Unter Commius’ strengem Blick fügte jeder von ihnen seine Zahl hinzu.
»Insgesamt bringen wir es also vielleicht auf achttausend Krieger. Cassivellaunus hat dreitausend, und die Stämme um ihn herum können noch sechstausend mehr bringen, falls sie alle gewillt sind, sich ihm anzuschließen. Das sind siebzehntausend, und meine Männer haben gezählt, dass uns fünfundzwanzigtausend gegenüberstehen, und dazu noch Tausende von Reitern.«
»Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, sagte Beran und grinste.
Commius funkelte ihn wütend an. »Nein, das hast du nicht! Ich habe am Strand und auf den Feldern dreitausend meiner besten Männer im Kampf gegen sie verloren. Das sind harte Männer, meine Freunde, aber sie können uns von jenseits des Meeres nicht regieren. Das ist noch keinem gelungen. Wir müssen nur abwarten, bis der Winter sie wieder zurücktreibt. Inzwischen wissen sie, was die Stürme mit ihren Schiffen anstellen können.«
»Es wird schwierig sein, meinen Leuten zu sagen, sie sollen die Schwerter weglegen«, sagte Beran. »Viele sind fest entschlossen, sich den Catuvellaunen anzuschließen.«
»Dann sollen sie doch!«, rief Commius, dessen Geduld am Ende war. »Soll jeder, der sterben will, sich zu Cassivellaunus gesellen und kämpfen. Sie werden vernichtet werden.« Er rieb sich zornig den Nasenrücken. »Ich muss zuerst an die Trinovanten denken, ganz egal, was ihr beschließt. Es sind auch so schon wenig genug von uns übrig, aber selbst wenn ich noch viel mehr Männer hätte, würde ich abwarten, wie es den Catuvellaunen in ihrer ersten Schlacht ergeht. Wenn ihr König so versessen darauf ist, uns alle anzuführen, soll er doch beweisen, dass er auch die Kraft dazu hat.«
Die Männer blickten einander an, suchten nach einer gemeinsamen Entscheidung. Der Geist der Zusammenarbeit war eine ungewohnte Erfahrung, aber seit die Flotte an diesem Morgen gesichtet worden war, war nichts an ihrer Lage mehr wie gewohnt.
Beran ergriff als Erster das Wort.
»Du bist kein Feigling, Commius. Deshalb habe ich dir zugehört. Ich warte ab, wie es Cassivellaunus in den ersten Geplänkeln ergeht. Wenn er diese neuen Männer empfindlich treffen kann, schließe ich mich ihm an. Ich will nicht mit gesenktem Kopf dabeistehen, während sie mein Volk töten. Das wäre unerträglich.«
»Es wäre noch unerträglicher zu sehen, wie deine Tempel zerstört und die Ancaliten zu Asche gemacht werden«, fuhr ihn Commius an. Er schüttelte den Kopf. »Tu, was du für richtig hältst. Die Trinovanten werden keinen Anteil daran haben.« Ohne ein weiteres Wort stürmte Commius aus dem niedrigen Raum und ließ sie allein.
Beran sah ihm stirnrunzelnd nach. »Hat er Recht?«, fragte er. Die gleiche Frage beschäftigte alle, als Beran sich umdrehte und sie ansah.
»Sollen die Catuvellaunen sich mit ihnen messen, mit welcher Streitmacht auch immer. Ich schicke meine Kundschafter aus, und wenn sie sagen, dass diese ›Römer‹ besiegt werden können, ziehe ich ebenfalls gegen sie.«
»Die Bibrocer werden mit dir ziehen«, sagte ihr Abgesandter. Die anderen erhoben ebenfalls ihre Stimmen, und Beran lächelte. Er verstand, weshalb der König der Catuvellaunen so erpicht darauf war, die Stämme zu befehligen. Die hier Anwesenden konnten fast 8000 Krieger ins Feld bringen. Was für ein Anblick das wäre! Beran konnte sich so viele Männer vereint kaum vorstellen.
Zwölf Meilen landeinwärts traf Julius auf die Hügelfestungen der Trinovanten. Das Tosen und die Gerüche des Meeres lagen weit hinter seinen Marschkolonnen, und diejenigen Legionäre, die nach vorn blickten, murmelten anerkennend, als sie durch Getreidefelder und sogar Weingärten zogen, deren saure weiße Trauben sie im Vorübergehen abrissen. In der Hitze des Spätsommers wuchsen dort wilde Äpfel, und Julius war erfreut darüber, dass das Land es wert war, erobert zu werden. An der Küste war wenig von den Feldern dahinter zu erahnen gewesen, aber seine Augen suchten ständig nach den dunklen Narben irgendwelcher Minen. Rom war Zinn und Gold von den Britanniern versprochen worden, und Julius wusste, dass die Gier des Senats ohne diese Metalle nicht zufrieden zu stellen sein würde.
Die Legionen zogen sich über mehrere Meilen hin, nur durch die schweren Versorgungstrosse voneinander getrennt. Sie hatten Vorräte für einen Monat sowie Werkzeug und Ausrüstung zum Überqueren von Flüssen und zum Brückenbau dabei, ja, sie waren sogar in der Lage, eine ganze Stadt zu errichten. Julius hatte bei diesem zweiten Versuch, die weißen Klippen einzunehmen, nichts dem Zufall überlassen. Er gab den Cornicen das Zeichen, zum Halten zu blasen, und sah zu, wie die gewaltigen Kolonnen reagierten, deren Formationen sich noch am Rande seines Gesichtsfeld bewegten, während sie von der Marschformation zu defensiveren Aufstellungen übergingen. Julius nickte zufrieden. Genauso sollte Rom Krieg führen.
Die Hügelfestungen erstreckten sich in einer lockeren Linie über das Land, jede war eine solide Konstruktion aus Holz und Stein auf der Kuppe steil ansteigender Hänge. Ein Fluss, der auf seinen Karten als der »Sturr« verzeichnet war, floss unter ihnen dahin, und Julius schickte Wasserträger aus, um den langwierigen Prozess einzuleiten, mit dem die Legionsvorräte aufgefüllt wurden. Noch war es nicht unbedingt nötig, aber Gallien hatte ihn gelehrt, niemals eine Gelegenheit verstreichen zu lassen, sich mit Wasser oder Nahrung zu versorgen. Seine Karten endeten am Fluss, und nach allem, was er wusste, könnte es das letzte frische Wasser sein, bis sie den Tamesis erreichten, den ›dunklen Fluss‹, 60 Meilen von der Küste entfernt. Falls es ihn überhaupt gab.
Julius rief Brutus und Octavian zu sich, dann schickte er eine Kohorte seiner erprobten Zehnten weiter zu den Festungen. Als er seine Befehle gab, sah Julius die mächtige Gestalt Ciros durch die Reihen auf sich zukommen. Julius grinste über das besorgte Gesicht des Mannes und beantwortete seine Frage, bevor sie gestellt werden konnte.
»Sehr gut, Ciro. Schließe dich uns an«, rief er.
Julius sah die Erleichterung in den Zügen des riesenhaften Soldaten. Ciros Ergebenheit rührte ihn immer noch. Die Brustpanzer der Zehnten schimmerten grell, als Julius sie musterte, und wieder verspürte er diese gewaltige Begeisterung. Jeden Augenblick konnten die Armeen der Britannier auftauchen und sich auf sie werfen, aber an der perfekten Aufstellung der Legionäre war nichts auszusetzen. Die Einheiten waren bereit, und etwas von Julius’ Selbstbewusstsein zeigte sich auf ihren Gesichtern.
Als er langsam den Hang zur größten der Festungen hinaufritt, hörte Julius in der reinen, klaren Luft hoch über sich Vögel singen. Er prägte sich die Verteidigungsanlagen ein und machte bereits Pläne, wie er sie überwinden könnte, falls sich die Bewohner nicht ergaben. Die Mauern waren solide gebaut, und jeder Angreifer würde sich beim Sturm auf das Tor einem Hagel von Geschossen ausgesetzt sehen. Julius stellte sich die Ausmaße des Rammbocks vor, die nötig wären, um so dickes Holz zu durchbrechen, und die Antwort gefiel ihm ganz und gar nicht. Auf den hohen Mauern sah er dunkle Köpfe, und er richtete sich im Sattel auf, wohl wissend, dass er beobachtet und beurteilt wurde.
Aus dem Inneren der Festung hörte man laute Rufe und Hörnertuten. Julius versteifte sich, als die Flügel des Haupttores aufschwangen. Die Reihen der Triarii vor ihm zückten ohne Befehl die Schwerter, denn jeder von ihnen erwartete, dass sich aus dem Tor eine wilde Horde Angreifer auf sie ergießen würde. Genau das hätte Julius auch getan, wenn er auf dem Hügel gestanden hätte, und er ballte die Fäuste um die Zügel, als das dunkle Innere der Festung sichtbar wurde.
Aber es kamen keine Krieger daraus hervorgestürmt. Stattdessen stand dort eine kleine Gruppe von Männern, von denen einer grüßend den Arm hob. Julius befahl der Kohorte, die Schwerter wieder in die Scheiden zu stecken, um die Spannung ein wenig zu senken. Octavian trieb sein Pferd einen Schritt vor Julius und drehte sich zu seinem Befehlshaber um.