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«Mein Bruder Lawrence ist davon überzeugt, dass wir viel Lärm um nichts machen. Er sagt, alles deute darauf hin, dass es ein einfacher Fall von Herzversagen war.»

«Ach, das denkt er? Das ist ja hochinteressant — hochinteressant», murmelte Poirot leise. «Und Mrs. Cavendish?»

Johns Gesicht verfinsterte sich für einen Moment.

«Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie meine Frau darüber denkt.»

Diese Antwort wirkte auf uns wie ein Guss kaltes Wasser.

John unterbrach die ziemlich peinliche Stille, indem er sich einen Ruck gab und sagte: «Habe ich Ihnen schon gesagt, dass Mr. Inglethorp wieder da ist?»

Poirot neigte den Kopf.

«Wir befinden uns da alle in einer sehr peinlichen Situation. Natürlich müssen wir uns ihm gegenüber so wie sonst benehmen — aber verdammt noch mal, da steigt einem doch die Galle hoch, wenn man sich neben einen mutmaßlichen Mörder an den Tisch setzen soll!»

Poirot nickte verständnisvoll.

«Das verstehe ich. Es ist eine schwierige Situation für Sie, Mr. Cavendish. Ich würde Ihnen gern eine Frage stellen. Mr. Inglethorp ist gestern Nacht nicht zurückgekommen, weil er, wenn ich mich recht erinnere, seinen Hausschlüssel vergessen hatte. Stimmt das?»

«Ja.»

«Sie sind also ganz sicher, dass der Hausschlüssel auch wirklich vergessen wurde — dass er ihn nicht doch mitgenommen hatte?»

«Keine Ahnung. Ich kam nie auf die Idee nachzuschauen. Wir bewahren ihn immer in der Kommode in der Halle auf. Ich gehe mal nachschauen, ob er da ist.»

«Nein, nein, Mr. Cavendish, jetzt ist es dafür zu spät. Bestimmt werden Sie ihn nun dort vorfinden. Falls Mr. Inglethorp ihn mitgenommen hatte, wird er ihn inzwischen bestimmt zurückgelegt haben.»

«Aber Sie denken.»

«Ich denke gar nichts. Falls jemand vor seiner Rückkehr zufälligerweise hineingesehen und den Schlüssel dort bemerkt hätte, wäre das ein wichtiger Beweis zu Mr. Ingle-thorps Gunsten gewesen. Das ist alles.»

John sah verwirrt drein.

«Machen Sie sich keine Sorgen», beruhigte ihn Poirot, «ich versichere Ihnen, dass Sie sich deshalb nicht zu beunruhigen brauchen. Da Sie so freundlich waren, mich einzuladen, lassen Sie uns jetzt frühstücken gehen.»

Alle waren im Esszimmer versammelt. Unter den gegebenen Umständen waren wir natürlich keine fröhliche Gesellschaft. Das schreckliche Ereignis hatte uns allen stark zugesetzt und wir litten noch darunter. Der Anstand und die guten Sitten verlangten natürlich, dass wir uns nichts anmerken ließen, aber ich musste mir doch die Frage stellen, ob diese Selbstbeherrschung große Anstrengung erforderte. Es gab keine rot geweinten Augen, keinerlei Anzeichen für stille Trauer. Ich gelangte zu der Einschätzung, dass Dorcas diejenige war, die am meisten unter der Tragödie litt.

Ich spreche nicht von Alfred Inglethorp, der die Rolle des trauernden Witwers auf höchst abstoßende, heuchlerische Weise spielte. Wusste er, dass wir ihn verdächtigten? Sicherlich musste ihm das klar sein, mochten wir es auch noch so zu verheimlichen suchen. Empfand er ein leises Raunen der Angst oder vertraute er darauf, dass sein Verbrechen ungesühnt bleiben würde? Er musste den Verdacht spüren, der gegen ihn in der Luft lag.

Aber verdächtigten ihn denn alle? Was war mit Mrs. Cavendish? Ich beobachtete sie, wie sie anmutig, beherrscht und geheimnisvoll am Ende des Tisches saß. Sie trug ein hellgraues Kleid mit weißen Rüschen an den Ärmeln, die ihr über die schlanken Handgelenke fielen, und sah sehr schön aus. Wenn sie wollte, konnte ihr Gesicht jedoch sphinxhaft undurchdringlich sein. Sie war sehr still und sagte kaum etwas, doch auf eine seltsame Weise fühlte ich, dass ihre starke Persönlichkeit uns alle beherrschte.

Und die kleine Cynthia? Hatte sie einen Verdacht? Ich fand, dass sie sehr müde und krank aussah, und auch ihre Bewegungen waren matt und schwerfällig. Ich fragte sie, ob sie sich krank fühle, und sie antwortete offen: «Ja, ich habe schreckliche Kopfschmerzen.»

«Wollen Sie noch eine Tasse Kaffee, Mademoiselle?», erkundigte sich Poirot fürsorglich. «Er wird Sie aufmuntern. Es gibt nichts Besseres gegen mal de tete.» Er sprang auf und nahm ihre Tasse.

«Ohne Zucker.» Cynthia hatte gesehen, wie Poirot die Zuckerzange in die Hand genommen hatte.

«Keinen Zucker? Wohl wegen der Kriegszeiten, eh?»

«Nein, ich trinke Kaffee immer ohne Zucker.»

«Sacre!», murmelte Poirot leise und brachte ihr die gefüllte Tasse.

Nur ich hatte ihn gehört, und als ich dem kleinen Mann einen neugierigen Blick zuwarf, sah ich, wie es in seinem Gesicht vor unterdrückter Erregung arbeitete und dass seine Augen grün wie die einer Katze funkelten. Er hatte irgendetwas gesehen oder gehört, das ihn stark bewegte — aber was? Eigentlich halte ich mich nicht für begriffsstutzig, aber ich muss gestehen, dass ich nichts Ungewöhnliches bemerkt hatte.

Gleich darauf öffnete sich die Tür und Dorcas teilte John mit: «Mr. Wells möchte Sie sprechen, Sir.»

Mir fiel ein, dass das der Name von Mrs. Inglethorps Anwalts war, dem sie gestern Abend geschrieben hatte.

John stand sofort auf.

«Führen Sie ihn in mein Arbeitszimmer.» Dann wandte er sich an uns. «Der Anwalt meiner Mutter.» Dann fuhr er leiser fort: «Er ist auch der Untersuchungsrichter — Sie verstehen. Vielleicht möchten Sie mitkommen?»

Wir waren einverstanden und verließen mit ihm das Zimmer. John ging voraus und ich nutzte die Gelegenheit, um Poirot zuzuflüstern: «Es wird also eine gerichtliche Untersuchung geben?»

Poirot nickte geistesabwesend. Er schien so tief in Gedanken versunken, dass meine Neugier erregt wurde.

«Was ist denn? Sie hören mir ja gar nicht zu.»

«Das stimmt, mein Freund, ich mache mir große Sorgen.»

«Warum?»

«Weil Mademoiselle Cynthia ihren Kaffee ohne Zucker trinkt.»

«Was? Das meinen Sie doch nicht im Ernst?»

«Das ist mein völliger Ernst. Hm. Da gibt es etwas, was ich nicht verstehe. Mein Instinkt war richtig.»

«Welcher Instinkt?»

«Der Instinkt, der mich dazu verleitete, diese Kaffeetassen zu untersuchen. Chut! Leise jetzt.»

Wir folgten John in sein Arbeitszimmer und er schloss die Tür hinter uns.

Mr. Wells war ein sympathischer Mann in mittleren Jahren mit scharfen Augen und dem typischen Mund eines Rechtsanwalts. John stellte uns beide vor und erläuterte den Grund unserer Anwesenheit.

«Sie werden verstehen, Wells, dass das hier streng vertraulich ist. Wir hoffen immer noch, dass sich jedwede Untersuchung als überflüssig erweisen wird.»

«Ganz recht, ganz recht», erwiderte Mr. Wells besänftigend. «Ich wünschte, ich könnte Ihnen die Unannehmlichkeiten einer öffentlichen Voruntersuchung ersparen, aber da es keinen ärztlichen Totenschein gibt, lässt sich das nicht vermeiden.»

«Ja, das ist begreiflich.»

«Ein kluger Mann, dieser Bauerstein. Ein bedeutender Toxikologe, wie ich gehört habe.»

«In der Tat», sagte John mit einer gewissen Reserviertheit. Dann fügte er eher zögernd hinzu: «Werden wir dort als Zeugen erscheinen müssen? Alle — meine ich?»

«Sie natürlich — und, hm, äh — Mister, äh, Inglethorp.»

Eine kurze Pause trat ein, bevor der Rechtsanwalt in seiner beschwichtigenden Art fortfuhr: «Alle anderen Zeugenaussagen haben lediglich eine bestätigende Funktion, reine Formsache.»

«Ich verstehe.»

Über Johns Gesicht huschte ein Ausdruck der Erleichterung. Das wunderte mich, denn ich sah keinen Anlass dafür.