrau der Herzogin erschien, als sie eben angekleidet war, und beschied sie in das Krankenzimmer.
Mit müden Schritten trat sie über die Schwelle. Das ganze purpurrote Gemach war von Sonnenglanz erfüllt, am Lager seiner Gemahlin stand der Herzog mit den kleinen Prinzen, die beiden jüngsten hielten Rosen in den Händen, der älteste etwas anderes, das funkelte und blitzte. Der Herzog schritt ihr entgegen und küßte ihr die Hand.
»Nehmen Sie meinen und meiner Söhne innigsten Dank für Ihren freudigen Opfermut«, sprach er, indem er sie zum Bette führte. »Sehen Sie selbst, gnädiges Fräulein, er hat großes vollbracht!«
Die Herzogin streckte ihr die Hände entgegen, während der Erbprinz sich jubelnd an sie hing. »Ich habe ja immer gewußt«, sagte er, »Sie haben Mut, Fräulein von Gerold, und dies geben wir Ihnen, ich und mein Bruder, weil Sie Mama wieder gesund gemacht haben.«
Er reichte ihr ein kostbares Schmuckstück und die Händchen der anderen hielten ihr stumm die Rosen entgegen.
»Klaudine«, flüsterte die Herzogin.
Sie kniete in alter Gewohnheit am Bette nieder, aber der Kopf legte sich nicht wie sonst zutraulich an die Wange der Freundin, sie verharrte wie eine jener gemalten Beterinnen in der Schloßkirche, mit niedergeschlagenen Augen und unbeweglicher Miene. »O, warum denn Dank! Ich tat ja nichts«, sagte sie.
Die Herzogin gab, von ihr ungesehen, ihrem Gemahl ein Zeichen, sich zu entfernen. Leise trat er hinaus, die beiden ältesten Prinzen folgten ihm, nur das Kleinste blieb auf dem Bette sitzen und spielte mit den Rosen.
»Dank, Klaudine, tausendfachen Dank! Und nimm auch meinen treuesten Glückwunsch zu deiner Verlobung. Ich erfuhr sie vorhin durch Mama. Es hat mich überrascht, Klaudine. Warum sagtest du mir nie davon, daß du ihn liebst?«
Klaudine blieb stumm, dann erschrak sie. Wenn sie ihre Rolle so schlecht spielte, dann war ja die ganze Komödie vergeblich! Hier galt es also vor allen Dingen, sich mutig zu zeigen.
»Mir wurde es so schwer, darüber zu sprechen«, stammelte sie, »ich wußte ja nicht, ob er mich wiederliebt.«
Die Herzogin drückte ihr die Hand.
»Klaudine«, flüsterte sie, »weißt du – der Herzog dauert mich, denn er liebt dich!«
»Hoheit, nein!« rief das Mädchen, »er liebt mich nicht!«
»Doch, Klaudine«, versicherte die Kranke, »sieh, ich hatte ja einen Brief von ihm in den Händen – an dich.«
Klaudine fuhr empor. »Einen Brief? Ich habe nur einen von Seiner Hoheit erhalten, und der –«
»Pst!« flüsterte die Herzogin. »Ganz recht! Ich verstand ihn gestern nicht, heute erklärte mir Adalbert seine Bedeutung selbst. Er hat mir alles gesagt, es ist ihm nicht leicht geworden. Ich weiß alles, Klaudine, und er dauert mich, weil du ihm nun verloren bist.«
»Elisabeth!« stotterte das Mädchen, dem fast die Sprache versagte. »Es ist ein Irrtum Seiner Hoheit, und welcher Mensch –«
»Ja, ein Irrtum! Oh, ich verstehe, ich kann es begreifen, aber hier innen ist's so öde, so still geworden, Klaudine.« Sie legte einen Augenblick eine Hand auf die Brust und strich dann schmeichelnd über Klaudines Arm, der in der Binde hing.
»Elisabeth«, sprach diese, »du bist immer eine so fromme Natur gewesen, du richtest sonst so mild die Handlungen der Menschen. Willst du hier ein harter Richter sein?«
Die Herzogin schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe verziehen. Die kleine Spanne Zeit, die mir noch bleibt, soll freundlich verfließen. Ach, Klaudine, zum ersten Male, seit ich sein Weib bin, hat er heute früh mit mir gesprochen, wie ich es immer ersehnt habe, wachend und träumend. Herzlich und aufrichtig, mild und gut hat er gesprochen. Es kommt zu spät, ja, ja – aber es ist so schön, so süß, und deshalb habe ich ihm verziehen. Es ist nur noch ein Rest, so ein Rest dummer Eitelkeit in mir. Weißt du, ich wollte ihm immer gefallen und bedachte gar nicht, daß ich ein so elendes, krankes Geschöpf bin. Da habe ich mir rasch den Spiegel hier genommen und hineingeschaut, es tat ein bißchen weh zuerst, aber dann –«
Sie verstummte, und in ihren Augen schimmerte es feucht, während sie sich zum Lächeln zwang.
Klaudine konnte es nicht hindern, ihr rollten ein paar große Tränen über die Wangen.
»Er dauert mich so«, sagte die Herzogin noch einmal, »ich will gut und geduldig und liebevoll gegen ihn sein. Und wer mir noch leid tut«, fuhr sie fort, »das ist Helene – sie liebt deinen Bräutigam.«
»Ja!« hauchte das Mädchen.
»O du schönes, von Gott begnadetes Geschöpf du«, sagte die Kranke, »dem aller Herzen sich zuneigen! Wie mag es wohl sein, wenn man so geliebt wird?« Es klang so traurig, so hoffnungslos.
Klaudine stand auf und wandte sich zum Fenster. Sie durfte nicht zeigen, wie weh ihr war.
»Ich will dich nicht länger zurückhalten, Klaudine«, fuhr die Herzogin fort, »du hast so viele, viele Pflichten heute. Du mußt dich Mama als Braut vorstellen und deinem Kindchen als Mutter, und ihr werdet so viel zu sprechen haben, du und er. Geh, Klaudine, geh mit Gott!« Sie lächelte. Der kleine Prinz hatte ihr jauchzend das Spitzenhäubchen von dem dunklen Haar gezagen und brachte seinen geöffneten Mund an ihre blassen Lippen. Hastig wandte sie das Gesicht. »Mein Liebling«, hörte Klaudine sie flüstern, »Mama darf dich ja nicht küssen, Mama ist krank.«
Das erregte Mädchen vermochte kaum mit Fassung die durchsichtige Hand zu küssen und ruhig hinauszugehen. Sie sank in ihrem Zimmer auf einen Sessel und barg die weinenden Augen in den Händen. Verwundert schaute das Kammermädchen sie an. Das sollte eine Braut sein? Eine reiche, glückliche Braut, die da so blaß und finster saß? Die Zofe bückte sich und nahm ein Kästchen auf, das eben achtlos von dem Schoß ihrer Dame geglitten, es war beim Fallen aufgesprungen und den überraschten Augen der Dienerin sprühte es buntfarbig entgegen, ein wunderbares Halsband aus Brillanten. Klaudine beachtete es nicht, sie fühlte nur eines, sie würde die Verstellung, welche nun beginnen sollte, nicht ertragen.
Gedankenlos kleidete sie sich endlich um. Da das Kleid von gestern verdorben war, war sie genötigt, ein schwarzes Spitzenkleid anzulegen, welches sie mit ein paar Rosen aufputzen wollte. Diese aber, farblos wie ihr Gesicht, machten das dunkle Kleid nicht freundlicher, ebensowenig wie die weiße Armbinde, welche sich grell von dem Schwarz des Anzugs abhob. So ging sie am Arme Lothars in die Gemächer der alten Herzogin, wo beide dann be einem Frühstück, zu dem das Brautpaar von Seiner Hoheit befohlen wurde, die Glückwünsche des kleinen Hofstaates entgegennahmen.
Am frühen Nachmittag fuhr Lothar mit ihr in seinem Wagen nach Neuhaus. Die ganze Dienerschaft des Gutes war auf der Freitreppe versammelt und rief dem jungen Paar ein schallendes Hurra! entgegen. Beate stand mit ausgebreiteten Armen, in der rechten Hand einen Rosenstrauß, auf der Schwelle, neben ihr die alte Dörte, welche die Kleine im weißen Kleidchen auf ihren Armen tanzen ließ. Über Beates großes, lachendes Gesicht liefen die hellen Freudentränen.
»Dina, Herzenskind«, rief sie, das Mädchen an sich ziehend, »wer hätte das gedacht!« Und sie riß das Kind von dem Arm seiner Wärterin: »Da hast du eine Mutter, du Wurm! Und was für eine!« jubelte sie.