Pompeius verlas Julius’ Berichte, und sogar er konnte den Hader kaum verstehen, der sich hinter den einfach gehaltenen Zeilen verbarg. Julius unternahm nichts, um seine Siege dem Senat zu verkaufen, aber der trockene Ton wurde durch all das, was nicht ausgesprochen wurde, umso eindrucksvoller. Pompeius las bis zu den abschließenden Bemerkungen alles vor, in denen Cäsar den Bericht dem Senat anvertraute und eine Schätzung der jährlichen Steuererträge aus den von ihm eingenommenen Gebieten abgab. Kein Laut war in der Curia zu vernehmen, als Pompeius bei der letzten Zeile angelangt war.
»Ich erkläre, dass Gallien befriedet ist und sich von nun an der rechtmäßigen Herrschaft Roms beugen wird.«
Die Senatoren erhoben sich von ihren Plätzen und brachen in spontanen Jubel aus, der so lange anhielt, bis sie heiser waren und Pompeius sie mit erhobener Hand wieder zur Ruhe mahnte.
Dann sprach Pompeius mit einer Stimme, die den gesamten Raum ausfüllte.
»Senatoren! Unsere Götter haben uns neues Land gewährt. Wir müssen uns als würdig erweisen, es zu regieren. So wie wir Spanien den Frieden gebracht haben, so werden wir ihn diesem noch wilderen Land bringen. Unsere Bürger werden Straßen bauen und die Felder bestellen, um unsere Städte zu versorgen. Sie werden in fernen Gerichtshöfen gehört werden, deren Autorität direkt von uns ausgeht. Wir werden ihnen Rom nicht durch die Stärke unserer Legionen bringen, sondern weil wir im Recht sind, und weil wir gerecht sind, und weil wir von den Göttern geliebt werden.«
»Befriedet? Du hast ihnen geschrieben, Gallien sei befriedet?«, fragte Brutus verwundert. »Es gibt ganze Landstriche in Gallien, in denen man noch nicht einmal von uns gehört hat! Was hast du dir dabei gedacht?«
Julius sah ihn finster an. »Wäre es dir lieber, ich hätte gesagt ›immer noch gefährlich, aber beinahe befriedet‹? Wohl kaum die richtigen Worte, um unsere Siedler über die Alpen zu holen, Brutus.«
»Ich hätte mir auch ›beinahe befriedet‹ verkniffen. Es entspräche mehr der Wahrheit, wenn du gesagt hättest, dass uns diese Wilden mehr als einmal beinahe den Garaus gemacht hätten. Jedenfalls öfter, als mir lieb ist. Dass sie sich seit Generationen gegenseitig bekämpft haben, bis sie in Rom einen gemeinsamen Feind gefunden haben, und dass wir gerade unsere Hand in das schlimmste Wespennest gesteckt haben, das mir jemals untergekommen ist. Das käme der Wahrheit eindeutig näher, Julius.«
»Schon gut, Brutus. Die Sache ist erledigt, und damit Schluss. Ich kenne die Lage ebenso gut wie du, und die Stämme, die noch nie einen römischen Soldaten zu Gesicht bekommen haben, werden uns früh genug kennen lernen, sobald wir das Land mit unseren Straßen durchziehen. Wenn mich der Senat als Eroberer Galliens ansieht, ist wenigstens nicht mehr die Rede davon, mich zurückzurufen, damit ich meine Schulden bezahle. Sollen sie doch das Gold zählen, das ich ihnen schicke und die Sklaven dazu benutzen, den Preis von Weizen und Mais zu senken. Und ich bin in der Lage, bis zum Meer durchzumarschieren und sogar noch weiter. Dies ist mein Weg, Brutus. Siehst du denn nicht, dass ich ihn gefunden habe? Hierfür wurde ich geboren. Ich verlange nicht mehr als noch ein paar Jahre, vielleicht fünf, dann ist Gallien wirklich befriedet. Du sagst, sie haben noch nie von uns gehört? Na schön, dann werde ich eben Länder erobern, von denen Rom nicht einmal weiß, dass es sie gibt! Ich sorge dafür, dass sich über ihre Städte ein Jupitertempel erhebt wie eine Marmorklippe. Ich bringe diesen Völkern, die in Dreck und Verwahrlosung leben, unsere Kultur, unsere Wissenschaft und unsere Künste. Ich führe unsere Legionen bis dorthin, wo das Land auf das Meer trifft, und darüber hinaus. Wer weiß, was jenseits dieser fernen Küsten liegt? Wir besitzen nicht einmal Landkarten von jenen Ländern, Brutus. Es gibt nur Legenden von den Griechen über die nebligen Inseln am äußersten Rand der Welt. Befeuert das nicht deine Phantasie?«
Brutus musterte seinen Freund, antwortete jedoch nicht, denn er wusste nicht, welche Antwort von ihm erwartet wurde. Er erlebte Julius nicht zum ersten Mal in dieser Stimmung, und manchmal konnte er ihn immer noch mitreißen. Doch in diesem Augenblick fing er an, sich zu sorgen, dass Julius womöglich kein Ende ihres Eroberungsfeldzuges ins Auge gefasst hatte. Sogar die Veteranen verglichen ihren jungen Feldherrn mit Alexander, Marcus Antonius tat es ganz offen. Als der stattliche Römer den Vergleich im Rat erwähnt hatte, war Brutus darauf gefasst gewesen, dass Julius die plumpe Schmeichelei entrüstet zurückweisen würde, doch der hatte nur gelächelt, Marcus Antonius an der Schulter gepackt und ihm Wein nachgeschenkt.
Die Ebene der Helvetier war erschlossen, die weiten Graslandschaften in einzelne Höfe für die Siedler aus Rom aufgeteilt worden. Julius hatte seine Versprechungen überstürzt ausgesprochen, und jetzt musste er im Feld bleiben, um sie zu erfüllen. Nur um seine Legionen in Silber auszuzahlen, war er gezwungen, Städte einzunehmen, nicht für den Ruhm zu kämpfen, sondern um die Truhen zu füllen und den Zehnten zurück an den Senat zu schicken. Brutus konnte kein Ende absehen und schien als Einziger in Julius’ Beraterstab allmählich an Sinn und Zweck des Krieges, den sie führten, zu zweifeln. Als Römer konnte er die Vernichtung akzeptieren, die der Vorbote des Friedens war; wenn es aber lediglich darum ging, Julius’ Verlangen nach Macht zu stillen, empfand er keine Freude mehr daran.
Julius wankte nie. Obwohl ihnen der Zusammenschluss der Belger im Frühjahr arg zugesetzt hatte, hatten die Legionen sich die Zuversicht ihres Heerführers zu eigen gemacht und die Belger gnadenlos hinweggefegt. Es war fast so, als wären sie alle vom Schicksal gesegnet, als könnten sie überhaupt nicht verlieren. Von Zeit zu Zeit wurde sogar Brutus davon angesteckt. Dann jubelte er dem Mann zu, der mit erhobenem Schwert vor ihnen stand, dessen eiserne Maske funkelte wie ein feindseliger Gott. Doch er kannte den Menschen dahinter, und er kannte ihn zu gut, als dass er schweigend hinter ihm hergetrottet wäre, so wie es die Legionäre taten. Obwohl sie ihre Siege durch ihre Kraft und Schnelligkeit errangen, sahen sie in Julius denjenigen, der für all das verantwortlich war. Solange er lebte, wussten sie, dass sie nicht geschlagen werden konnten.
Brutus seufzte leise. Vielleicht hatten sie Recht. Der gesamte Ostteil Galliens befand sich unter der Herrschaft der Legionen, Straßen wurden über Hunderte von Meilen gebaut. Rom wuchs dort buchstäblich aus dem Boden, und Julius war derjenige, der die blutige Saat des Wandels brachte. Er schaute seinen Freund an und sah dessen wilden Stolz. Abgesehen von dem lichter werdenden Haar und den Narben war er immer noch weitgehend derselbe, den er seit jeher kannte. Und doch sagten die Soldaten, er sei von den Göttern gesegnet. Seine Anwesenheit auf dem Schlachtfeld war mindestens eine ganze Kohorte wert, so sehr bemühten sie sich, gut für ihn zu kämpfen, und Brutus schämte sich seiner kleinlichen Bedenken und des verbliebenen Restes an Unwillen, gegen den er mit aller Macht ankämpfte.
Publius Crassus war der Befehl über zwei Legionen erteilt worden, um mit ihnen nach Norden zu marschieren, und Julius’ derzeitige Stimmung war der Tatsache geschuldet, dass der Sohn des Senators die Stämme in der Normandie dazu gebracht hatte, die Waffen zu strecken. Jetzt war der Weg zum Meer frei, und obwohl Brutus dagegen argumentiert hatte, fiel ihm nichts mehr ein, um Julius davon abzuhalten, seine geliebten Legionen zur Küste zu führen.
Julius’ Kriegsrat betrat den langen Raum in dem befestigten Lager. Auch diese Männer hatten sich während ihrer Zeit in Gallien verändert, stellte Brutus fest. Octavian und Publius Crassus hatten in den Jahren, die der Feldzug nun schon dauerte, die letzten Reste ihrer Jungenhaftigkeit verloren. Beide Männer wiesen Narben auf, aber sie hatten überlebt und waren stärker geworden. Ciro kommandierte seine Kohorte mit einer Ergebenheit für Julius, die Brutus an einen treuen Hund erinnerte. Während Brutus immer noch mit Domitius oder Renius über seine Zweifel reden konnte, war ihm aufgefallen, dass Ciro immer sofort den Raum verließ, sobald auch nur ein Hauch von Kritik laut wurde. Beide Römer betrachteten einander mit einer Abneigung, die nur um Julius’ Willen nicht offen zutage trat.