Julius überlegte, was er mit dem gefangenen König tun sollte. Wenn er ihn am Leben ließ, war es gut möglich, dass er irgendwann in den kommenden Jahren als Anführer einer Rebellion abermals auf den Plan trat. Des Königs Fähigkeiten schlossen Erbarmen aus, und Julius beschloss sein Schicksal ohne Bedauern.
Als die Stadt der Senonen in Sichtweite kam, betrachtete Julius sie mit Wohlgefallen und stellte sich bereits die Tempel darin vor. Es war bekannt, dass die Senonen ihrer Liebe für die Götter mit Münzen und Schmuck Ausdruck verliehen und über viele Jahre ganze Räume voller Schätze angesammelt hatten. Nachdem die Goldschmiede der Legion das Edelmetall in Barren eingeschmolzen und daraus neue Münzen geprägt hatten, würde Julius jedes Wohnhaus und jedes öffentliche Gebäude seiner Schätze berauben lassen. Er würde die Menschen verschonen und unter dem Schutz der Legion am Leben lassen, aber er brauchte ihren Reichtum, um weitermachen zu können.
Aus der Ebene wehte ihm ein kalter Wind ins Gesicht. Julius fröstelte im ersten Hauch eines neuen Winters. Er kniff die Augen zusammen und blickte nach Osten, dachte an die Alpen und an die Entfernung, die er zurücklegen musste. Zum ersten Mal würde er die kalten Monate nicht in Gallien verbringen. Stattdessen wollte er nach Ariminum und dort bei einer Zusammenkunft über die Zukunft entscheiden.
Crassus’ Brief knisterte beim Reiten auf seiner Haut. Julius hoffte nur, dass er den Versprechungen des alten Mannes noch immer vertrauen konnte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, zurückgerufen zu werden, nicht jetzt, da ganz Gallien offen vor ihm lag. Die Inseln jenseits des Meeres verfolgten ihn in seinen Träumen. Manche behaupteten immer noch, sie existierten überhaupt nicht, aber Julius hatte auf den Klippen der gallischen Küste gestanden und sie weiß in der Ferne schimmern sehen.
Die Stadt der Senonen ergab sich, die Tore wurden aufgerissen. Julius ritt unter den Torbogen ein, in Gedanken bereits in Ariminum und weit in der Zukunft.
33
Die Legionswachen auf den Mauern von Ariminum waren gut gegen die Kälte geschützt. Als die Nacht hereinbrach, legten sie schwere Umhänge über ihre Rüstungen und wickelten sich Stoffstreifen um die Gesichter, bis nur noch ein schmaler Sehschlitz frei blieb.
Entlang der Brustwehr wurden Feuer in großen Kohlenpfannen entzündet, um die sich die Legionäre stellen durften. Die meisten von ihnen waren frische Rekruten, die aus den Städten im Süden hierher verlegt worden waren, um diejenigen zu ersetzen, die für Cäsar in Gallien kämpften. Ihre Jugend zeigte sich in den gemurmelten neunmalklugen Sprüchen und den streng verbotenen Flaschen mit Branntwein, der sie nach Luft schnappen, husten und einander auf den Rücken klopfen ließ.
Ariminum war eine geschäftige Stadt. Nachdem sich die Winternacht über die Straßen gesenkt hatte, brannten nur wenige Lichter in den Fenstern. Noch vor dem Morgengrauen würden sich die Straßen wieder mit Karren und Waren für die Schiffe füllen. Unterwegs in einen neuen Tag würden die Händler für eine Bronzemünze ein paar warme Bissen erstehen, und dann würden auch die Legionäre auf den Mauern abgelöst werden.
Vor dem Hintergrund der schweigenden Stadt blickte eine der Wachen auf und spähte angestrengt in die Dunkelheit.
»Ich dachte, ich hätte da draußen Pferde gehört«, sagte er.
Zwei weitere Soldaten verließen die Wärme rings um die Kohlenpfanne und gesellten sich zu ihm. Sie lauschten in die vollkommene Stille, und gerade als sie sich wieder umdrehen wollten, hörten sie etwas. In dem eigenartigen Schweigen, das von gefrorenem Boden ausging, trugen Geräusche weiter als normal.
Der jüngste Wachsoldat kniff die Augen zusammen und bewegte den Kopf hin und her. Außerhalb der Mauern gab es nichts als Dunkelheit, trotzdem hätte er schwören können, dass sich diese Dunkelheit jedes Mal verändert hatte, wenn er den Blick auf sie richtete.
Die Schatten verschmolzen zu Umrissen, und der junge Legionär erstarrte. Dann zeigte er mit dem Finger ins Dunkel.
»Dort! Reiter ... kann nicht erkennen, wie viele.«
Die anderen hatten nicht so gute Augen und starrten lediglich auf die Stelle, auf die er zeigte.
»Sind das welche von uns?«, fragte einer von ihnen, um seine Angst zu verbergen. In seiner Phantasie wimmelte es von barbarischen Stammeskriegern, die die Stadtmauern erstürmten. Es schien noch kälter zu werden, und er erschauerte.
»Keine Ahnung. Sollen wir den alten Beißer holen?«
Die Frage ließ die drei jungen Soldaten verstummen. Die Möglichkeit eines Überfalls war eine Sache, ihren Zenturio wegen nichts und wieder nichts aufzuwecken hieß, sich seinem Zorn auszusetzen.
Teras war der Älteste von ihnen. Er hatte nicht mehr Erfahrung als die anderen, denn er hatte sich erst spät anwerben lassen, nachdem er es als Kaufmann nicht zu Reichtum gebracht hatte. Trotzdem sahen sie ihn Rat suchend an, wie sie es auch taten, wenn es um Geld und junge Frauen ging. Er wusste zwar weder über das eine noch über das andere Thema besonders gut Bescheid, umgab sich jedoch stets mit einem Anflug von Weltgewandtheit, der gewaltigen Eindruck auf die jüngeren Rekruten gemacht hatte.
Während er noch zögerte, kam der Reitertrupp näher. In das leise Klirren und Scheppern von Rüstungen mischte sich der gleichmäßigen Schritt marschierender Männer. Der Nachtwind riss an langen Bannern, die unwirsch flatterten, als die dunklen Gestalten auf das Tor zuschritten.
»Na schön. Holt ihn«, sagte Teras und biss sich besorgt auf die Unterlippe.
»Torwache!«, rief eine Stimme unter ihnen. Die Wachen nahmen steif Haltung an, so wie sie es gelernt hatten.
»Das Tor ist geschlossen. Kommt morgen wieder«, rief einer der Wachsoldaten, und seine Gefährten verbissen sich das Lachen.
Das war wohl einer, den man erst nach einer Branntweinflasche hätte durchsuchen sollen, bevor er seinen Wachdienst angetreten hat, dachte Teras verbittert. Er hätte den jungen Dummkopf am liebsten geschlagen, aber die Worte waren ausgesprochen. Teras schloss die Augen und wartete, während von unten viel sagendes Schweigen heraufdrang.
»Ich finde denjenigen, der das gesagt hat, und trete ihm den Hintern zu Brei«, sagte dieselbe Stimme wie zuvor, jetzt aber mit einer Mischung aus Belustigung und Zorn. »Macht jetzt sofort das Tor auf!«
Teras wandte sich den Männern am Querriegel unter ihm zu. Manchmal wünschte er, er wäre Kaufmann geblieben, auch wenn er dabei stets mehr Geld verloren als eingenommen hatte.
»Aufmachen!«, rief er hinunter. Die jungen Männer sahen mit besorgten Gesichtern zu ihm herauf.
»Sollten wir nicht lieber warten, bis ...«
»Ach, macht einfach auf. Es ist kalt, und das da draußen sind Römer. Glaubst du wirklich, Barbaren würden warten, bis wir hier zu Ende gestritten haben?«
Gegen Ende war seine Stimme immer lauter geworden, und seine Wut drang besser als alles andere bis zu ihnen durch. Die schweren Querriegel wurden zur Seite geschoben und das Tor vorsichtig aufgezogen.
Brutus ritt als Erster hindurch und drückte dem nächstbesten Wächter die Zügel seines Pferdes in die Hand.
»Also gut. Wo ist dieser vorlaute Schwachkopf auf der Mauer?«
Teras sah einen weiteren Reiter durch das Tor kommen, ebenso dick vermummt wie die Wachen oben. Trotzdem war er eine imposante Erscheinung, und Teras sah deutlich, wie die Männer hinter ihm geduldig warteten, bis er das Tor passiert hatte. Ein Offizier. Die konnte Teras auf eine Meile Entfernung ausmachen.
»Wir haben keine Zeit«, sagte der Mann mit klarer Stimme. »Ich bin ohnehin spät dran.«
Brutus nickte kurz, warf ein Bein über das Pferd und schwang sich wieder in den Sattel. Der Offizier wartete nicht auf ihn, sondern trieb sein Pferd an und trabte durch die dunklen Straßen. Die anderen folgten ihm wortlos.
Bis der Beißer die Mauer erklommen hatte und neben ihm stand, zählte Teras eine volle Zenturie. Das Tor wurde hinter ihnen sorgfältig verrammelt, und die jungen Wachen nahmen wieder ihre Positionen ein. Keiner wagte es, ihrem Zenturio in die Augen zu sehen.