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»Verzeiht mir«, sprach sie mit heller Summe, als sie ein paar Minuten später in das Wohnzimmer trat, wo Klaudine durch das Fenster blickte, während Lothar gedankenvoll vor dem Bilde seines Vaters stand, um die ganze Zimmerlänge entfernt von seiner Braut. »Verzeiht, ich komme etwas spät. Man hat euch doch den Kaffee gebracht? Nun, ich wäre bereit zur Fahrt!«

Lothar ging erst jetzt gemessen auf seine Braut zu und bot ihr den Arm wie auf einem Hofbalclass="underline" »Eine Fahrt in der freien Luft wird Ihnen gut tun, Klaudine.«

Wie? Sie nannten sich nicht einmal »du!« Beate fing an, sich wirklich zu ärgern über diese förmlichen Menschen.

»Bitte, Lothar«, erwiderte Klaudine, »geben Sie Befehl, nach der Fahrt am Eulenhause zu halten. Ich sehne mich nach Ruhe – ich fühle mich noch matt.«

»Ja, natürlich! Wir müssen doch noch Joachim einen Brautbesuch machen«, war die Antwort.

Es war eine recht stille Fahrt. Als der Wagen den Abhang hinunterrollte dem Tale zu, aus dem die roten Dächer dss kleinen Badeortes schimmerten, lehnte sich Klaudine seufzend zurück. Auch das noch! Sie hatte es geahnt, er wollte sie zeigen – als seine Braut.

Von dem Kurhause schallten die Klänge eines Walzers herüber, als sie in die Allee einbogen. Auf dem freien Platze, in dessen Mitte der Musiktempel sich erhob, standen zahlreiche Tischchen, mit rot und weißen Decken belegt. Die ganze vornehme Kurgesellschaft saß dort plaudernd an einer riesigen Tafel, die der Oberkellner mit Argusaugen hütete, damit ja kein Unwürdiger sich an ihr niederlasse.

Heute war keiner der Sitze leer, und die Unterhaltung, so lebhaft wie lange nicht, betraf die gestrigen Ereignisse in Altenstein. Die Mär von der Ungnade der Herzoginmutter gegen ihren früheren Liebling war auf aller Lippen, natürlich entstellt, nicht zum Wiedererkennen vergrößert und verschlimmert. Nach der einen Lesart sollte die alte Herzogin Klaudine geboten haben, sofort das Schloß zu verlassen, die andere wußte von zurückgezogener Pension, ein dritter behauptete, die schöne Gerold habe es zu erzwingen gewußt, daß sie noch bei Tafel erscheinen durfte, und betont, daß der Herzog der Regierende und der allein Befehlende sei.

Oh, unglaublich! Und dazu der Blutsturz der Herzogin! Die arme Frau, die arme Frau! Vor Kummer und Aufregung natürlich!

Dem Herzog konnte man ja schließlich das Abenteuer nicht einmal übelnehmen, wenn Klaudine so leichtsinnig war. Man zuckte die Achseln und lächelte über die arme, betrogene Frau, die geglaubt hatte, eine Freundin an ihr zu besitzen.

»Oh, schauderhaft!« klagte eine ältere Baronin. »Wie es wohl herausgekommen ist?«

»Wie nur Baron Gerold diese Sache auffaßt? Er sah aus wie eine Leiche, als die alte Herzogin die Gerold so abfallen ließ.«

Ein Gewirr von Stimmen erhob sich auf diese Worte. Aber auf einmal ward es still, irgendwer hatte gesagt: »Das ist ja der Neuhäuser Wagen!«

Man gab sich den Anschein, als ob man über irgend etwas anderes angelegentlich spräche. Die Damen wandten sich zu einander und bewegten die Fächer, aber aller Augen waren dorthin gerichtet, wo das Gefährt sich näherte. Die schönen Rappen vor dem Wagen tänzelten unter den Klängen des Walzers daher, Kutscher und Diener auf dem Bock leuchteten in tadellosen blaugelben Livreen, und da im Rücksitz?

An der langen Tafel flogen plötzlich sämtliche Hüte von den Köpfen, die Herren waren aufgesprungen, die Damen grüßten und nickten liebenswürdig.

Was, um Gottes willen, Klaudine von Gerold – den Arm in der Binde, neben Fräulein Beate? Und ihr gegenüber der Baron? Langsam, sehr langsam fuhr jetzt der Wagen vorbei und hielt vor der Tür des Kurhauses.

Zwei Herren der Gesellschaft stürzten herbei, ein junger Husarenoffizier und der schwermütige Gesandtschaftsattaché. Der Leutnant wollte sich nach dem Befinden der Herzogin erkundigen, seiner hohen Tischnachbarin von dem Neuhäuser Feste, und da er wohl annehmen dürfe, Fräulein von Gerold sei am besten unterrichtet, so – und so weiter. Der Gesandtschaftsattache hatte andere Absichten, er kam auf den geflüsterten Wunsch Ihrer Exzellenz: »Man müsse doch wissen, was das zu bedeuten habe –«

»Die Herzogin befindet sich besser«, erwiderte Klaudine freundlich.

»Aber, gnädiges Fräulein scheinen verletzt?« fragte der Attache und drehte den Schnurrbart.

»Eine kleine, unbedeutende Verletzung, Herr von Sanders«, nahm Lothar das Wort. »Ich denke, meine Braut wird den Arm bald wieder – O Verzeihung! Ich vergaß zu sagen, daß Sie hier ein nagelneues Brautpaar vor sich sehen. Wir verlobten uns gestern abend. Eine Überraschung, nicht wahr, meine Herren?«

Er drückte sich mit den Herren die Hände, und Glückwünsche und Dankesworte flogen hin und her. Klaudine trank indes und gab das Glas zurück.

»Weiterfahren!« befahl jetzt Lothar, zog den Hut vom Kopf und, verbeugte sich gemessen gegen die Herrschaften um den Tisch. In den nächsten Minuten hatte der jetzt rasch dahinrollende Wagen den einsamen Waldweg erreicht.

Dort an dem Tische vor dem Kurhause schwiegen plötzlich sämtliche Zungen. Erst ganz allmählich faßte man sich. Oh, wie das jetzt anders klang!

»Nun«, erklärte die alte Exzellenz würdevoll, »ich habe es ja gleich gesagt, an all dem Gerede war nichts!«

»Ach Gott, es wird so viel gesprochen«, seufzte die gefühlvolle Baronin. »Wer hat es denn eigentlich aufgebracht?«

»Antonie von Bohlen hat es mir heute geschrieben«, sagte eine der hübschen Komtessen Pausewitz, »doch ich sollte nicht darüber sprechen.«

»Aber so erzähle doch!« rief die Gräfinmutter, ärgerlich über diese Diskretion.

»Klaudine Gerold hat sich die Pulsader aufschneiden lassen, weil die Herzogin dem Verbluten nahe war, und da ist ihr Blut in die Adern der Herzogin geleitet worden«, berichtete die Komtesse. »Antonie schreibt, ohne das wäre die Herzogin gestorben. O Gott, o Gott, es ist schauderhaft, ich hätte es nicht gekonnt.«

»Himmel, wie schrecklich!« riefen sämtliche Damen.

»Wie mutvoll! Das ist Rasse!« sagte der kleine Offizier mit funkelnden Augen.

»Tausend Wetter, das ist zum Verlieben!« rief Seine Exzellenz und bekam dafür einen verweisenden Blick von seiner Frau Gemahlin.

»Sie sah wunderbar schön aus«, flüsterte der Schwermütige noch melancholischer als gewöhnlich. »Dieser beneidenswerte Gerold!«

»Er hat übrigens seinen Abschied eingereicht«, erzählte der Husarenoffizier, »er will seine Güter selbst bewirtschaften.«

»Was hast du noch, Lolo?« ermunterte die Gräfin ihre Tochter.

»Oh, sie hat so viele Brillanten bekommen«, erzählte eifrig die Komtesse, »und die alte Hoheit hat sie gepflegt wie eine Tochter und sie geherzt und geküßt.«

»Ah, reizend!«

»Wann sie wohl heiraten werden?«

»Sie leben jedenfalls im Winter in der Residenz.«

So ging es weiter. Im innersten Herzen gönnte keines dieser Klaudine das Glück, aber keines wagte, mit einem Wörtchen den Ruf von Baron Gerolds Braut anzutasten. Es rauschte so ganz anders jetzt in den Bäumen der Waldfrische, und die Damen beschlossen einmütig, der jungen Braut einen prachtvollen Blumenkorb zu spenden als ein Zeichen ihrer Dankbarkeit für die Rettung der geliebten Herzogin.

Indessen war das Brautpaar vor dem Eulenhause angelangt. Gärtchen und Gebäude lagen friedlich im Abendsonnenschein und die durchbrochenen Rosetten der Klosterruine schimmerten rosig angehaucht. Klaudines schönes Gesicht ward plötzlich von einer peinvollen Angst belebt. Dort war ja die alte, rundbogige Haustür bekränzt mit Girlanden aus Spargelkraut und Rosen!

»Lothar«, flüsterte sie und berührte leicht seinen Arm beim Aussteigen, »ich bitte, nein, ich verlange von Ihnen – kehren Sie heim mit Beate, ich will Joachim erst vorbereiten. Ich kann hier nicht Komödie spielen, es geht über meine Kräfte.«

Er kämpfte sichtlich mit einem Entschluß, aber ein Blick in die verzweifelten blauen Augen hieß ihn nachgeben. Er erwiderte kein Wort, er wandte sich nur und bat Beate, sitzen zu bleiben. Bis zur Haustür, wo die kleine Elisabeth ihr jubelnd entgegenlief, begleitete er sie und küßte ihr die widerstrebende Hand.