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Vor dem Frühling konnten sie nicht nach Gallien zurück; das war ihm von Anfang an klar gewesen. Sobald die Alpen unpassierbar waren, konnte kein Lebewesen mehr auf die andere Seite. Kurzzeitig hatte Julius daran gedacht, nach Rom zu gehen, die Idee aber wieder verworfen. Wenn er nicht sicher sein konnte, die Reise unerkannt machen zu können, stellte er mit nur einer Zenturie als Schutz eine viel zu große Versuchung für seine Feinde dar. Rom war ebenso unerreichbar wie die Gebiete jenseits der Alpen, und Julius kämpfte bei dem Gedanken, mehrere Monate in den tristen Straßen von Ariminum verbringen zu müssen, ein beklemmendes Gefühl nieder.

Wenigstens kamen seine Briefe nach Rom durch, dachte er. Außerdem konnte er die Schiffswerften aufsuchen und die Arbeiten an der Flotte, die er in Auftrag gegeben hatte, überwachen. Es war wohl eine eitle Hoffnung zu erwarten, dass sie die Schiffe herausgaben, bevor er mehr als die bereits geleisteten Zahlungen tätigte, ganz egal, was er ihnen auch versprach. Ohne sie würden sich seine Pläne, das Meer zu überqueren, jedoch verzögern, vielleicht sogar um ein volles weiteres Jahr.

Er seufzte. In Gallien würde es immer irgendeine Schlacht zu schlagen geben. Selbst wenn ein Stamm seinen Tribut für zwei Sommer gezahlt hatte, war es möglich, dass er im dritten seine Fahnen wieder in den harten Boden rammte und den Römern den Krieg erklärte. Wenn er sie nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten wollte, musste Julius notgedrungen der Tatsache ins Auge sehen, dass derartige Aufstände während seiner gesamten Zeit in Gallien immer wieder aufflammen könnten. Die Gallier waren ein zähes Volk, das sich nicht so einfach niederhalten ließ.

Seine Augen wurden kalt, als er über die Stämme nachdachte. Sie waren so ganz anders als die Männer und Frauen, die er als Junge in Rom gekannt hatte. Sie sangen und lachten viel öfter, trotz ihres kurzen, entbehrungsreichen Lebens. Julius erinnerte sich, wie verwundert er gewesen war, als er zum ersten Mal zusammen mit Mhorbaine der uralten Mär eines Geschichtenerzählers gelauscht hatte. Vielleicht war einiges bei Adàns Übersetzung verloren gegangen, doch Julius hatte in den Augen altgedienter Krieger echte Tränen gesehen, und am Ende der Geschichte hatte Mhorbaine geweint wie ein Kind, ohne sich im Mindesten zu schämen.

»Woran denkst du?«, fragte Servilia. »Du siehst so grausam aus, wie du da sitzt.«

Julius suchte den Blick ihrer dunklen Augen und zwang sich zu einem Lächeln.

»Ich habe gerade an die Lieder der Gallier gedacht.«

Sie verzog schmollend den Mund und setzte sich neben ihm auf, das Kissen im Rücken. Das Feuer war längst erloschen, und mit einem Frösteln zog sie die Decken über ihre Schultern, bildete ein Nest aus Stoff, aus dem sie ihn ansah.

»Ich lege dreihundert Meilen zurück und stürze mich in eine Nacht wilder Vergnügungen mit dir, und du denkst immer noch an irgendwelche ungewaschenen Wilden? Du erstaunst mich.«

Er lachte leise, legte einen Arm um sie und zog das ganze Bündel an seine Brust.

»Es ist mir egal, weshalb du gekommen bist. Ich bin nur froh, dass du es getan hast«, sagte er.

Das schien ihr zu gefallen. Sie legte den Kopf nach hinten und wollte geküsst werden. Julius drehte den Kopf halb zur Seite, um ihrem Wunsch nachzukommen, und der Duft ihres Parfums beschwor sofort die Leidenschaft und die Unschuld der Vergangenheit wieder herauf. Es war fast zu schmerzlich.

»Ich habe dich vermisst«, sagte sie. »Sehr sogar. Ich wollte dich wiedersehen.«

Julius sah sie an und rang mit seinen Gefühlen. Einerseits wollte er wütend auf sie sein. Sie hatte ihm so viel Kummer bereitet, dass er sie lange gehasst hatte, zumindest hatte er sich das eingeredet. Trotzdem hatte er in der vergangenen Nacht nach jenem ersten Augenblick nicht gezögert. Alle seine innerlichen Einwände und Wunden waren wie weggewischt, und er kam sich wieder so verwundbar vor wie jeder andere junge Tölpel.

»Dann bin ich für dich also lediglich ein nächtlicher Zeitvertreib?«, fragte er. »Du schienst keinerlei Zweifel zu haben, als ich dein Haus in Rom verlassen habe.«

»Ich hatte Zweifel, selbst damals. Hätte ich dich nicht weggeschickt, wärst du es schon bald leid gewesen, eine alte Frau in deinem Bett zu haben. Unterbrich mich nicht, Julius. Wenn ich es nicht ausspreche, bin ich vielleicht nicht in der Lage ...«

Er wartete, während sie in die Dunkelheit starrte. Eine ihrer Hände verkrampfte sich langsam in der dicken Decke, die sie beide einhüllte.

»Wenn du einen Sohn möchtest, Julius, so kann ich dir keinen geben. Nicht mehr.«

Julius zögerte, bevor er antwortete. »Bist du sicher?«

Sie hob den Blick und seufzte. »Selbstverständlich bin ich sicher. Ich war mir schon sicher, als du Rom verlassen hast. Vielleicht denkst du ja bereits an Kinder, die deinen Namen weiterführen sollen. Du wirst dir ein junges Mädchen mit breiten Hüften suchen, die sie dir schenkt, und mich wirst du wegwerfen.«

»Ich habe meine Tochter«, rief er ihr in Erinnerung.

»Einen Sohn, Julius! Möchtest du keine Söhne haben, die in deine Fußstapfen treten? Wie oft habe ich dich von deinem eigenen Vater reden hören? Du wärst niemals mit einer Tochter zufrieden, die nicht einmal den Fuß in den Senat setzen darf. Eine Tochter, die keine Legionen für dich anführen kann.«

»Deshalb hast du mich verlassen?«, fragte er. Endlich begriff er. »Ich kann in jeder Familie Roms eine Ehefrau finden, die meine Linie weiterführt. Dadurch würde sich zwischen uns nichts ändern.«

Servilia schüttelte müde den Kopf. »Doch, Julius. Unausweichlich. Du würdest mich für jede Stunde, die wir zusammen verbringen, schuldbewusst ansehen. Das könnte ich nicht ertragen.«

»Warum bist du dann hergekommen?«, wollte er mit jähem Zorn wissen. »Was hat sich für dich geändert, dass du zu mir gekommen bist und alles wieder auf den Kopf gestellt hast?«

»Nichts hat sich verändert. Es gibt Tage, an denen ich kein einziges Mal an dich denke, und dann gibt es wieder andere, an denen du mir nicht aus dem Kopf gehst. Als mir Crassus erzählt hat, dass er sich mit dir treffen wollte, bin ich einfach mitgekommen. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen. An deiner Seite erwartet mich eine unglückliche Zukunft.«

»Weißt du was? Ich verstehe dich überhaupt nicht«, sagte Julius leise und berührte ihr Gesicht. »Ich mache mir nichts aus Söhnen, Servilia. Falls es irgendwann einmal so weit sein sollte, suche ich mir dafür die Tochter eines Senators. Solange du mein bist, werde ich keine andere lieben.«

Sie schloss die Augen, und im ersten Licht des Morgens sah er, wie Tränen über ihre Wangen rollten.

»Ich hätte nicht kommen dürfen«, flüsterte sie. »Ich hätte dich allein lassen sollen.«

»Ich war allein«, sagte er und zog sie an sich, »aber jetzt bist du hier bei mir.«

Die Wintersonne war bereits aufgegangen, als Julius im kleinen Innenhof des Anwesens auf Brutus traf, der in ein Gespräch mit Crassus über die Unterkünfte für die Zenturie der Zehnten vertieft war. Sie hatten den zehn Pferden, die sie aus Gallien mitgebracht hatten, in der Nacht im Hof die Vorderbeine gefesselt und sie mit dicken Decken vor der Kälte geschützt. Brutus hatte ihre Futterbeutel mit Getreide aufgefüllt und die dünne Eisschicht durchstoßen, die sich auf den Wassereimern gebildet hatte. Als er Schritte hörte, blickte Brutus auf.

»Ich würde mich gern mit dir unter vier Augen unterhalten«, sagte Julius.

Crassus wusste sofort, worum es ging, und ließ die beiden allein. Brutus begann, mit langen Bewegungen das zottige Winterfell der Pferde zu striegeln.