Er kam eben mit einem Armvoll kleingespaltenen Holzes von den Ruinen her, und drunten durch die offene Glastür der Wohnstube klang die tiefe Brummstimme der großen Wanduhr herauf und schlug elfmal an. Es war Zeit, an den Herd zu treten.
»Arbeit schändet nicht!« sagte Heinemann bald darauf in der Küche mit einem Seitenblick nach der rußigen Pfanne, welche Klaudine auf den Herd stellte. »Nein, ganz und gar nicht, und ein paar Rußfleckchen verschimpfieren feine Finger auch nicht, so wenig wie es an meinen weißen Narzissen kleben bleibt, daß sie aus der schwarzen Erde gekrochen sind. Aber so vom Herzogshofe weg geradewegs ans Küchenfeuer, just so, als sollten meine schönen Gloxinien auf einmal im Holzstall oder auf dem Hühnerhofe kampieren, ach, die armen Dinger! – Dazu gehört was, es würgt mir an der Kehle, wenn ich die Plackerei so mit ansehe. Ja, wenn es noch sein müßte! Aber es muß nicht sein, absolut nicht – das weiß ich besser! Und Sparen ist auch eine schöne Sache, ei ja! Ich jage ja meine paar Pfennig auch nicht durch die Gurgel, Gott bewahre! Aber alles was recht ist, gnädiges Fräulein!« Er warf einen schelmischen Blick auf das dünne Butterscheibchen, das Klaudine in die Pfanne gelegt hatte, um ein paar Tauben zu braten. »Das ist ja wie für 'nen Kartäuser!« Er schüttelte den Kopf. »Nein, so knapp braucht's bei uns doch nicht herzugehen, so knapp nicht! Wir haben mehr, als Sie denken, gnädiges Fräulein!«
Er sagte das letztere auffallend langsam, mit nachdrücklicher Betonung. Die junge Dame sah mit großen Augen nach ihm hin. »Sie haben wohl einen Schatz gefunden, Heinemann?« fragte sie lächelnd.
»Je nun, wie man's nimmt«, meinte er den Kopf wiegend, und um seine Augenwinkel erschienen zahllose Fältchen, aus denen etwas wie verheimlichtes Glück lachte. »Gold und Silber freilich nicht – du lieber Gott, blind könnte sich der Mensch in dem Trümmerhaufen gucken und fände doch nicht das kleinste Flinkerchen! Nein, damit ist's nichts! Das ist alles der Mordbrennergesellschaft von dazumal an den Fingern hängen geblieben – haben sie doch gar dem Jesukindchen das bißchen Goldsachen von seinem Seidenrock gerissen! Aber muß es denn gerade ein Spartopf oder so was wie Silberkannen oder Abendmahlskelche sein? Sehen Sie, zum Kloster hat einmal viel Land gehört. Von außen her sind Klosterjungfern eingetreten, die Hab und Gut, meist liegende Gründe, mit eingebracht haben, und das ist alles zu Klosterhöfen gemacht worden. Da hat's Zehnten an Korn, Federvieh, Honig und Gott weiß was noch, die schwere Menge gegeben, und die Klosterhöfe sind gut bewirtschaftet worden. Dazumal ist hier in dem Trümmerwerk Milch und Honig geflossen, wie im Lande Kanaan, und die Nonnen sollen es gar gut verstanden haben, aus den schönen Sachen genug bare Batzen zu schlagen. Gar manchmal haben da die Frachtwagen vor dem Kloster gestanden und Fässer und Kisten in die Welt 'nausgefahren. Ja, dumm sind die Frauenzimmerchen von dazumal nicht gewesen, dumm gar nicht! – Heide, Himbeeren und Heidelbeeren, das beste Bienenfutter, hat's hier und auf den Klosterhöfen genug und übergenug gegeben, und da haben sie eine Bienenzucht gehabt, wie in unserer Zeit kaum die großen Güter in Ungarn. Na ja – und da bin ich gestern abend unten im Keller – ich hatte schon lange ein paar wacklige Steine an der Mauer gesehen, aber im Frühjahr gibt's immer viel zu tun, und dazu kam die Räumerei und das Reinmachen im oberen Stockwerk, und da verschob ich die Flickerei von einem Tag zu dem anderen. Gestern aber dachte ich doch, ich müßte mich schämen, und Sie hielten mich für einen liederlichen Hausverwalter, wenn Sie das sahen, und da hole ich mir gleich Kelle und Mörtelgelte. Wie ich aber den ersten wackligen Stein anfasse, Herr meines Lebens, da wird es doch ordentlich lebendig unter meinen Fingern! Es rückt und wankt – kein Wunder, ist's doch auch nur in der Angst und Flucht gemacht gewesen – und ehe ich mich recht versehe, ist das liederliche Mauerwerk zusammengeprasselt, und ich gucke in ein mannshohes Höhlenloch – ja, in ein Gewölbe, von dem kein Erdenmensch mehr 'was gewußt hat! Und was war drin? – Wachs!«
Er hielt einen Augenblick inne, als schwelge er noch in der Erinnerung an den Fund. »Ja, Wachs, schönes, reines, gelbes Wachs«, wiederholte er, jedes Wort schwer betonend, »Scheibe an Scheibe, ein ganzer sommertrockener Keller voll, der gerade unter dem Turm liegt!« Er schüttelte den Kopf. »Die reine Wundergeschichte! Ich alter Kerl lese auch für mein Leben gern so Zaubermärchen, wie ›Tausendundeine Nacht‹, und da ist mir doch seit gestern zumute, als hätte ich selber in so einen Berg Sesam geguckt, denn was da unten liegt, das ist auch so gut wie ein Kasten voll Bargeld. Die Nonnen müssen lange Jahre dran gesammelt und gespart haben, lange Jahre! Es sind viele, viele Zentner, und sie haben wohl am besten gewußt, was die ganze Pastete wert ist, sonst hätten sie nicht zugemauert, ehe sie auf und davon sind! Und weiß ich's denn nicht auch? Bin ja selbst Bienenvater und verkaufe, was das fleißige Völkchen in meine Stöcke schleppt.«
Klaudine hatte das Küchengerät in ihrer Hand unwillkürlich beiseite gestellt und folgte sichtlich gespannt der lebendigen Schilderung. Über das gute, breite, brave Gesicht des alten Mannes huschten Freude, Stolz auf die Entdeckung und Schelmerei wie in wechselnden Lichtern. »Ja, ja, so ein paar tausend Tälerchen sind's ganz gewiß!« sagte er nach einem tiefen Atemholen mit lustigem Augenblinzeln. »Hm, so ein bißchen Heiratsgut, das die Nonnenseelchen, die ja noch umgehen sollen, ganz extra für unser gnädiges Fräulein behütet und aufgehoben haben.«
Die schöne Hofdame mußte lachen. »Ich glaube nicht, daß wir uns den Fund so ohne weiteres aneignen dürfen, Heinemann«, sagte sie dann ernst. »Die vorherigen Besitzer haben ohne Zweifel dieselben Rechte.«
Der alte Gärtner sah plötzlich ganz betreten und erschrocken drein. »I, die werden doch nicht –?« meinte er mit stockendem Atem. »Na, weiß Gott, das wär' doch Sünd' und Schande! Der Neuhäuser da drüben, dem fürstliches Hab und Gut nur so in die Tasche gefallen ist, der müßte sich ja doch eher alle zehn Finger abbeißen, als daß er sich an dem bißchen Armut vergriffe! Freilich« – er zuckte die Achseln mit niedergeschlagener Miene – »wer kann's wissen! So manche von den Herren können nie genug kriegen, das erlebt man alle Tage, und da kann's immer sein, daß der Herr Baron die Hand hinhält und nicht ›nein‹ sagt, wenn's zum Treffen kommt. O je« – er kratzte sich voll Ärger hinter dem Ohr – »da hätt' ich auch eher an des Himmels Einsturz gedacht, als daß uns die von Neuhaus noch ein Querholz zwischen die Füße werfen könnten! Da heißt's nun abwarten und zusehen, wie einem vielleicht die Butter vom Brote genommen wird.« Er seufzte und ging nach der Tür. »Aber ansehen müssen Sie sich die Geschichte doch einmal, gnädiges Fräulein! Ich gehe jetzt hinunter und räume die letzten paar Steine weg, die noch im Wege liegen – muß auch erst einmal probieren, ob über dem Kopfe alles in Ordnung ist, damit kein Unglück passiert – und nachher kann's losgehen!«
Bald darauf stieg Klaudine in seiner und ihres Bruders Begleitung in den Keller hinab.
Es war ein schönes, kühles, trockenes Gewölbe, auf welches der Schein der Laterne in Heinemanns Hand fiel. – Ja, das waren noch Mauern aus jener Zeit, wo das Bauen kein großes Loch in den adligen Säckel riß, wo der Bauer im Frondienst das Baumaterial aus den Steinbrüchen und Kalkgruben herbeischleppen mußte – glatte, festgefügte, klafterdicke Mauern, die keine Spur von Erdfeuchtigkeit durchdringen ließen. Da war es freilich kein Wunder, daß die Wachsschätze der Nonnen noch so dalagen, wie sie die längst zerstäubten Hände aufgeschichtet hatten. – Ja, da reihte sich Scheibe an Scheibe, die Rinde wohl altersbräunlich gefärbt, aber an der Bruchfläche noch so schön gelb und frisch, wie eben aus dem Schmelz- und Reinigungsprozeß hervorgegangen.
»So gut wie gemünztes Gold!« sagte Heinemann, mit ausgestrecktem Arm über die rings an den Wänden aufgestapelten Wachsscheiben zeigend. »Und das alles haben die kleinen Dinger in gelben Höschen zusammengeschleppt.«