Wie wir vor ihm heucheln, dachte Brutus insgeheim. Solange Julius anwesend war, akzeptierten sie alle ihre Rollen als Brüder und ließen ihre persönlichen Auseinandersetzungen beiseite. Es war beinahe so, als könnten sie es nicht ertragen, dass er von ihnen enttäuscht war.
Julius wartete, bis der Wein eingegossen war, und legte seine Notizen vor sich auf den Tisch. Er kannte die Berichte bereits auswendig und brauchte die Aufzeichnungen nicht zu Rate zu ziehen. Selbst Brutus, der in seine Grübeleien abgetaucht war, spürte, dass er sich unter diesem blauen Blick ein wenig aufrichtete, und sah, dass die anderen genauso reagierten.
Letzten Endes sind wir alle seine Hunde, dachte Brutus und griff nach seinem Becher.
»Dein Vertrag mit den Venetern ist nichtig, Crassus«, sagte Julius zu dem jungen Römer.
Der Sohn des Senators schüttelte ungläubig den Kopf, und Julius redete weiter, um ihn von seiner Betroffenheit zu erlösen.
»Ich habe auch nicht erwartet, dass er lange hält. Sie sind auf See zu stark, um sich an uns gebunden zu fühlen. Das Abkommen diente lediglich dazu, sie still zu halten, bis wir in den Nordwesten vorgedrungen sind. Wenn ich jemals das Meer überqueren will, muss ich die Kontrolle über diese Küste haben.« Julius schaute in die Ferne, als erblicke er dort die Zukunft, dann riss er sich von dem Bild los. »Sie haben Legionäre der Kohorte, die du zurückgelassen hast, als Gefangene genommen und verlangen nun im Gegenzug die Freilassung ihrer Männer, die wir als Geiseln festhalten. Wenn wir sie wieder an den Verhandlungstisch bringen wollen, müssen wir sie auf See vernichten. Wahrscheinlich glauben sie, Rom kämpfe nur an Land, aber unter uns gibt es einige, die das besser wissen.«
Er machte eine Pause, damit seine Zuhörer leise lachen konnten, und sah Ciro lächelnd an.
»Ich habe Schiffsbauer und Zimmerleute angeheuert, um einen neuen Hafen und Schiffe zu bauen. Pompeius versorgt uns mit Mannschaften, die durch die Säulen des Herkules und um Spanien herumsegeln und im Norden zu uns stoßen. Das passt sehr gut zu meinen Plänen, außerdem dürfen wir es nicht zulassen, dass sie ihren Eid brechen. Mhorbaine berichtete mir, dass auch andere Stämme unruhig werden, dass sie jede Herausforderung mit Adleraugen beobachten und genau verfolgen, wie wir darauf reagieren.«
»Wie lange dauert es, bis die Schiffe fertig sind?«, wollte Renius wissen.
»Im kommenden Frühjahr sind sie fertig – wenn ich Mittel finde, um sie zu bezahlen. Ich habe eine Anfrage an den Senat losgeschickt und ihn gebeten, für unsere neuen Legionen zu bezahlen. Crassus hat mir versichert, dass er mir das Geld leiht, falls der Senat sich weigert, aber wir haben allen Grund zu der Annahme, dass man in Rom mit unseren Fortschritten hier mehr als zufrieden ist. Vielleicht wird auch der Winter in diesem Jahr nicht so hart, so dass wir in den dunklen Monaten mit unseren Vorbereitungen fortfahren können.«
Julius trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
»Ich habe einen Einzelbericht von einem Kundschafter am Rhein. Mehrere germanische Stämme haben den Fluss überquert und sind in unser Gebiet eingedrungen. Sie müssen zurückgeworfen werden. Ich habe fünf Haeduer hingeschickt, um den Bericht zu bestätigen und ihre Anzahl zu schätzen. Ich will sie stellen, bevor sie zu weit in unser Land eindringen. Sobald sie geschlagen sind, habe ich vor, den Fluss zu überqueren und sie zu verfolgen, so wie ich es schon mit den Sueben hätte tun sollen. Ich darf nicht zulassen, dass die wilden Stämme jedes Mal über den Fluss kommen und unsere Flanken attackieren, sobald sie eine Schwäche wittern. Ich will ihnen eine Antwort präsentieren, die sie eine Generation lang nicht vergessen, und den Rhein nach meiner Rückkehr hinter mir abriegeln.«
Er sah sich in der Runde um, während die anderen die Neuigkeiten verdauten.
»Wir müssen rasch reagieren und jede Bedrohung sofort im Keim ersticken. Wenn zu diesem Zeitpunkt auch nur noch eine Störung eintritt, müssen wir unsere Kräfte von einem Ende Galliens bis zum anderen ausdehnen. Ich führe meine Zehnte und die Dritte Gallica unter Brutus zum Rhein. Eine der neuen gallischen Legionen begleitet uns und hält uns den Rücken frei. Gegen einen solchen Feind gibt es keine Loyalitätskonflikte. Mhorbaine hat mir noch einmal seine Kavallerie zugesichert. Der Rest von euch handelt unabhängig und in meinem Namen.
Crassus, ich erwarte, dass du abermals in den Nordwesten ziehst und die Landtruppen der Veneter vernichtest. Verbrenne ihre Schiffe oder zwinge sie zumindest, sich von der Küste zu entfernen, und hindere sie daran, sich an Land mit Nachschub zu versorgen. Domitius, du nimmst zur Unterstützung die Vierte Gallica mit. Marcus Antonius, du bleibst mit deiner Legion hier. Die Zwölfte und die Fünfte Ariminum bleiben bei dir. Du bildest mein Zentrum, und ich erwarte von dir, dass du keines der neu hinzugewonnenen Gebiete verlierst, solange ich weg bin. Gehe mit Umsicht vor, aber schlage zu, falls es nötig sein sollte.
Die letzte Aufgabe ist einfach, Bericus. Deine Ariminum-Legion hat eine Pause verdient, und ich brauche einen guten Mann, der die neuen Siedler über die Alpen begleitet. Der Senat entsendet vier Prätoren als Verwalter der neuen Provinzen. Sie müssen vor Ort in die Gegebenheiten eingewiesen werden.«
Bericus stöhnte und verdrehte die Augen, so dass Julius lachen musste. Der Gedanke, Kindermädchen für Tausende unerfahrene römische Siedler zu spielen, war nicht gerade eine erstrebenswerte Aufgabe, aber er war ein verlässlicher Organisator, und Julius hatte die Wahrheit gesprochen, als er sagte, die Legion habe es redlich verdient, dem fast pausenlosen Kampfgeschehen eine Weile fern zu bleiben.
Julius fuhr mit seinen Anweisungen und Verfügungen fort, bis jeder Anwesende über die Versorgungslinien sowie das Ausmaß seiner Befugnisse Bescheid wusste. Er lächelte, wenn sie ihm klug antworteten, und er beantwortete jede Nachfrage mit der umfassenden Kenntnis, die sie inzwischen von ihm erwarteten. Die Legionäre behaupteten, er kenne den Namen eines jeden Mannes unter seinem Kommando, und ob das nun stimmte oder nicht, Julius hatte jeden Aspekt des Legionslebens gemeistert. Er war niemals um eine rasche, klare Antwort verlegen, was wiederum das Vertrauen der Männer in ihn stärkte.
Brutus sah sich am Tisch um und fand nichts als Entschlossenheit in den Gesichtern derjenigen, die Aufgaben zugeteilt bekommen hatten, welche große Entbehrungen, Schmerzen und vielleicht sogar den Tod für einige oder gar alle von ihnen bedeuteten. Als Julius die Landkarten ausbreitete und anfing, im Einzelnen über Geländebeschaffenheit und Versorgungsprobleme zu reden, beobachte Brutus ihn genau und hörte seine Worte kaum. Wie viele der Männer in diesem Raum würden Rom wohl wiedersehen, fragte er sich. Als Julius die Linie des Rheins mit dem Finger entlangfuhr und sie in seine Überlegungen einweihte, konnte sich Brutus nicht vorstellen, dass der Mann, dem er folgte, jemals aufgehalten werden würde.
32
Am ersten Herbsttag von Julius’ viertem Jahr in Gallien gingen Pompeius und Crassus gemeinsam über das Forum, tief ins Gespräch versunken. Rings um sie herum wimmelte es auf dem großen, offenen Platz im Zentrum der Stadt von Tausenden von Bürgern und Sklaven. Redner wandten sich an diejenigen, die sich zum Zuhören bewegen ließen, und ihre Stimmen und Parolen trugen weit über die Köpfe der Menge. Sklaven aus wohlhabenden Häusern waren mit Paketen oder Schriftrollen für ihre Herren unterwegs. Es war in Mode gekommen, Haussklaven in leuchtende Farben zu kleiden, deshalb trugen viele von ihnen hellblaue oder goldene Tuniken, eine Unzahl von Farbtönen, die sich mit dem dunkleren Rot und Braun der Arbeiter und Krämer vermischten. Bewaffnete Leibwächter schritten gewichtig einher, wobei jede Gruppe ihren Arbeitgeber in ihrer Mitte führte. Es war das geschäftige, hastig pulsierende Herz der Stadt, und weder Pompeius noch Crassus bemerkten, wie die Stimmung der sie umgebenden Menge sich kaum wahrnehmbar veränderte.