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Die beiden sind ein sehr gerissenes und skrupelloses Paar. Während sich aller Verdacht gegen ihn richtete, sollte sie in aller Ruhe ein völlig anderes denouement vorbereiten. Sie kommt von Middlington mit all den belastenden Beweisen in der Tasche. Niemand hegt einen Verdacht gegen sie. Ihr Kommen und Gehen im Haus bleibt unbeobachtet, und sie versteckt das Strychnin und die Brille in Johns Zimmer. Sie bringt den Bart auf den Dachboden. Sie sorgt dafür, dass alles früher oder später entdeckt wird.»

«Ich sehe nicht ein, warum sie John die Schuld in die Schuhe schieben wollten. Es wäre doch viel einfacher gewesen, wenn sie Lawrence das Verbrechen angehängt hätten.»

«Ach, das war doch der pure Zufall. Alle Beweise gegen ihn kamen rein zufällig zustande. Eigentlich muss das für die beiden Intriganten äußerst ärgerlich gewesen sein.»

«Er verhielt sich ungeschickt», bemerkte ich nachdenklich.

«Ja. Der Grund dafür ist Ihnen natürlich klar?»

«Nein.»

«Hatten Sie nicht gemerkt, dass er Mademoiselle Cyn-thia für die Täterin hielt?»

«Nein!» Ich war höchst erstaunt. «Unmöglich!»

«Überhaupt nicht. Ich wäre fast demselben Verdacht aufgesessen. Deshalb habe ich Mr. Wells diese erste Frage wegen des Testaments gestellt. Dann gab es da noch die von ihr zubereiteten Schlafpulver und ihre raffinierten Verkleidungen als Mann, von denen Dorcas uns erzählte. Gegen sie existierten mehr Verdachtsmomente als gegen irgendwen sonst.»

«Poirot, Sie scherzen!»

«Nein. Soll ich Ihnen verraten, warum Monsieur Lawrence blass wurde, als er das Zimmer seiner Mutter in der fraglichen Nacht zuerst betrat? Weil seine Mutter dalag, offensichtlich vergiftet, während er über ihre Schulter hinweg sah, dass die Tür zu Mademoiselle Cynthias Zimmer nicht verriegelt war.»

«Aber er behauptete doch, sie sei verriegelt gewesen!»

«Eben drum», sagte Poirot trocken. «Und genau das bestätigte meinen Verdacht, dass dem nicht so war. Er schützte Mademoiselle Cynthia.»

«Aber warum sollte er das tun?»

«Weil er sie liebt.»

Ich lachte.

«In diesem Punkt irren Sie sich aber, Poirot! Ich weiß zufällig, dass er sie nicht nur nicht liebt, sondern ganz im Gegenteil absolut nicht ausstehen kann.»

«Wer hat Ihnen das gesagt, mon ami?»

«Cynthia selbst.»

«Lapauvrepetite! Und — war sie darüber sehr traurig?»

«Sie sagte, es sei ihr völlig egal.»

«Dann war ihr das bestimmt nicht gleichgültig», bemerkte Poirot. «So sind sie nun mal — les femmes!»

«Was Sie da über Lawrence sagen, überrascht mich wirklich sehr», sagte ich.

«Aber warum denn? Es war doch ganz offensichtlich. Hat Monsieur Lawrence nicht jedes Mal ein böses Gesicht gemacht, wenn Mademoiselle Cynthia mit seinem Bruder redete und lachte? Er hatte es sich in seinen langen Dickschädel gesetzt, dass Mademoiselle Cynthia in seinen Bruder verliebt sei. Als er in das Zimmer seiner Mutter kam und sah, dass sie anscheinend vergiftet war, hatte er die verrückte Idee, Mademoiselle Cynthia könnte etwas darüber wissen. Er geriet in fürchterliche Verzweiflung. Zuerst zertrat er die Kaffeetasse in tausend winzige Scherben, weil er sich daran erinnerte, dass sie am Abend zuvor mit seiner Mutter nach oben gegangen war und er unbedingt verhindern wollte, dass man den Inhalt analysieren konnte. Deshalb vertrat er auch so heftig die These von der natürlichen Todesursache.»

«Und was war mit der zusätzlichen Kaffeetasse?»

«Ich war mir ziemlich sicher, dass Mrs. Cavendish sie versteckt hatte, aber ich wollte mir Gewissheit verschaffen. Monsieur Lawrence hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich meinte, aber er kam nach einigem Grübeln darauf, dass seine Herzensdame von jedem Verdacht befreit würde, wenn es ihm gelang, noch eine Tasse aufzustöbern. Und darin hatte er völlig Recht.»

«Noch eines. Was meinte Mrs. Inglethorp mit ihren letzten Worten?»

«Das war natürlich eine Anklage gegen ihren Mann.»

«Meine Güte, Poirot», sagte ich und seufzte. «Ich glaube, jetzt haben Sie mir alles erklärt. Ich freue mich, dass die ganze Angelegenheit so glücklich geendet hat. Sogar John und seine Frau sind wieder vereint.»

«Das verdanken sie mir.»

«Wie meinen Sie das?»

«Mein lieber Freund, haben Sie denn nicht gemerkt, dass es einzig und allein die Gerichtsverhandlung war, die sie wieder zusammengebracht hat? Ich war überzeugt, dass John Cavendish seine Frau immer noch liebt und sie ihn ebenfalls. Aber sie hatten sich sehr entfremdet. Der Grund dafür lag in einem Missverständnis: Sie hatte ihn geheiratet, ohne ihn zu lieben. Das wusste er. Er ist auf seine Art ein feinfühliger Mensch und wollte sich ihr nicht aufdrängen. Aber sein Rückzug entfachte ihre Liebe. Beide sind sehr stolz, und ihr Stolz verhinderte jedes Zusammenkommen. Er tröstete sich mit dem Verhältnis mit Mrs. Raikes, und sie ging ganz in der Freundschaft zu Dr. Bauerstein auf. Erinnern Sie sich noch an den Tag von Johns Verhaftung? Als ich mich wegen einer wichtigen Entscheidung quälte?»

«Ja, ich verstand Ihr Dilemma sehr gut.»

«Verzeihen Sie, mein Freund, aber Sie verstanden überhaupt nichts. Ich stand vor der Entscheidung, ob ich John Cavendish jetzt gleich entlasten sollte oder nicht. Ich hätte ihn freibekommen — obwohl das unter Umständen bedeutet hätte, dass die Täter ungestraft davongekommen wären. Sie waren bis zur letzten Sekunde über meine wahren Absichten völlig im Dunkeln — was teilweise zu meinem Erfolg beitrug.» «Wollen Sie damit sagen, dass Sie John die Gerichtsverhandlung hätten ersparen können?»

«Ja, mein Freund. Aber ich entschied mich dann für <das Glück einer Frau>. Nur eine gemeinsam durchlittene Gefahr konnte diese beiden stolzen Menschen wieder zusammenbringen.»

Ich sah Poirot erstaunt an — mir fehlten die Worte! Diese kolossale Dreistigkeit des kleinen Mannes! Wer außer Poirot hätte an einen Mordprozess als Ehetherapie gedacht!

«Ich errate Ihre Gedanken, mon ami.» Poirot lächelte mich an. «Keiner außer Hercule Poirot hätte so etwas gewagt! Sie sollten mich deshalb aber nicht verurteilen! Das Glück eines Paares ist das Wichtigste auf der ganzen Welt.»

Seine Worte riefen mir die Erinnerung an einen noch nicht so lange zurückliegenden Tag wach. Ich dachte an Mary, wie sie blass und erschöpft auf dem Sofa lag und lauschte und lauschte. Sie hörte es unten klingeln und erhob sich. Poirot hatte die Tür geöffnet und beim Anblick ihres verzweifelten Gesichtsausdrucks leicht genickt. «Ja, Madame», hatte er gesagt, «ich habe ihn Ihnen zurückgebracht.» Er war beiseite getreten, und als ich hinausging, hatte ich den Ausdruck in Marys Augen gesehen, als John Cavendish seine Frau in die Arme nahm.

«Vielleicht haben Sie Recht, Poirot», sagte ich leise. «Ja, es ist das Wichtigste von der Welt.»

Plötzlich klopfte jemand an die Tür und Cynthia steckte den Kopf herein.

«Ich — ich wollte nur.»

«Kommen Sie herein», sagte ich und stand auf.

Sie kam herein, aber sie setzte sich nicht.

«Ich — ich wollte Ihnen nur etwas sagen.»

«Ja?»

Cynthia fingerte an einer kleinen Troddel herum und auf einmal brach es aus ihr heraus: «Ihr zwei Schätze!», und dann küsste sie zuerst mich und dann Poirot und rannte wieder aus dem Zimmer.

«Was in aller Welt soll denn das nun heißen?», fragte ich überrascht.

Ein Kuss von Cynthia war zwar sehr nett, aber so in aller Öffentlichkeit verlor diese Geste etwas von ihrem Charme.

«Das bedeutet, sie weiß jetzt, dass Monsieur Lawrence sie nicht so verabscheut, wie sie dachte», erwiderte Poirot gleichmütig.