Выбрать главу

»Wann wünschen Sie den Wagen nach Altenstein, heute abend?« sagte er. »Sie gestatten selbstredend, daß ich Sie hinüberbegleite?«

Sie drehte sich eben in der Haustür um und nickte Beate abschiednehmend zu.

»Ich danke Ihnen, Lothar«, klang es nun leise, aber bestimmt, »ich kehre nicht nach Altenstein zurück, ich bleibe hier. Ich werde die Herzogin hiervon benachrichtigen. Sie glauben es nicht?« fuhr sie müde lächelnd fort, »ich versichere Sie, ich habe tatsächlich nicht die Kräfte zu diesem Spiel. Ich versuchte ja heute tapfer meine Pflicht zu tun, nicht wahr? Haben Sie Mitleid mit mir!«

Sie neigte ernst den Kopf und ging ins Haus.

Fräulein Lindenmeyer kam ihr entgegen. Die Alte fiel in freundlicher Hast beinahe über ihre Stubenschwelle. Sie hatte die rotbebänderte Haube auf und breitete beide Arme aus.

»Ach, gnädiges Fräulein, welch ein Glück!« rief sie weinend vor Freude. »O, wir wissen es schon, wir wissen es! Des alten Heinemann Enkelin war da, sie hat es brühwarm hergebracht. Warum kommt der Herr Bräutigam nicht mit?«

Klaudine mußte sich umarmen und küssen lassen, dem herbeigeeilten Heinemann die Hände schütteln und Idas Glückwünsche entgegennehmen. Ganz betäubt stieg sie endlich die Treppe empor. Wie schwer war doch dies alles!

Joachim sah von seinem Hefte auf, als sie eintrat. Er brauchte erst ein paar Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzukehren. Dann sprang er auf, trat rasch zu ihr und hob ihren Kopf in die Höhe. »Meine tapfere kleine Schwester – und als Braut? Sieh mich an, mein Liebling«, bat er.

Aber sie hob die Wimpern nicht, von denen jetzt große Tropfen fielen. »Ach Joachim, Joachim!« schluchzte sie.

Er streichelte ihr über das weiche seidige Haar.

»Weine nicht«, sagte er, »sprich lieber, was haben sie dir getan da draußen?«

Und da brach er los, der Sturm der Verzweiflung, schrankenlos, unaufhaltsam. Sie schonte sich nicht, sie verhehlte, bemäntelte nichts von der Demütigung, die erbarmungslos über sie gekommen war, gegen die ihr Stolz sich ohnmächtig auflehnte. »Und Joachim«, schluchzte sie wild auf, »das schrecklichste ist, daß ich ihn liebe, liebe, wie nur ein Mädchen lieben kann, seit Jahren schon! An dem Tage, da er neben Prinzeß Katharine am Altar stand, habe ich gemeint, ich könne nicht weiterleben, und jetzt wirft mir das Schicksal hohnlachend das ersehnte Glück in den Schoß und sagt: »Da – aber behutsam! Es ist nur Goldschaum, der darauf klebt, es ist nicht echt. Da hast du, um was du gebetet und geweint hast, jahrelang!« – Glaube mir, er hat mich an sich genommen, so etwa wie er das Silbergeschirr auf der Versteigerung erstand, um jeden Preis, weil er lieber sterben würde, ehe er duldete, daß an dem Namen Gerold ein Makel haftet. Er hat mich an sich gezogen – der Familienehre halber, um weiter nichts, nichts!«

Sie schwieg erschöpft, aber das bittere leidenschaftliche Schluchzen dauerte fort.

Joachim antwortete nicht. Noch immer lag seine Hand auf ihrem blonden Haar. Endlich sagte er mild: »Und wenn er dich doch liebte?«

Sie stand plötzlich auf den Füßen.

»O mein Gott!« sprach sie, und auf ihrem verweinten Gesicht drückte sich etwas wie Mitleid aus. »Nein, du argloser guter Mensch, er liebt mich nicht!«

»Aber wenn er es doch täte! Er ist niemals einer von denen gewesen, die Gefühle zu heucheln verstanden. Du weißt, er hätte sich von je lieber die Zunge abgebissen, ehe er ein unwahres Wort redete. Immer war er so, Klaudine.«

»Ja, gottlob!« rief sie flammend und richtete sich hoch auf, »das hat er auch nicht gewagt! Du denkst, Lothar hätte um mich geworben mit Liebesheucheln? O nein, unwahr ist er nicht. Und als ich ihm die Komödie vorschlug, da fiel es ihm nicht ein, zu beteuern, daß er etwa sehr betrübt sein werde, wenn wir uns später trennen. Nein, ehrlich ist er – bis zum Verletzen ehrlich!« Sie schien sich plötzlich zu fassen. »Du Armer«, sagte sie weich, indem sie des Bruders Hand ergriff, »so störe ich deine Arbeit mit meinen bösen Nachrichten. Ertrage mich, Joachim, ich werde ruhiger werden, ich will nun wieder dein Hausmütterchen sein, dein guter Kamerad. Daß ich doch nie hinausgegangen wäre! Und allmählich werde ich alles, alles überwinden, Joachim!«

Sie küßte ihn auf die Stirn und ging in ihr Stübchen, dessen Tür sie hinter sich verriegelte.

Wie frisches kühles Quellwasser wirkte die Ruhe dieses eigenen kleinen Heims auf ihre Seele. Sie ging von Möbel zu Möbel, als müsse sie jedes einzelne begrüßen, und stand endlich still vor dem Bilde der Großmutter.

»Du warst eine so kluge alte Frau«, flüsterte sie, »und welch törichte Enkelin hast du erzogen! Sie bezahlt die zu spät erworbene Klugheit mit ihrem Lebensglück!«

Dann legte sie mühsam das Spitzenkleid ab, hüllte sich in ein einfaches graues Hauskleid, setzte sich still ans Fenster in den alten Lehnstuhl und schaute in den dämmerigen Abend hinaus.

 

Unten in der Wohnstube schlich inzwischen die kleine Elisabeth betrübt um den freundlich gedeckten Tisch, er sah doch schön aus mit der rosengefüllten Porzellanschale in der Mitte, den kunstvoll gebrochenen Servietten und den rosenumkränzten Stühlen für das Brautpaar. Und gar der schöne Kuchen, von Ida selbst gebacken! Der dicken Wachspuppe hatte die Kleine ein neues blaues Kleid angezogen. Wo blieben sie denn nur alle so lange?

Sie lief hinunter in Fräulein Lindenmeyers Stube. »Wann ist denn endlich Hochzeit?« fragte sie ungeduldig. Sie hatte gemeint, die festliche Vorbereitung bedeute schon die Hochzeit.

»Ach, mein Liebling«, seufzte das alte Fräulein und sah kopfschüttelnd zu Ida hinüber.

War das auch ein Brautpaar, das am ersten Verlobungstage nicht einmal zusammenblieb? Oder sollte das eine neue Mode sein? Zu ihrer Zeit war das anders gewesen, da mochte man sich gar nicht trennen und saß beieinander und sah sich in die Augen. Sie seufzte.

»Räume ab, Ida«, flüsterte sie, »die Wespen kommen in die Stube nach dem Kuchen, er wird nur trocken. Ach, unsere duftigen Kränze! Das ist das Los des Schönen auf der Erde! Ida, Ida, mir ist ganz unheimlich zumute!«

»Elisabeth möchte Kuchen haben«, sagte die Kleine und trippelte hinter dem Mädchen hinaus.

27.

Der erste Schnee in den Bergen! Dort oben fällt er früh. In der Ebene fliegen vielleicht noch die Sommerfäden, da flimmert und stiebt es schon hier oben und liegt duftig weiß und glitzernd auf den Tannen. Dann ist es behaglich in den Häusern der Menschen, die großen Kachelöfen tun ihre Schuldigkeit und die Fenster sind mit grünem Moos umkränzt, daß der kalte Wind keine noch so kleine Öffnung findet, ins Innere zu dringen. Köstlich ist es dann besonders abends, wenn die Lampe über dem Tische schaukelt und ihr Licht auf spiegelndes Teegerät fällt.

Aber so heimlich warm, so wohnlich, so altväterlich behaglich war es doch nirgends in dem ganzen Gebirge, wie in der Wohnstube des Neuhäuser Schlosses. Draußen flimmerte und stiebte es, hier innen brannte die Lampe auf der Platte des altmodischen Schreibtisches.

Beate schrieb:

»Also, dies wären die Wirtschaftsfragen gewesen, Lothar, jetzt zu den Herzensangelegenheiten! Ich war vorhin im Eulenhause und traf Klaudine in der Wohnstube, sie gab der kleinen Elisabeth Unterricht. Ich möchte Dir ja gern etwas besonders gutes schreiben diesmal, aber es ist immer das nämliche. Sie spricht nie von Dir, und wenn ich davon anfange, so erhalte ich keine Antwort, wenigstens keine, die mich befriedigt. Sie zeigt nur ein Interesse, und zwar das an dem Befinden der Herzogin. Sie lebt wie eine Nonne und sieht bleich aus zum Erbarmen, ihre einzige Abwechslung sind stundenlange einsame Spaziergänge. Joachim, der Egoist, scheint es nicht zu bemerken oder will es nicht sehen. Ich habe ihm aber heute den Star gestochen. Er brachte gerade wieder ein dickes Manuskript, das Klaudine abschreiben sollte, ich nahm es ihr vor der Nase weg und sagte: »Wenn Sie erlauben, besorge ich das, Sie überbürden ja das arme Mädchen« – Du weißt, sie hat die Ida abgeschafft und tut alles allein, kocht, näht und plättet, und nicht etwa schlecht! Da soll sie nun neben den Haushaltungsgeschäften noch wie ein Bogenschreiber fronen und ihre Augen vollends verderben. Als ob die nicht vom Weinen genug gelitten hätten!