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Poirots Lächeln wurde immer rätselhafter. «Lang genug für jemanden, der einmal Medizin studiert hat, um ein sehr natürliches Interesse und seine Neugier zu befriedigen.»

Unsere Blicke trafen sich. Poirot sah mich freundlich unbestimmt an. Er stand auf und summte eine kleine Melodie. Misstrauisch beobachtete ich ihn.

«Poirot, was war in diesem besonderen Fläschchen?»

Poirot sah aus dem Fenster.

«Eine Chlorsäure-Strychnin-Mischung», sagte er dann und summte weiter.

«Gütiger Himmel!», sagte ich leise. Ich war nicht überrascht. Ich hatte diese Antwort erwartet.

«Sie verwenden reines Chlorsäure-Strychnin sehr selten — nur manchmal für Tabletten. Sie benutzen häufiger die übliche Lösung. Deshalb blieben auch die Fingerabdrücke so lange erhalten.»

«Wie haben Sie das fotografieren können?»

«Ich ließ meinen Hut vom Balkon fallen», erklärte Poi-rot schlicht. «Besucher waren zu dem Zeitpunkt unten nicht erlaubt, deshalb musste trotz meiner vielen Entschuldigungen die Kollegin von Mademoiselle Cynthia hinuntergehen und ihn holen.»

«Dann wussten Sie also, was Sie finden würden?»

«Nein, überhaupt nicht. Ich hatte auf Grund Ihrer Erzählung nur gemerkt, dass es für Monsieur Lawrence möglich war, zum Giftschrank zu gehen. Diese Möglichkeit musste entweder bestätigt oder ausgeschlossen werden.»

«Poirot, Ihre Fröhlichkeit täuscht mich nicht. Das ist eine sehr wichtige Entdeckung.»

«Ich weiß es nicht. Aber eine Sache fiel mir auf. Zweifellos ist sie Ihnen auch aufgefallen.»

«Was denn?»

«Dass es in diesem Fall viel zu viel Strychnin gibt. Dies ist nun schon das dritte Mal, dass wir darauf treffen. Es gab Strychnin in der Medizin von Mrs. Inglethorp.

Strychnin wurde von Mr. Mace in der Apotheke von St. Mary verkauft. Jetzt haben wir noch mehr Strychnin, mit dem ein Familienmitglied zu tun hatte. Das ist sehr verwirrend, und wie Sie wissen, kann ich Verwirrung nicht leiden.»

Bevor ich antworten konnte, steckte einer der Belgier den Kopf zur Tür herein.

«Unten ist eine Dame, sie will Mr. Hastings sprechen.»

«Eine Dame?»

Ich sprang auf. Poirot folgte mir die Treppe hinunter. Mary Cavendish stand in der offenen Tür.

«Ich habe gerade eine alte Frau im Dorf besucht», erklärte sie, «und Lawrence sagte mir, Sie seien bei Monsieur Poirot, also dachte ich, ich komme vorbei.»

«Oh, Madame», sagte Poirot, «ich dachte schon, Sie würden mir die Ehre eines Besuches erweisen.»

«Wenn Sie mich einladen, komme ich gern einmal», versprach sie ihm lächelnd.

«Sehr schön. Falls Sie jemals einen Beichtvater brauchen, Madame» — sie zuckte leicht zusammen —, «denken Sie daran, Papa Poirot steht Ihnen immer gern zu Diensten.»

Sie starrte ihn kurz an, als ob sie eine verborgene Bedeutung in seinen Worten erraten wollte. Dann drehte sie sich unvermittelt um.

«Kommen Sie, Monsieur Poirot, wollen Sie uns nicht auf dem Rückweg begleiten?»

«Aber gern, Madame.»

Während des ganzen Heimwegs nach Styles redete Mary schnell und fieberhaft. Mir kam es so vor, als fürchtete sie sich vor Poirots Augen.

Das Wetter war umgeschlagen und der scharfe Wind war fast herbstlich. Mary zitterte ein wenig und knöpfte ihren schwarzen Mantel zu. Der Wind in den Bäumen hörte sich an wie das Seufzen eines Riesen.

Wir kamen zum Haupteingang von Styles und merkten sofort, dass irgendetwas nicht stimmte.

Dorcas kam auf uns zugelaufen. Sie weinte und rang die Hände. Ich sah die Dienstboten alle hinten in der Halle herumstehen und wie sie ganz Aug und Ohr waren.

«Oh, oh, ich weiß gar nicht, wie ich es Ihnen sagen soll.»

«Was ist denn, Dorcas?», fragte ich ungeduldig. «Nun reden Sie doch schon.»

«Diese schrecklichen Kriminalbeamten. Sie haben ihn verhaftet, sie haben Mr. Cavendish verhaftet!»

«Lawrence ist verhaftet?», fragte ich entgeistert.

Dorcas sah mich mit einem seltsamen Blick an.

«Nein, Sir, nicht Mr. Lawrence — Mr. John!»

Mit einem lauten Schrei fiel Mrs. Cavendish von hinten gegen mich, und als ich mich umdrehte, um sie aufzufangen, sah ich stillen Triumph in Poirots Augen glitzern.

Elftes Kapitel

Ein Fall für den Staatsanwalt

Der Prozess gegen John Cavendish fand zwei Monate später statt. Die Anklage lautete auf Mord an seiner Stiefmutter.

Über die dazwischenliegenden Wochen gibt es wenig zu berichten, aber meine Sympathie und Bewunderung galt uneingeschränkt Mary Cavendish. Sie stellte sich leidenschaftlich hinter ihren Mann, hatte für den bloßen Gedanken, er könne schuldig sein, nichts als Verachtung übrig und kämpfte mit Zähnen und Klauen für ihn.

Ich äußerte meine Bewunderung Poirot gegenüber und er nickte nachdenklich.

«Ja, sie ist eine der Frauen, die sich in der Not eindrucksvoll bewähren. Dann zeigen sie ihre besten Eigenschaften. Ihr Stolz und ihre Eifersucht sind.»

«Eifersucht?», hakte ich nach.

«Ja. Haben Sie noch nicht bemerkt, dass sie eine ungewöhnlich eifersüchtige Frau ist? Wie ich schon sagte, ihr Stolz und ihre Eifersucht sind jetzt vergessen. Sie denkt nur noch an ihren Mann und an das schreckliche Schicksal, das ihn erwartet.»

Er sprach sehr mitfühlend, und ich sah ihn aufmerksam an und erinnerte mich an jenen letzten Nachmittag, als er mit sich gekämpft hatte, ob er sprechen sollte oder nicht. Bei all seiner Sorge um das «Glück einer Frau» war ich froh, dass ihm die Entscheidung abgenommen worden war.

«Selbst jetzt kann ich es immer noch kaum glauben, denn bis zur letzten Minute hatte ich gedacht, es wäre Lawrence gewesen!»

Poirot lächelte. «Das weiß ich.»

«Aber John! Mein alter Freund John!»

«Jeder Mörder hat wahrscheinlich irgendwo einen alten Freund», bemerkte Poirot philosophisch. «Man darf Gefühl und Verstand nicht miteinander vermischen.»

«Ich muss schon sagen, Sie hätten mir doch wirklich einen Tipp geben können.»

«Vielleicht tat ich das gerade deshalb nicht, mon ami, weil Sie sein alter Freund sind.»

Das brachte mich ziemlich aus der Fassung, da mir einfiel, wie eifrig ich damals John die vermeintlichen Ansichten Poirots über Dr. Bauerstein hinterbracht hatte. Der war übrigens freigesprochen worden. Doch obwohl er diesmal alle ausgetrickst hatte und die Anklage wegen Spionagetätigkeit fallen gelassen werden musste, waren ihm doch seine Flügel für die Zukunft sehr gestutzt worden.

Ich fragte Poirot, ob er glaubte, dass John verurteilt werden würde.

Zu meiner großen Überraschung erwiderte er, man würde John ganz im Gegenteil höchstwahrscheinlich freisprechen.

«Aber Poirot!», protestierte ich.

«Ach, mein Freund, habe ich Ihnen nicht schon die ganze Zeit gesagt, dass ich keine Beweise habe? Das Wissen, dass jemand schuldig ist, und es ihm auch nachweisen zu können, das ist zweierlei. In diesem Fall gibt es schrecklich wenige Beweise, das ist der ganze Ärger. Ich, Hercule Poirot, weiß alles, aber das letzte Glied in meiner Beweiskette fehlt. Und erst wenn ich das fehlende Glied finde.» Er schüttelte bekümmert den Kopf.

«Wann haben Sie denn John Cavendish zuerst verdächtigt?», fragte ich ihn kurze Zeit später.

«Haben Sie ihn denn gar nicht verdächtigt?»

«Nein, überhaupt nicht.»

«Auch nicht nach den paar Sätzen, die Sie von der Unterhaltung zwischen Mrs. Cavendish und ihrer Schwiegermutter mitbekommen hatten, und angesichts ihrer auffälligen Zurückhaltung bei der Untersuchung?»

«Nein.»

«Haben Sie nicht zwei und zwei zusammengezählt und daraus geschlossen, dass es nicht Alfred Inglethorp war, der mit seiner Frau stritt? Sie erinnern sich, wie heftig er eine Auseinandersetzung bei der Untersuchung abgestritten hat! Dann musste es aber entweder Lawrence oder John gewesen sein. Aber falls es Lawrence gewesen war, wäre Mary Cavendishs Verhalten völlig unerklärlich. Falls es aber John gewesen war, würde das natürlich die ganze Sache erklären.»