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Mit leisem Stöhnen streckte Brutus sein Bein aus und kratzte die violette Linie, die sich oberhalb des Knies fast bis zur Leiste zog. Eine ähnliche Naht über dem Schlüsselbein war Beweis dafür, wie nahe er in seinem unbändigen Wüten dem Tod gekommen war. Beide Wunden waren verschmutzt gewesen und hatten sich entzündet. Von der ersten Woche auf dem Landgut wusste er so gut wie nichts mehr. Clodia meinte, er habe Glück, dass er nicht das Bein verloren hatte, doch schließlich hatte sich die Wunde doch geschlossen, auch wenn die Stiche schrecklich juckten. Verschwommene Bilder stiegen in ihm auf ... wie er mit nassen Tüchern gewaschen wurde, und er verzog beschämt das Gesicht. Julia war zu einer jungen Frau herangewachsen, hatte mehr als nur einen Hauch der Schönheit ihrer Mutter geerbt. Wahrscheinlich hatte Alexandria wegen seiner Behandlung unter vier Augen mit ihr gesprochen. Jedenfalls war sie etliche Tage nicht in seine Nähe gekommen, und wenn er sie irgendwo erblickte, hatten ihre Augen aufgeblitzt wie damals Cornelias, wenn sie wütend war. Danach hatte nur noch Alexandria ihm Schweiß und Schmutz abgewaschen.

Brutus lächelte reumütig. Alexandria behandelte ihn wie ein krankes Pferd, rieb ihn mit einer derben Gleichmut ab, so dass seine Haut hinterher regelrecht brannte. Er war erleichtert gewesen, als er endlich wieder kräftig genug war, um es bis in die Baderäume zu schaffen und sich allein zu waschen. Nur ein paar Tage länger, und sie hätte ihm die Haut vom Körper geschrubbt.

Im Wald war es friedlich. Ein Vogel sang in einem nahen Baum, und vor seinem geistigen Auge sah er zwei kleine Jungen auf dem gewundenen Pfad zwischen den Büschen davonlaufen, die es kaum erwarten konnten, erwachsen zu werden. Damals war Freundschaft etwas Unkompliziertes gewesen, das Julius und er als selbstverständlich hingenommen hatten. Brutus erinnerte sich daran, wie sie ihre blutigen Hände aneinander gepresst hatten, als ließe sich das ganze Leben auf einfache Gelöbnisse und Handlungen reduzieren. Es war eigenartig, auf diese Tage zurückzublicken, nachdem so viel geschehen war. Manchmal war er stolz auf den Mann, zu dem er geworden war, dann wiederum hätte er alles darum gegeben, noch einmal der kleine Junge zu sein, der noch alle Entscheidungen vor sich hatte. Es gab so Vieles, das er ändern würde, wenn er nur könnte.

In jenen langen Sommern waren sie unsterblich gewesen. Sie wussten, dass Tubruk immer da sein würde, um sie zu beschützen, und die Zukunft war lediglich eine Möglichkeit, ihre Freundschaft über die Jahre und in andere Länder zu tragen. Nichts würde jemals zwischen sie kommen, und wenn Rom selbst in Schutt und Asche versank.

Brutus zog ein Messer aus dem Gürtel, schob es unter den ersten Stich und durchschnitt den Faden. Behutsam zog er das lose Ende durch die Haut und arbeitete sich bis zum letzten Knoten vor. Er schwieg konzentriert und warf die klebrigen Fäden in die Büsche. Ein dünnes Blutrinnsal tastete sich durch die hellen Haare auf seinem Oberschenkel, bis er es mit dem Daumen verschmierte.

Er stand vorsichtig auf, fühlte sich schwach und schwindelig und beschloss, die Stiche am Hals fürs Erste in Ruhe zu lassen, obwohl auch sie fürchterlich juckten.

»Ich habe mir gedacht, dass ich dich hier finde«, sagte Julia.

Er drehte sich zu ihr um und musste lächeln, als er sah, wie verlegen sie dastand. Er fragte sich, wie lange sie ihn schon beobachtet hatte. Wie alt war sie ... sechzehn? Lange Beine und wunderschön. Alexandria würde nicht erfreut sein, wenn sie hörte, dass sie sich im Wald unterhalten hatten, und er beschloss, es ihr nicht zu erzählen.

»Ich wollte mal probieren, wie es mit dem Laufen geht. Das Bein wird kräftiger, aber es dauert bestimmt noch eine Weile, bis ich mich wieder darauf verlassen kann«, sagte er.

»Wenn es geheilt ist, gehst du wieder zu meinem Vater«, sagte sie.

Es war keine Frage, aber er nickte. »Spätestens in ein paar Wochen. Jetzt, da Pompeius Diktator geworden ist, herrscht wieder Friede in der Stadt. Wir lassen euch dann alle wieder in Ruhe. Dann ist dieses alte Gut wieder so friedlich wie zuvor.«

»Das ist mir egal«, sagte sie eilig. »Mir gefällt es, wenn Leute hier sind, sogar die Kinder.«

Sie wechselten einen verstehenden Blick, und Brutus lachte leise. Allen Bemühungen Tabbics und seiner Schwester zum Trotz waren die Kleinen schon nach wenigen Tagen wie wild auf dem Landgut herumgetollt, begeistert von den Wäldern und dem Fluss. Clodia hatte schon dreimal eines von ihnen kurz vor dem Ertrinken aus dem tiefen Teich gezogen. Es war erstaunlich, wie rasch sich die Kinder von dem Albtraum ihres Marsches aus der Stadt erholt hatten. Wenn sie sich später einmal an dieses merkwürdige Jahr in ihrem Leben erinnerten, vermutete Brutus, dann würden sie keine getöteten Männer mehr sehen, oder wenn doch, dann war das nichts im Vergleich zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes im Gutshof, wobei Tabbic sie im Sattel festhielt. Kinder waren seltsam.

Er konnte sehen, dass Julia die Anmut ihrer Mutter geerbt hatte. Sie trug das Haar lang und mit einem Stoffstreifen im Nacken zusammengebunden. Immer wenn er redete, schien sie sich mit einer eigenartigen Intensität auf sein Gesicht zu konzentrieren, als wäre jedes seiner Worte kostbar. Er fragte sich, wie ihre Kindheit gewesen sein mochte, wie es für sie gewesen war, hier auf diesem Gut aufzuwachsen. Er hatte immer Julius gehabt, aber abgesehen von ihren Lehrern und Clodia musste es für seine Tochter sehr einsam gewesen sein.

»Erzähl mir von meinem Vater«, sagte sie und kam näher.

Brutus spürte, wie sein Bein zu schmerzen begann, und bevor seine Muskeln sich verkrampfen konnten, griff er nach dem Stock und ließ sich wieder auf dem Baumstumpf nieder. Er schaute in die Kammern seiner Erinnerung und musste lächeln.

»Als Kinder sind wir immer auf diesen Baum hier geklettert«, sagte er. »Julius war fest davon überzeugt, alles erklettern zu können, und er hat Stunden auf den unteren Ästen verbracht und versucht, höher zu gelangen. Wenn ich dabei war, konnte er auf meine verschränkten Hände steigen, aber selbst dann war der nächste Ast zu weit weg, als dass er ihn ohne zu springen erreicht hätte. Er wusste genau, wenn er ihn verfehlte, würde er auf den Kopf fallen und mich vielleicht mit sich reißen.« Er schwieg und lachte leise auf, als die Erinnerung über ihn hereinbrach.

Julia setzte sich neben ihn, am äußersten Rand des Baumstumpfes. Sogar von dort roch er das Blütenöl, das sie beim Baden benutzte. Er kannte die Blüte nicht, aber der Duft erinnerte ihn an den Sommer. Er atmete ihn tief ein und ließ sich nur einen Augenblick auf das Gedankenspiel ein, die kühle Haut in ihrem Nacken zu küssen.

»Ist er runtergefallen?«, fragte sie.

»Zweimal«, schnaubte Brutus. »Beim zweiten Mal hat er mich aus dem Baum gerissen, und ich habe mir die Hand verstaucht. Er hatte eine geschwollene Wange, als hätte er eine Ohrfeige bekommen, aber trotzdem sind wir noch einmal hinaufgeklettert, und dann ist er an den Ast herangekommen.« Er seufzte. »Ich glaube nicht, dass er noch einmal auf die alte Eiche geklettert ist. Für ihn gab es dort nichts mehr zu erreichen.«

»Ich wollte, ich hätte euch damals gekannt«, murmelte sie. Er sah sie an und schüttelte den Kopf.

»Nein, bestimmt nicht. Wir waren ein schwieriges Pärchen, dein Vater und ich. Verwunderlich ist nur, dass wir das alles überlebt haben.«

»Er kann froh sein, dass er dich zum Freund hat«, sagte sie und errötete ein wenig.

Brutus musste plötzlich daran denken, wie Alexandria diese Szene wohl sehen würde, wenn sie zufällig durch den Wald spaziert käme. Das Mädchen war viel zu attraktiv, um ihr den schneidigen jungen Soldaten, der aus dem Krieg heimgekehrt ist, vorzuspielen. Gleich würde er sie um ihren Arm bitten, um ihn auf dem Nachhauseweg zu stützen, und unterwegs würde er sich den einen oder anderen Kuss stibitzen. Der Blütenduft füllte seine Lunge, und er pfiff seine streunenden Gedanken zurück.