«Eh bien, eh bien! Gönnen Sie meinen Augen einen Moment der Vollkommenheit.»
«Schon, aber diese Angelegenheit ist wichtiger.»
«Und woher wollen Sie wissen, dass diese Begonien nicht genauso wichtig sind?»
Ich zuckte mit den Achseln. Wenn er solche Argumente anführte, lohnte es sich nicht zu widersprechen.
«Sie sind nicht meiner Meinung? Aber die Möglichkeit besteht. Na gut, ich komme jetzt herein und stelle der guten Dorcas ein paar Fragen.»
Dorcas stand mit gefalteten Händen im Boudoir, die steifen grauen Locken unter der weißen Haube ordentlich frisiert. Sie sah aus wie der Inbegriff eines pflichtbewussten Dienstmädchens von anno dazumal.
Zunächst benahm sie sich Poirot gegenüber ziemlich misstrauisch, aber das hielt nicht lange an. Er rückte ihr einen Sessel zurecht.
«Bitte setzen Sie sich, Mademoiselle.»
«Danke schön, Sir.»
«Sie sind schon viele Jahre bei Mrs. Inglethorp, nicht wahr?»
«Zehn Jahre.»
«Das ist eine lange Zeit. Sie waren Mrs. Inglethorp sehr zugetan, nicht wahr?»
«Sie war immer sehr gut zu mir.»
«Dann haben Sie sicherlich nichts dagegen, mir ein paar Fragen zu beantworten. Mr. Cavendish hat mir dazu seine Erlaubnis gegeben.»
«Gern.»
«Dann möchte ich Sie als Erstes nach den Ereignissen von gestern Nachmittag befragen. Mrs. Inglethorp hatte sich gestritten?»
«Ja. Aber ich glaube, es wäre nicht richtig, wenn ich.» Dorcas hielt inne.
Poirot sah sie scharf an.
«Meine gute Dorcas, es ist absolut notwendig, dass ich jede Einzelheit dieses Streits erfahre. Haben Sie keine Angst, dass Sie Geheimnisse Ihrer Herrin verraten. Ihre Herrin ist tot und es ist wichtig, dass wir alles erfahren — um ihren Tod zu rächen. Nichts kann sie wieder lebendig machen, aber falls sie ermordet wurde, können wir wenigstens dafür sorgen, dass der Mörder bestraft wird.»
«Amen», stieß Dorcas hervor. «Ich will ja keine Namen nennen, aber es gibt in diesem Haus einen, den niemand ausstehen kann. Es war ein Unglückstag, als er zum ersten Mal den Fuß über diese Schwelle setzte.»
Poirot wartete, bis sich ihre Entrüstung etwas gelegt hatte, und fuhr dann in geschäftsmäßigem Ton fort: «Zurück zu diesem Streit. Wann haben Sie zuerst davon gehört?»
«Na ja, ich ging gestern gerade zufällig durch die Halle, als —»
«Um wieviel Uhr war das?»
«Das kann ich nicht genau sagen, aber bis zum Tee war es noch eine Weile hin. Vielleicht vier Uhr — oder etwas später. Wie ich schon sagte, ich kam also zufällig vorbei, als ich sehr laute und wütende Stimmen hier drinnen hörte. Ich wollte eigentlich gar nicht lauschen, aber dann. Ich blieb stehen. Die Tür war zu, aber Mrs. Inglethorp redete sehr laut und deutlich und ich konnte genau verstehen, was sie sagte. <Du hast mich belogen und betrogen^ sagte sie. Ich konnte nicht verstehen, was Mr. Inglethorp antwortete, denn er sprach leiser als sie, aber dann sagte sie: <Wie kannst du es wagen? Ich habe dir deine Kleidung gekauft und dich ausgehalten! Alles verdankst du mir! Und als Belohnung dafür ziehst du unseren guten Namen in den Schmutz!> Dann konnte ich wieder nichts verstehen, aber danach redete sie weiter: <Nichts, was du noch sagst, kann meinen Entschluss ändern. Ich kenne meine Pflicht. Ich habe meinen Entschluss gefasst. Bilde dir nur nicht ein, dass die Angst vor einem öffentlichen Skandal mich zurückhalten könnte.> Dann dachte ich, sie würden rauskommen, und deshalb bin ich schnell weggegangen.»
«Sie sind ganz sicher, dass Sie die Stimme von Mr. In-glethorp gehört haben?»
«Aber ja, wer hätte es denn sonst sein sollen?»
«Hm. Und was geschah dann?»
«Später kam ich zurück in die Halle, aber da war alles still. Um fünf läutete Mrs. Inglethorp und wollte, dass ich ihr eine Tasse Tee — aber nichts zu essen — in ihr Boudoir bringe. Sie sah schrecklich aus — ganz blass und aufgeregt — und sagte: <Dorcas, mir ist etwas Schreckliches passiert>, und ich sagte: <Das tut mir Leid, gnädige Frau. Bestimmt geht es Ihnen nach einer guten Tasse Tee wieder besser.> Sie hielt etwas in der Hand. Ich weiß nicht, ob es ein Brief oder nur ein Zettel war, aber es war etwas darauf geschrieben, und sie starrte es dauernd an, als könnte sie nicht glauben, was da stand. Sie redete leise mit sich selbst, als ob sie mich vergessen hätte: <Diese wenigen Worte — und nichts ist mehr, wie es war.> Und dann sagte sie zu mir: <Traue niemals einem Mann, Dorcas, das verdienen die Männer nicht!> Ich holte ihr schnell eine Tasse Tee, und sie bedankte sich bei mir und sagte, danach würde es ihr bestimmt wieder besser gehen. <Ich weiß nicht, was ich tun soll>, sagte sie. <Ein Eheskandal ist etwas Schreckliches, Dorcas. Am liebsten würde ich alles vertuschen.> In dem Augenblick kam Mrs. Cavendish herein, und sie sagte nichts mehr.»
«Hatte sie den Brief, oder was immer das war, noch in der Hand?»
«Ja.»
«Was hat sie damit wohl nachher gemacht?»
«Das weiß ich nicht, aber wahrscheinlich hat sie ihn in ihren violetten Aktenkoffer eingeschlossen.» «Hat sie darin immer alle wichtigen Papiere aufbewahrt?»
«Ja. Sie hat ihn jeden Morgen mit heruntergebracht und jeden Abend mit nach oben genommen.»
«Wann hat sie den Schlüssel dazu verloren?»
«Sie vermisste ihn gestern während des Mittagessens und trug mir auf, ich sollte sorgfältig danach suchen. Sie hat sich deshalb sehr aufgeregt.»
«Aber sie besaß einen Ersatzschlüssel?»
«Oh ja, Sir.»
Dorcas sah Poirot sehr aufmerksam an und, ehrlich gesagt, ich auch. Was sollte das alles mit dem verlorenen Schlüssel? Poirot lächelte.
«Lassen Sie nur, Dorcas, es gehört zu meinem Beruf, dass ich bestimmte Dinge weiß. Ist das der verlorene Schlüssel?» Damit zog er aus seiner Tasche den Schlüssel, den er oben im Schloss des Aktenkoffers gefunden hatte.
Dorcas wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen.
«Stimmt, Sir, ganz genau. Aber wo haben Sie ihn gefunden? Ich habe überall danach gesucht.»
«Ah, aber er war gestern sicherlich nicht da, wo er heute war. Lassen Sie uns nun kurz zu einem anderen Thema kommen. Besaß Mrs. Inglethorp ein dunkelgrünes Kleid?»
Dorcas war durch die unerwartete Frage sichtlich aus der Fassung gebracht.
«Nein, Sir.»
«Sind Sie sich ganz sicher?»
«Aber ja, Sir.»
«Besitzt sonst jemand im Haus ein grünes Abendkleid?»
Dorcas überlegte. «Miss Cynthia hat ein grünes Abendkleid.»
«Hell- oder dunkelgrün?»
«Hellgrün, es ist aus — ich glaube, man nennt das Chiffon.»
«Schade, das suche ich nicht. Und niemand sonst hat ein grünes Kleidungsstück?»
«Nein, Sir, nicht dass ich wüsste.»
Poirots Gesicht verriet mit keiner Regung, ob er enttäuscht war oder nicht. Er sagte nur: «Gut, lassen wir das und machen wir weiter. Haben Sie irgendeinen Grund zu der Annahme, dass Mrs. Inglethorp gestern Abend ein Schlafmittel genommen hat?»
«Nicht gestern Abend, Sir, da hat sie bestimmt keins genommen, das weiß ich.»
«Weshalb sind Sie sich da so sicher?»
«Weil die Schachtel leer war. Sie nahm das letzte Pulver vor zwei Tagen und sie hat kein neues gekauft.»
«Sind Sie sich da ganz sicher?»
«Aber ja, Sir.»
«Dann wäre das geklärt. Übrigens, hat Mrs. Inglethorp Sie gestern vielleicht irgendwas unterschreiben lassen?»
«Unterschreiben? Nein, Sir.»
«Als Mr. Hastings und Mr. Lawrence gestern Abend nach Hause kamen, trafen sie Mrs. Inglethorp beim Briefeschreiben an. Wahrscheinlich haben Sie keine Idee, an wen diese Briefe gerichtet waren?»
«Leider nein, Sir. Ich war gestern Abend weg. Vielleicht kann Annie es Ihnen sagen, aber sie ist nicht besonders aufmerksam. Sie hat gestern Abend nicht einmal die Kaffeetassen abgeräumt. Wenn ich mich nicht um alles kümmere, geht es hier drunter und drüber.»