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«Gleich wird ihn ein Polizist festnehmen — da verschwindet er um die Ecke!»

Unsere Blicke trafen sich und wir starrten uns hilflos an.

«Was kann denn nur passiert sein?»

Ich schüttelte den Kopf. «Ich weiß es nicht. Er baute Kartenhäuser, und plötzlich sagte er, er hätte eine Idee und rannte weg, wie Sie ja gesehen haben.» «Seltsam», sagte Mary. «Ich hoffe nur, er ist zum Abendessen wieder zurück.»

Aber als es dunkel wurde, war Poirot noch nicht heimgekommen.

Zwölftes Kapitel

Das letzte Glied

Poirots plötzliche Abreise beschäftigte uns alle sehr. Der Sonntagmorgen verstrich und er kam immer noch nicht wieder. Aber um drei Uhr hupte es draußen lange und heftig, und wir eilten ans Fenster und sahen Poirot begleitet von den Kriminalbeamten Japp und Summerhaye aus einem Auto steigen. Der kleine Mann war völlig verändert, er strahlte große Zufriedenheit aus. Mit übertriebener Höflichkeit verneigte er sich vor Mrs. Cavendish.

«Madame, habe ich Ihre Erlaubnis, im Salon eine kleine reunion abzuhalten? Es ist wichtig, dass alle daran teilnehmen.»

Mary lächelte traurig. «Sie wissen doch, Monsieur Poi-rot, Sie haben in allem carte blanche.»

«Sie sind zu liebenswürdig, Madame.»

Mit immer noch strahlendem Gesicht ging uns Poirot in den Salon voran und rückte für alle die Stühle zurecht.

«Miss Howard — hierhin. Mademoiselle Cynthia. Monsieur Lawrence. Die brave Dorcas. Und Annie. Bien! Wir müssen noch ein paar Minuten auf Mr. Inglethorp warten. Ich habe ihn brieflich hierher gebeten.»

Miss Howard erhob sich sofort von ihrem Platz.

«Wenn dieser Mann dieses Haus betritt, gehe ich!»

«Nein, nein!» Poirot ging zu ihr und bat sie leise zu bleiben. Schließlich gab Miss Howard nach und setzte sich wieder. Kurze Zeit später betrat Alfred Inglethorp den Raum.

Als alle versammelt waren, erhob sich Poirot in der Pose eines Volksredners von seinem Platz und verbeugte sich höflich vor seinem Publikum.

«Messieurs, mesdames, wie Sie alle wissen, wurde ich von Monsieur Cavendish am Morgen nach dem Verbrechen damit beauftragt, diesen Fall zu untersuchen. Ich besah mir sofort das Schlafzimmer der Verstorbenen, das auf Anraten der Ärzte hin verschlossen worden war und sich folglich noch genau in demselben Zustand befand wie zur Zeit des tragischen Ereignisses. Ich fand als Erstes einen Fetzen grünen Stoff, zweitens einen noch feuchten Fleck auf dem Teppich beim Fenster und drittens eine leere Schachtel, die Schlafpulver enthalten hatte.

Kommen wir zuerst zu dem grünen Stofffetzen. Ich fand ihn festgeklemmt in dem Riegel an der Verbindungstür zu Mademoiselle Cynthias Zimmer. Ich übergab den Fetzen der Polizei, die ihm weiter keine Bedeutung beimaß. Sie erkannten auch nicht, woher er stammte — es waren ein paar Fäden einer grünen Armbinde, wie sie von den freiwilligen Landhelfern getragen wird.»

Unter den Anwesenden war eine leichte Erregung zu spüren.

«Nun gab es aber nur einen Menschen auf Styles, der Landarbeit verrichtete, Mrs. Cavendish. Deshalb muss Mrs. Cavendish den Raum der Verstorbenen durch die Tür von Mademoiselle Cynthia betreten haben.»

«Aber diese Tür war doch von innen verriegelt!», rief ich aus.

«Als ich das Zimmer untersuchte, ja. Aber erst einmal haben wir dafür nur ihr Wort, sie war diejenige, die die Tür aufzumachen versuchte und behauptete, sie sei verschlossen gewesen. In dem allgemeinen Durcheinander hätte sie sehr wohl die Möglichkeit gehabt, den Riegel vorzuschieben. Bald schon überzeugte ich mich von der Richtigkeit meiner Hypothese. Erst einmal passt der Fetzen genau in einen Riss in Mrs. Cavendishs Armbinde. Dann erklärte Mrs. Cavendish auch noch bei der Untersuchung, dass sie in ihrem Zimmer gehört hätte, wie der Tisch neben dem Bett umgestürzt sei. Ich überprüfte diese Aussage bald darauf, indem ich meinen Freund, Mr. Hastings, im linken Flügel genau vor Mrs. Cavendishs Tür Position beziehen ließ und dann in Begleitung der Polizei in das Zimmer der Verstorbenen ging und versehentlich den Tisch umwarf. Doch wie erwartet, hatte Monsieur Hastings nicht das kleinste Geräusch gehört. Das bestätigte mich in meiner Überzeugung, dass Mrs. Cavendish nicht die Wahrheit gesagt hatte, als sie erklärte, sie habe sich zum Zeitpunkt der Tragödie gerade in ihrem Zimmer angekleidet. Ich war sogar im Gegenteil überzeugt davon, dass Mrs. Cavendish gar nicht in ihrem Zimmer war, sondern sich im Zimmer der Verstorbenen befand, als der Alarm gegeben wurde.»

Ich sah rasch hinüber zu Mary. Sie war sehr blass, aber sie lächelte.

«Ich kam also zu folgender Annahme: Mrs. Cavendish befindet sich im Zimmer ihrer Schwiegermutter. Nehmen wir einmal an, dass sie etwas sucht und es noch nicht gefunden hat. Plötzlich wacht Mrs. Inglethorp auf und windet sich in fürchterlichen Krämpfen. Sie wirft die Arme zur Seite, stößt dabei den Tisch um und zieht verzweifelt an der Klingel. Mrs. Cavendish erschrickt, lässt die Kerze fallen, und so gerät Wachs auf den Teppich. Sie hebt die Kerze wieder auf und verschwindet rasch in Ma-demoiselle Cynthias Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Sie eilt hinaus auf den Flur, denn die Dienstboten sollen sie hier nicht finden. Aber zu spät! Schon sind Schritte auf der Galerie zu hören, die die beiden Flügel des Hauses verbindet. Was soll sie tun? Blitzschnell eilt sie zurück in das Zimmer des jungen Mädchens und rüt-telt sie wach. Die aufgeschreckten Dienstboten und Familienmitglieder kommen den Flur entlanggelaufen. Sie klopfen an Mrs. Inglethorps Tür. Niemandem fällt auf, dass Mrs. Cavendish nicht zusammen mit den anderen hergekommen ist, aber — und das ist wichtig — ich kann niemanden finden, der sie aus dem anderen Teil des Hauses kommen sah.» Er sah Mrs. Cavendish an. «Habe ich Recht, Madame?»

Sie neigte den Kopf.

«Sie haben ganz Recht, Monsieur. Sie glauben mir sicherlich, dass ich diese Tatsachen längst enthüllt hätte, wenn ich meinem Mann damit hätte helfen können. Aber es schien sich dadurch an der Frage seiner Schuld oder Unschuld nichts zu ändern.»

«Das ist in gewisser Hinsicht korrekt, Madame. Aber erst nachdem mir das klar war, konnte ich mich von vielen falschen Theorien lösen und bekam den Kopf frei, um andere Tatsachen in ihrer wahren Bedeutung zu erkennen.»

«Das Testament!», rief Lawrence aus. «Dann hast du also das Testament vernichtet, Mary?»

Sie schüttelte den Kopf, genau wie Poirot.

«Nein», sagte sie leise. «Es gibt nur eine Person, die das Testament vernichtet haben kann — das ist Mrs. Inglethorp selbst!»

«Unmöglich!», entfuhr es mir. «Sie hatte es doch erst an diesem Nachmittag gemacht!»

«Trotzdem war es Mrs. Inglethorp, mon ami. Weil es keine andere Erklärung für die Tatsache gibt, dass Mrs. Inglethorp an einem der heißesten Tage des Jahres die Anweisung gab, ein Kaminfeuer in ihrem Schlafzimmer anzuzünden.»

Ich schnappte nach Luft! Wie dumm von uns, dass wir uns über dieses höchst unpassende Feuer nie Gedanken gemacht hatten! Poirot fuhr fort.

«Die Temperatur an diesem Tag betrug annähernd 30 Grad im Schatten, verehrte Zuhörer. Dennoch gab Mrs. Inglethorp Anweisung, ein Kaminfeuer anzuzünden! Warum? Weil sie etwas verbrennen wollte und ihr keine andere Möglichkeit einfiel. Sie werden sich daran erinnern, dass auf Styles infolge der kriegsbedingten Sparmaßnahmen kein Papier weggeworfen wurde. Deshalb konnte sie ein so dickes Dokument wie ein Testament nicht einfach vernichten. Als ich von dem Kaminfeuer in Mrs. Inglethorps Zimmer hörte, kam mir sofort der Gedanke, dass wichtige Papiere vernichtet werden sollten — möglicherweise ein Testament. Deshalb überraschte mich die Entdeckung von verkohlten Papierfetzen nicht. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich natürlich noch nicht, dass das Testament erst an diesem Nachmittag verfasst worden war, und ich muss zugeben, dass ich dann, als ich davon erfuhr, einen schwerwiegenden Fehler beging. Ich hielt Mrs. Inglethorps Entschluss, das Testament zu vernichten, für eine Konsequenz des Streits vom Nachmittag. Deshalb folgerte ich, dass der Streit nach und nicht vor dem Abfassen des Testaments stattgefunden haben musste.