»Was gibt’s?«, fragte er.
»Deine Mutter ist hier«, sagte Julius.
Brutus hielt inne und sah ihn an. Er begriff, und seine Züge verhärteten sich.
»Will sie mich besuchen ... oder dich?«
»Uns beide, Brutus.«
»Du erhebst also die Faust gegen meine Mutter, und jetzt kommt sie wieder in dein Bett gekrochen! So ist es doch, oder?«
»Denk doch wenigstens einmal nach, bevor du mit mir sprichst. Ich lasse mir deinen Zorn nicht noch einmal gefallen, Brutus, das schwöre ich. Noch ein Wort in diesem Ton, und ich lasse dich hier in diesem Hof hängen. Und ich ziehe dich eigenhändig hinauf!«
Brutus drehte sich zu ihm um, und Julius sah, dass er unbewaffnet war. Er war froh darüber. Er sprach mit einer entsetzlichen Langsamkeit, als würde jedes Wort aus ihm herausgepresst.
»Weißt du, Julius, ich habe dir sehr viel gegeben. Weißt du eigentlich, wie viele Schlachten ich für dich gewonnen habe? Ich bin in all den Jahren meines Lebens dein Schwert gewesen, und ich war dir gegenüber stets loyal. Aber sobald du den ersten Anflug von Zorn verspürst, drohst du mir mit dem Strick?«
Er beugte sich dicht an Julius heran.
»Du vergisst dich. Ich war von Anfang an dabei. Und was hat mir das eingebracht? Preist du meinen Namen so wie den von Marcus Antonius? Gibst du mir die rechte Flanke, wenn ich mein Leben für dich riskiere? Nein, du kommst hier herausspaziert und behandelst mich wie deinen Hund.«
Julius konnte die bleiche Wut, die er vor sich sah, lediglich anstarren. Brutus’ Mund war verzerrt vor bitterem Hohn.
»Wie du willst, Julius. Du und sie, ihr beide geht mich nichts an. Das hat sie mir schon einmal unmissverständlich klar gemacht. Aber ich werde nicht hier bleiben und zusehen, wie du den Winter damit verbringst ... eure Beziehung zu erneuern. Ist das für dich freundlich genug ausgedrückt?«
Einen Augenblick lang konnte Julius ihm nicht antworten. Er suchte nach Worten, mit denen er den Schmerz seines Freundes lindern konnte, doch nach seinen Drohungen wären sie wertlos gewesen. Schließlich schob er das Kinn vor und verschanzte sich hinter Kälte.
»Wenn du gehen willst, halte ich dich nicht auf«, sagte er.
Brutus schüttelte den Kopf. »Nein, es wäre für euch ja auch nicht angenehm, mich hier als Zeugen um euch zu haben. Ich gehe bis zum Frühling nach Rom. Hier hält mich nichts.«
»Wenn es das ist, was du willst«, sagte Julius.
Brutus antwortete nicht, sondern nickte nur, drehte sich um und fing wieder an, das Pferd zu striegeln. Julius blieb in schmerzlichem Schweigen stehen. Er wusste, dass er etwas sagen musste. Brutus redete leise auf sein Pferd ein, schob ihm sanft das metallene Gebiss ins Maul. Als er aufstieg, blickte er auf den Mann herab, den er mehr als jeden anderen verehrte.
»Wie endet es diesmal, was meinst du? Wirst du sie wieder schlagen?«, fragte er.
»Das geht dich nichts an«, erwiderte Julius.
»Es gefällt mir nicht, dass du sie wie eine deiner Eroberungen behandelst, Julius. Ich frage mich, wann du wohl genug hast. Selbst Gallien reicht dir nicht, du musst noch mal zwanzig Schiffe bauen lassen. Feldzüge müssen irgendwann einmal zu Ende sein, oder hat dir das niemand gesagt? Legionen müssen heimkehren, wenn der Krieg vorbei ist, und nicht den nächsten Krieg suchen, und dann noch einen.«
»Geh nach Rom! «, erwiderte Julius. »Bleib den Winter über dort. Aber vergiss nicht, dass ich dich im Frühjahr wieder brauche.«
Brutus entrollte einen Pelzumhang und legte ihn sich fest um die Schultern. Er hatte genug Geld im Beutel, um auf der Reise nach Süden Verpflegung zu kaufen, und er wollte fort. Doch als er die Zügel in die Hand nahm und in das unglückliche Gesicht seines Freundes hinabschaute, wusste er, dass er dem Pferd nicht einfach die Sporen geben und ohne ein weiteres Wort davonreiten konnte.
»Ich werde da sein«, sagte er.
Am folgenden Morgen reisten auch Crassus und Pompeius nach Rom zurück und überließen Julius das Haus. Innerhalb einer Woche hatte er sich daran gewöhnt, am Vormittag mit Adàns Hilfe Briefe und Berichte zu verfassen und den Rest des Tages mit Servilia zu verbringen. Er besuchte mit ihr die Werften im Westen, und in jenen Wochen kamen sie sich wie ein frisch verheiratetes Paar vor. Julius war unendlich dankbar, dass sie zu ihm gekommen war. Nach den erschöpfenden Feldzügen in Gallien war es die reinste Freude, die Theater einer römischen Stadt zu besuchen und auf den Marktplätzen die eigene Sprache aus jedem Mund zu vernehmen. Er sehnte sich danach, Rom wiederzusehen, aber selbst in Ariminum musste er sich vorsehen. Wenn die hiesigen Geldverleiher herausfanden, dass er wieder in der Stadt war, würden sie ihn mit ihren Forderungen bedrängen, dabei war ihm kaum genug geblieben, um seine Männer über den Winter zu bringen.
Julius wusste, dass sein einziger Vorteil darin bestand, dass Männer wie Herminius mehr an seinem Geld als an seinem Blut interessiert waren. Wenn man ihn festnahm und in die Hauptstadt brachte, hatte niemand etwas davon. Trotzdem trugen seine Männer in der Öffentlichkeit Mäntel über ihren leicht zu erkennenden Rüstungen, und Julius mied die Häuser derjenigen, die ihn erkennen könnten.
Er genoss Servilia, und ihre Liebesspiele waren wie Wasser in der Wüste. Er konnte seinen Durst kaum stillen, ihr Duft war ständig auf seiner Haut und in seiner Lunge. Als der Winter allmählich verging und die Tage länger wurden, verursachte ihm der Gedanke, dass er sie bald verlassen musste, beinahe körperliche Qualen. Ab und zu dachte er daran, sie mitzunehmen oder dafür zu sorgen, dass sie ihn in den neuen Ländern, die er für Rom in Besitz nahm, besuchte. Tausende anderer Siedler beackerten bereits große Flächen jungfräulichen Bodens, so dass er ihr zumindest einen gewissen Komfort versprechen konnte.
Es war nur ein Traum, das wussten sie beide, auch wenn sie davon träumten, ein kleines Haus für sie in einer der römischen Provinzen einzurichten. Servilia konnte die Stadt ebenso wenig verlassen wie der Senat. Sie war ein Teil von ihr. Ohne die Stadt war sie verloren.
Durch sie erfuhr Julius, wie weit Clodius und Milo sich die Herrschaft über die ärmeren Stadtviertel gesichert hatten. Er hoffte, dass Pompeius’ Vertrauen nicht enttäuscht würde, und schrieb ihm noch einen Brief, in dem er ihm seine Unterstützung zusicherte, falls dieser eine Abstimmung zur Diktatur erzwingen wollte. Obwohl Julius wusste, dass er dem Mann niemals vollständig vertrauen konnte, gab es doch wenige andere, die die Kraft und die Fähigkeit hatten, die ungestüme Stadt zu bändigen; sein Angebot war ernst gemeint. Pompeius als Diktator war der Anarchie jederzeit vorzuziehen.
Als die Kälte des Winters nachließ, war Julius die blasse Imitation Roms, die Ariminum letztendlich darstellte, bereits leid. Er konnte es kaum erwarten, dass der Schnee in den Bergen schmolz, obgleich das Ende des Winters auch eine verdrängte Schuld und eine geheime Angst mit sich brachte. Jeder Tag, der verging, brachte ihn dem Augenblick näher, an dem entweder sein ältester Freund zurückkehren oder er die Berge ohne ihn überqueren musste.
35
Auf dem letzten Abschnitt seines Ritts nach Rom hatte Brutus den Mantel abgelegt. Obwohl die Luft immer noch frisch war, fehlte ihr der Biss des gallischen Winters, außerdem hielt ihn die Anstrengung des Reitens warm. Sein ursprüngliches Pferd hatte er längst bei der ersten Legionsstation auf der Via Flaminia zurückgelassen. Er hatte dafür gezahlt, dass der Wallach gut versorgt wurde, und würde ihn auf dem Rückweg wieder abholen. Dieses System erlaubte ihm, alle 30 Meilen ein frisches Pferd zu übernehmen, und so hatte er die Reise in nur sieben Tagen bewältigt.
Nach der ersten Freude beim Eintritt durch das Stadttor hatte sich über alles ein Schatten gelegt, als er sich seine Umgebung näher betrachtet hatte. Rom sah in mancherlei Hinsicht aus wie immer, aber seine soldatischen Instinkte hatten ihn sofort aufmerken lassen. Alexandrias Briefe hätten ihn auf die Veränderungen vorbereiten sollen, aber es war ihr nicht gelungen, die Stimmung blanker Panik zu übermitteln, die in der Luft lag. Die Hälfte der Männer, denen er begegnete, war auf die eine oder andere Weise bewaffnet. Einem geübten Auge fiel so etwas sofort auf. Mit einer verborgenen Klinge ging man anders, und Brutus spürte eine Anspannung, die er auf den Straßen seiner Heimatstadt noch nie zuvor erlebt hatte. Niemand hielt sich an den Straßenecken auf und plauderte. Rom kam ihm beinahe vor wie eine belagerte Stadt, und unbewusst übernahm er auf seinem eiligen Weg zu Alexandrias Laden das Verhalten der Menschen.