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Nach dem Mittagessen bat Poirot mich, ihn zu sich nach Hause zu begleiten. Ich willigte ziemlich ungnädig ein.

«Sie sind verärgert, nicht wahr?», erkundigte er sich besorgt, als wir durch den Park liefen.

«Überhaupt nicht», sagte ich kühl.

«Dann ist es ja gut. Das nimmt mir eine schwere Last von der Seele.»

Das war nicht ganz die Reaktion, auf die ich gehofft hatte. Ich hatte erwartet, dass er meine Reserviertheit bemerken würde. Aber dennoch trug die Wärme seiner Worte dazu bei, dass meine berechtigte Verärgerung verschwand.

«Ich überbrachte Lawrence Ihre Nachricht», sagte ich.

«Und was hat er dazu gesagt? War er völlig verwirrt?»

«Ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er keine Ahnung hatte, was Sie meinten.»

Ich hatte erwartet, dass Poirot enttäuscht darauf reagieren würde, aber er erwiderte zu meiner Überraschung, dass er sich das schon gedacht hätte und darüber sehr froh wäre.

Mein Stolz verbot mir zu fragen, warum.

Poirot wechselte dann das Thema. «Mademoiselle Cyn-thia kam ja heute gar nicht zum Mittagessen. Wissen Sie, warum?»

«Sie ist im Krankenhaus, sie arbeitet seit heute wieder.»

«Das ist ja eine fleißige kleine Mademoiselle. Und hübsch dazu. Sie ähnelt Gemälden, die ich in Italien gesehen habe. Ich würde gern einmal einen Blick in ihre Apotheke werfen. Glauben Sie, sie würde das erlauben?»

«Sie wird sich sicherlich darüber freuen. Es ist ein interessanter Arbeitsplatz.»

«Geht sie jeden Tag dorthin?»

«Sie hat mittwochs immer frei und kommt samstags zum Mittagessen nach Hause. Das sind ihre einzigen freien Zeiten.»

«Ich werde daran denken. Frauen leisten ja heutzutage Außerordentliches, und Mademoiselle Cynthia ist klug — oh ja, die Kleine hat Verstand.»

«Ja. Soweit ich weiß, hat sie ein schwieriges Examen bestanden.»

«Zweifellos. Schließlich ist das eine sehr verantwortungsvolle Arbeit. Bestimmt haben sie dort auch sehr gefährliche Gifte?»

«Ja, sie hat sie uns gezeigt. Sie werden in einem verschlossenen kleinen Schrank aufbewahrt. Ich glaube, Sie müssen sehr vorsichtig damit umgehen. Sie ziehen immer den Schlüssel ab, bevor sie den Raum verlassen.»

«Aha. Steht dieser Schrank in der Nähe des Fensters?»

«Nein, er steht an der gegenüberliegenden Wand. Warum?»

Poirot zuckte die Schultern. «Ich hab mich das nur gefragt, das ist alles. Wollen Sie mit hineinkommen?»

Wir hatten sein Cottage erreicht.

«Nein, ich möchte lieber wieder nach Hause gehen. Ich werde den langen Weg durch den Wald nehmen.»

Die Wälder rund um Styles sind wunderschön. Nach dem Spaziergang durch den sonnigen Park war es angenehm, langsam durch den kühlen Schatten zu schlendern. Es regte sich kaum ein Lüftchen, selbst das Vogelgezwitscher klang gedämpft. Ich folgte einem engen Pfad und ließ mich dann am Fuß einer mächtigen alten Buche nieder; die ganze Menschheit erschien mir in einem rosigen Licht. Ich verzieh sogar Poirot seine dumme Geheimniskrämerei — mit einem Wort: ich befand mich in Harmonie mit der ganzen Welt. Dann gähnte ich.

Ich grübelte über den Mord nach, und plötzlich erschien er sehr unwirklich und sehr weit weg.

Ich gähnte wieder.

Wahrscheinlich ist er in Wirklichkeit nie geschehen, dachte ich. Natürlich — es ist einfach nur ein böser Traum. In Wirklichkeit hatte Lawrence Alfred Inglethorp mit dem Krocketschläger ermordet. Aber es war töricht von John, sich deshalb so aufzuregen und laut herumzubrüllen: «Ich sage dir, ich werde das nicht dulden!»

Ich schreckte aus meinem Nickerchen hoch.

Mir wurde sofort klar, dass ich in eine äußerst peinliche Situation geraten war. Denn nur wenige Meter entfernt standen John und Mary Cavendish einander gegenüber und befanden sich ganz offensichtlich mitten in einer heftigen Auseinandersetzung. Und genauso deutlich war mir klar, dass sie sich meiner Gegenwart nicht bewusst waren, denn bevor ich mich rühren oder etwas sagen konnte, wiederholte John die Worte, die mich aus mei-nem Traum gerissen hatten: «Ich sage dir, Mary, ich werde das nicht dulden.»

Marys Stimme klang kühl und klar: «Woher nimmst du das Recht, mein Verhalten zu kritisieren?»

«Das ganze Dorf wird sich darüber das Maul zerreißen! Meine Mutter wurde erst am Samstag beerdigt und du machst mit diesem Kerl rum!»

«Ach so.» Sie zuckte die Achseln. «Du regst dich also nur über den Dorfklatsch auf!»

«Das stimmt nicht. Ich will nicht mehr, dass der Kerl hier rumschleicht. Außerdem ist er ein polnischer Jude.»

«Ein paar Tropfen jüdisches Blut können nie schaden. Das mindert die» — sie sah ihn an — «die unerschütterliche Dummheit des Durchschnittsengländers.»

Ihre Augen loderten, ihre Stimme war eisig. Es wunderte mich nicht, dass Johns Gesicht dunkelrot angelaufen war.

«Mary!»

«Ja?» Ihr Ton war unverändert.

«Heißt das, dass du Bauerstein gegen meinen ausdrücklichen Wunsch weiterhin sehen wirst?» Das Flehen war aus seiner Stimme verschwunden.

«Wenn es mir passt.»

«Du stellst dich gegen mich?»

«Nein, aber ich spreche dir das Recht ab, meine Handlungen zu kritisieren. Hast du denn keine Freundinnen, die mir missfallen?»

John machte einen Schritt zurück. Die Farbe schwand langsam aus seinem Gesicht.

«Was meinst du damit?», fragte er mit unsicherer Stimme.

«Aha!», sagte Mary ruhig. «Du siehst also, du hast kein Recht, mir in die Wahl meiner Freunde hineinzureden, nicht wahr?»

John sah sie bittend an. «Kein Recht? Habe ich kein Recht, Mary?», sagte er mit zitternder Stimme und streckte die Hände aus. «Mary.»

Ich dachte schon, er hätte sie umgestimmt, denn auf ihrem Gesicht erschien ein weicherer Ausdruck, doch dann drehte sie sich plötzlich heftig um.

«Gar keins!»

Sie ging davon, aber John rannte hinter ihr her und ergriff sie am Arm.

«Mary» — seine Stimme war jetzt sehr ruhig — «hast du dich in diesen Bauerstein verliebt?»

Sie zögerte, doch dann auf einmal glitt ein seltsamer Ausdruck über ihr Gesicht, alt wie die Berge und doch ewig jung, wie das Lächeln einer ägyptischen Sphinx.

Sie befreite sich ruhig aus seinem Griff und sagte: «Vielleicht», und damit hatte sie die kleine Lichtung auch schon verlassen und John blieb wie zu Stein erstarrt zurück.

Ich ging auf ihn zu und trat dabei auf ein paar trockene Zweige. John drehte sich um. Zum Glück nahm er an, dass ich gerade erst gekommen war. «Hallo, Hastings. Hast du den kleinen Kerl sicher nach Hause zurückbegleitet? Ein drolliger Kerl! Kann er denn wirklich was?»

«Zu seiner Zeit galt er als einer der fähigsten Detektive.»

«Na, dann muss da ja was dran sein, nehme ich an. Was für eine schreckliche Welt!»

«Findest du?»

«Gütiger Gott, ja! Diese fürchterliche Geschichte! Die Männer von Scotland Yard, die wie Springteufelchen dauernd ins Haus platzen! Man weiß nie, wo sie das näch-ste Mal auftauchen werden. Dicke Schlagzeilen in allen Zeitungen des Landes — diese Journalisten soll der Teufel holen! Weißt du, dass heute Morgen eine ganze Gruppe von Neugierigen vor dem Parktor stand und glotzte? Anscheinend haben wir hier eine Schreckenskammer wie bei Madame Tussaud, die man umsonst begaffen kann. Ziemlich widerlich, nicht wahr?»

«Mach dir nichts draus, John!», sagte ich tröstend. «Das kann ja nicht ewig dauern.»

«Nein? Es kann aber so lange dauern, dass keiner von uns seinen Kopf jemals wieder in der Öffentlichkeit zeigen kann.»

«Nein, nein, du siehst das alles viel zu düster.»

«Das kann einem aber auch die Laune verderben, wenn man von diesen grässlichen Journalisten verfolgt und von Idioten angestarrt wird, egal wo man ist! Aber es gibt noch Schlimmeres.»

«Was?»

John senkte die Stimme.

«Hast du schon mal darüber nachgedacht, Hastings, wer es getan haben könnte? Für mich ist das ein Albtraum. Manchmal denke ich, es muss doch ein Unfall gewesen sein, denn — denn wer könnte es getan haben? Jetzt, wo Inglethorp aus dem Schneider ist, gibt es keinen Verdächtigen, niemanden, außer — einem von uns.»