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Lothar wehrte der allzu lauten Freude mit einem Blick auf die stumme Klaudine.

»Sie kann Leonie ja nicht halten, Beate«, sagte er und gab das Kind der Wärterin zurück, um gleich darauf seine Braut in das nächste Zimmer zu führen. »Du quälst mir Klaudine heute nicht mit Fragen, sorgst jetzt für eine Erfrischung, Schwesterchen, und dann machst du mit uns eine Spazierfahrt nach Brötterode.«

»Aber, Lothar, da ist ja heute großes Konzert vor dem Kurhause.«

»Gerade deshalb, liebe Beate!«

Die Schwester ging kopfschüttelnd, ihre Befehle zu geben, und während sie sich rasch fertig machte, murmelte sie, ganz gegen ihre Gewohnheit, vor sich hin: »Ich denke, Brautleute sitzen immer am liebsten in einer einsamen Laube, und die, welche sonst von Natur nicht zu solchem Trara neigen, fahren am ersten Verlobungstage mittenhin unter die Lästermäuler!«

Sie begriff überhaupt heute noch nicht alles, ihr war noch von der geräuschvollen Abreise der durchlauchtigsten Damen ganz wirbelig zu Sinne, sie hatte auch in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan. Als gestern abend spät Lothar mit der Prinzessin allein angefahren kam, stand ihr vor Schreck das Herz einen Augenblick still. Ihre Blicke hatten zwar nur flüchtig des Bruders Gesicht gestreift, aber sie hatte es doch gewußt, der ist Bräutigam! Es lag so ein eigener Glanz darauf. Und die Prinzessin lief so eilends die Stufen empor.

»Die berichtet der Frau Mama jetzt ihr Glück«, hatte sie sich gedacht. – Und da rief Lothar sie in sein Zimmer, und als sie hereinkam, lehnte er an seinem Gewehrschrank. »Schwester Beate«, sagte er, »ich habe mich verlobt.«

Sie hatte ihm die Hand gedrückt und ihn herzlich auf den Mund geküßt. »Ich gratuliere dir, Lothar.« »Und du freust dich gar nicht, Beate?«

»Lothar«, hatte sie gesagt, »man denkt immer, wenn ein Bruder heiratet, man müsse eine Schwester bekommen, aber –« und sie hatte gutmütig gelächelt, »du kannst dir doch unmöglich deine Beate neben der Prinzessin als Schwester vorstellen? Wir würden nebeneinander sein wie so ein gutes, braves Haushuhn und ein Goldfasan, gelt? Aber das ist Nebensache, wenn du nur glücklich wirst.«

»Ich habe die Absicht, es zu werden. Und wenn auch ein Schwan nicht besser passen mag zum Haushuhn als ein Goldfasan, so hoffe ich doch, daß sich diese beiden, ins Menschliche übertragen, ganz leidlich füreinander schicken werden. Ich habe mich nämlich mit Klaudine verlobt, du kluge Schwester.«

Mit Klaudine! Nun, da ließ sich ihrer Klugheit doch wahrlich nicht spotten, wenn man es so heimlich anfing! »Gott sei gedankt!« hatte sie gesagt, als sie sich von dieser Überraschung allmählich erholte. »Da setze dich hin und erzähle!«

Er hatte auch erzählt, alles mögliche – von der Operation und der Gefahr der Kranken, von Klaudines Mut und Opferwilligkeit – alles, nur nicht das, was sie hören wollte. Und sie hatte nicht weiter geforscht.

Nun holte sie ihren allermodernsten Hut hervor, und dachte, indem sie ihn aufsetzte, an die Abreise heute früh und an die schreckliche Szene in der Kinderstube. Die kleine Leonie lag nach dem Bade schlafend im Bettchen. Da war Ihre Durchlaucht Prinzeß Thekla erschienen, fix und fertig zur Abreise, hinter ihr Frau von Berg, und hatte nichts mehr und nichts weniger verlangt als das Kind! Die alte Dörte hatte sich darauf mit ausgebreiteten Armen vor das Bettchen gestellt und erklärt, das müßte der Herr ihr erst selbst sagen, daß die Kleine mit der Großmutter abreisen solle! Durchlaucht vergaßen sich aber in diesem Augenblick so weit, daß sie die alte Bäuerin höchst eigenhändig an die Seite zu schieben versuchten. Allein so ein derbes Weib steht fest an seinem Platz.

»Das mag Gott mir verzeihen«, hatte die Alte gesprochen, indem sie den fürstlichen Händen energisch wehrte, »daß ich so den Respekt vergesse gegen eine, die zu unserem durchlauchtigen Herzogshause gehört! Aber er wird mir verzeihen, ich tue meine Pflicht, ich lasse meinem Herrn nichts stehlen.«

»Einfältige Person«, hatte Frau von Berg gescholten, »wer will denn stehlen? Ihre Durchlaucht ist die Großmutter des Kindes.«

»Mein Herr mag's mir selbst sagen!« war die Gegenrede gewesen.

»Ihr Herr ist ja nicht zu Hause, nehmen Sie Vernunft an!«

Aber auch das half nichts, Dörte hatte den Ellenbogen in die Seite gestemmt und war auf ihrem Posten geblieben. Plötzlich war es ihr gelungen, den altmodischen Glockenzug zu erwischen – manch ungeduldiges Läuten mochte von dort schon erklungen sein, aber so wie heute wohl noch nie.

Die Kinderstubenklingel war im ganzen Hause bekannt. In diesem Zimmer hatten der alte Herr und die Frau krank gelegen und waren hier gestorben – kein Wunder, daß alle Welt dachte, es sei ein Unglück geschehen, und daß Lothar, der eben von seinem morgendlichen Ritt in die Felder zurückgekommen war, allen voran den Flur entlang gejagt war, Beate hinter ihm drein, und daß von allen Seiten die Dienerschaft hinzustürzte.

»Was geht hier vor?« war seine erste Frage gewesen. Er schien seinen Augen nicht zu trauen, als er Ihre Durchlaucht erblickte, die sich beim Frühstück wegen ihrer Kopfschmerzen hatte entschuldigen lassen und die nun dort stand mit hochrotem Gesicht und mit gebieterischer Stimme sprach: »Ich wünsche meine Enkelin mit mir zu nehmen, und diese Person –«

»Ah! Durchlaucht glaubten, ich sei so versunken in mein Bräutigamsglück, daß ich die Stunde der Abreise vergessen würde? Oder vielmehr, Durchlaucht wollten mein Nachhausekommen nicht abwarten und mit einem früheren Zug abreisen? Deshalb die Wagen vor der Auffahrt? Und Durchlaucht wünschen die Enkelin mitzunehmen« – seine Stimme hatte geklungen wie fernes Wettergrollen – »ohne meine Erlaubnis vorher einzuholen? Mit welchem Rechte, wenn ich fragen darf?«

»Sie ist das Kind meiner Tochter!«

»Und das meine! Das Recht des Vaters dürfte doch wohl etwas über dem Recht der Großmutter stehen, Durchlaucht.«

»Nur auf wenige Monate, Gerald«, hatte die Prinzessin eingelenkt, die jetzt wohl zu der Einsicht kam, daß sie in ihrem Groll eine Torheit begangen hatte.

»Nicht auf eine Stunde!« rief er, und eine auffallende Blässe hatte sich auf sein Gesicht gelegt. »Dies Kind will ich bewahren vor dem Gifthauch, der da draußen weht und die reinsten Blüten aussucht, um sie zu verderben. Meine Tochter soll erzogen werden, wie es einst Sitte war im Hause meiner Vorfahren, einfach, natürlich und vornehm denkend. Und hier wird es geschehen, hier in Neuhaus, Durchlaucht, unter meiner und meiner künftigen Gattin eigener Aufsicht!« Und er hatte rasch die Vorhänge des Bettchens zurückgeschlagen, in dem die Kleine mit erschrockenen Augen lag. »Wenn Durchlaucht Abschied nehmen wollen?« – hatte er kühl hinzugesetzt.

Die Prinzessin war einen Augenblick zu der Wiege getreten, die Stirn des Kindes mit ihren Lippen berührend, und dann ohne ein weiteres Wort durch den Flur nach der Halle hinausgerauscht, wo Prinzeß Helene, mit der Hofdame und dem Kammerlierrn, der Mutter harrte. Die alte Durchlaucht war eingestiegen, mit dem verbindlichsten Lächeln auf den Lippen, Beate, die sich tief verbeugte, hatte aber doch kaum ein herablassendes Kopfneigen für ihre wochenlange Gastlichkeit bekommen. Lothar saß den Durchlauchten gegenüber, wie damals, als er sie holte. Als die Pferde anzogen, war aus zwei dunklen Mädchenaugen ein langer Blick über das alte Haus geglitten, so voll bitterer Enttäuschung, so voll schmerzlicher Reue, daß Beate trotz aller Erleichterung vor Mitleid das Herz geschwollen war. Arme, kleine, trotzige Prinzessin!

Beate ertappte sich darüber, daß sie da noch immer vor dem Spiegel stand und an den Hutbändern knüpfte. Sie seufzte tief auf. Gottlob, es war Friede im Hause! Dort oben wehte die kräftige Waldluft den letzten Hauch von dem durchdringenden Parfümgeruch aus dem Zimmer der Frau von Berg, und die Hausmädchen hatten längst die Scherben eines kostbaren Kristallglases fortgeräumt, das die alte Prinzessin in ihrem Jähzorn gegen den Kachelofen geschleudert hatte. Auf dem Rasenplatz wurden die Betten gelüftet. Morgen würde alles sein wie früher – gottlob!