«Der Teufel soll diese Detektive holen! Ich habe keine Ahnung, was sie eigentlich suchen. Sie waren in jedem einzelnen Zimmer und haben alles um und um gewühlt! Es ist wirklich unerträglich! Wahrscheinlich nutzten sie die Gelegenheit, weil wir alle nicht zu Hause waren. Ich werde diesem Inspector Japp aber bei der nächsten Gelegenheit mal meine Meinung sagen!»
«Nichts weiter als neugierige Halunken», grummelte Miss Howard.
Lawrence fand, die Polizisten müssten so tun, als wären sie beschäftigt.
Mary Cavendish schwieg.
Nach dem Tee forderte ich Cynthia zu einem Spaziergang auf und wir schlenderten in Richtung Wald davon.
«Na?», fragte ich, als wir durch das Laub vor neugierigen Augen geschützt waren.
Seufzend ließ Cynthia sich auf die Erde fallen und warf ihren Hut zur Seite. Vereinzelte Sonnenstrahlen drangen durch das Blätterdach und verwandelten das Kastanienbraun ihres Haars in Kupfergold.
«Mr. Hastings, Sie sind immer so freundlich und Sie wissen so viel.»
Mir fiel auf, dass Cynthia wirklich ein reizendes Geschöpf war! Viel bezaubernder als Mary, die nie so charmante Dinge äußerte.
«Ja?», fragte ich gütig, als sie zögerte.
«Ich möchte Sie um Ihren Rat bitten. Was soll ich tun?»
«Tun?»
«Ja. Sehen Sie, Tante Emily sagte mir immer, dass sie für mich sorgen würde. Wahrscheinlich vergaß sie es oder sie hielt es für unwahrscheinlich, dass sie sterben könnte — jedenfalls hat sie mir keinen Pfennig hinterlassen! Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Meinen Sie, ich sollte sofort von hier weggehen?»
«Du meine Güte, nein! Niemand hier will, dass Sie ausziehen, da bin ich mir ganz sicher.»
Cynthia zögerte kurz und rupfte mit ihren winzigen Händen Grashalme aus. Dann sagte sie: «Mrs. Cavendish schon. Sie hasst mich.»
«Hasst Sie?», rief ich erstaunt.
Cynthia nickte. «Ja, ich weiß nicht, warum, aber sie kann mich nicht ausstehen und er auch nicht.»
«Da irren Sie sich aber», sagte ich überzeugt. «Ganz im Gegenteil, John mag Sie sehr gern.»
«Oh, ja, John. Ich meinte Lawrence. Es ist mir natürlich völlig gleichgültig, ob Lawrence mich hasst oder nicht. Aber es ist doch ziemlich grauenhaft, wenn man von niemandem geliebt wird, finden Sie nicht?»
«Aber man hat Sie doch lieb, Cynthia», sagte ich ernst. «Sie irren sich bestimmt. Sehen Sie mal, da wäre John — und Miss Howard.»
Cynthia nickte traurig. «Ja, John mag mich, glaube ich, und natürlich würde Evie trotz ihrer poltrigen Art keiner Fliege etwas zu Leide tun. Aber Lawrence redet mit mir nur, wenn er es nicht vermeiden kann, und Mary schafft es kaum, den Anstand zu wahren und höflich zu bleiben. Sie möchte, dass Evie hier wohnen bleibt und bittet sie zu bleiben, aber mich will sie nicht und — und — ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.» Plötzlich brach das arme Kind in Tränen aus.
Ich weiß nicht, was plötzlich über mich kam. Vielleicht war es ihre Schönheit, wie sie da saß und ihr Haar im Sonnenlicht schimmerte, vielleicht war es auch die Erleichterung darüber, dass hier jemand in keiner Weise mit der Tragödie zu tun hatte, vielleicht war es einfach Mitleid mit ihrer Jugend und ihrer Einsamkeit. Jedenfalls beugte ich mich vor, nahm ihre kleine Hand und sagte verlegen: «Heiraten Sie mich, Cynthia.»
Ohne es zu ahnen, hatte ich damit ein Heilmittel für ihre Tränen gefunden. Sie richtete sich sofort auf, zog ihre Hand zurück und sagte mit einiger Schroffheit: «Seien Sie nicht töricht!»
Ich war etwas gekränkt. «Ich bin nicht töricht. Ich bitte Sie, mir die Ehre zu erweisen und meine Frau zu werden.»
Zu meiner unsäglichen Überraschung lachte Cynthia laut heraus und nannte mich einen «komischen Schatz».
«Das ist wirklich unheimlich lieb von Ihnen», sagte sie, «aber Sie wissen genau, dass Sie das gar nicht wollen!»
«Doch, ich will, ich habe.»
«Ganz egal, was Sie haben. Sie wollen gar nicht wirklich heiraten — und ich auch nicht.»
«Na, damit wäre natürlich alles geklärt», sagte ich beleidigt. «Aber ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt. Ich sehe in einem Heiratsantrag nichts Komisches.» «Nein, das stimmt», sagte Cynthia. «Vielleicht wird Ihr Antrag beim nächsten Mal angenommen. Auf Wiedersehen, Sie haben mich sehr aufgeheitert.»
Und mit fröhlichem Gelächter verschwand sie zwischen den Bäumen.
Ich ging unsere Unterredung noch einmal im Geiste durch und fand sie auf einmal höchst unbefriedigend.
Dann kam mir plötzlich der Einfall, ins Dorf zu gehen und Bauerstein zu besuchen. Jemand musste den Kerl im Auge behalten. Gleichzeitig sollte man klugerweise verhindern, dass er auf den Gedanken kam, er könnte verdächtigt werden. Mir fiel wieder ein, wie sehr Poirot meine Diplomatie gelobt hatte.
Also ging ich zu dem kleinen Haus, in dessen Fenster ein Schild mit der Aufschrift «Pension» stand und wo er meines Wissens logierte, und klopfte an die Tür.
Eine alte Frau öffnete die Tür.
«Guten Tag», sagte ich freundlich. «Ist Dr. Bauerstein da?»
Sie starrte mich an. «Ja, wissen Sie denn nicht.?»
«Was denn?»
«Von ihm.»
«Was ist denn mit ihm?»
«Er ist weg.»
«Weg? Verreist?»
«Nein, die Polizei hat ihn mitgenommen.»
«Die Polizei!» Ich schnappte nach Luft. «Wollen Sie damit sagen, dass er verhaftet wurde?»
«Ja, das und.»
Ich wartete aber nicht mehr das Ende ihres Satzes ab, sondern rannte die Dorfstraße hinunter zu Poirot.
Zehntes Kapitel
Die Verhaftung
Zu meiner großen Verärgerung war Poirot nicht zu Hause, und der alte Belgier, der mir die Tür geöffnet hatte, teilte mir mit, mein Freund sei nach London gereist.
Ich war völlig ratlos. Was in aller Welt tat Poirot in London? War das ein ganz plötzlicher Entschluss von ihm oder hatte er das schon vorgehabt, als wir uns vor ein paar Stunden trennten?
Einigermaßen verdrossen ging ich wieder nach Styles zurück. Ich wusste nicht, wie ich mich in Poirots Abwesenheit verhalten sollte. Hatte er die Verhaftung vorhergesehen? Hatte er sie am Ende sogar veranlasst? Diese Fragen konnte ich nicht beantworten. Aber was sollte ich in der Zwischenzeit tun? Sollte ich die Verhaftung öffentlich bekannt geben oder nicht? Obwohl ich es mir selbst gegenüber nicht eingestehen wollte, lastete der Gedanke an Mary Cavendish schwer auf meiner Seele. War das für sie nicht ein fürchterlicher Schock? Für den Augenblick wischte ich jeden Verdacht gegen sie beiseite. Sie konnte damit nichts zu tun haben, sonst hätte ich davon etwas gehört.
Natürlich war es unmöglich, ihr Dr. Bauersteins Verhaftung auf Dauer zu verheimlichen. Morgen würde es in allen Zeitungen stehen. Dennoch scheute ich davor zurück, es herauszuposaunen. Wenn doch nur Poirot erreichbar gewesen wäre, dann hätte ich seinen Rat einho-len können. Was war bloß in ihn gefahren, dass er ohne jede Erklärung einfach nach London fuhr?
Fast gegen meinen Willen war meine Achtung vor seinem Scharfsinn ins Unermessliche gestiegen. Mir wäre es nie im Traum eingefallen, den Doktor zu verdächtigen, wenn Poirot mich nicht auf den Gedanken gebracht hätte. Ja, der kleine Mann war wirklich klug.
Nach einigem Nachdenken beschloss ich, John einzuweihen und es ihm zu überlassen, ob er die Sache publik machen wollte oder nicht.
Als ich ihm die Neuigkeiten mitteilte, stieß er einen lauten Pfiff aus.
«Sapperlot! Du hattest also Recht! Ich konnte es einfach nicht glauben.»
«Nein, es ist auch unglaublich; man muss sich erst an die Vorstellung gewöhnen und erkennen, wie alles zueinander passt. Was sollen wir jetzt tun? Natürlich wird es morgen überall bekannt sein.»
John überlegte.
«Ganz egal», sagte er schließlich, «momentan werden wir noch nichts sagen. Das ist nicht notwendig. Wie du schon sagtest, es wird ohnehin früh genug bekannt werden.»