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Zuletzt wurde Cabera von zwei Männern der Zehnten hereingebracht, die eigens dazu abgestellt waren, sich um ihn zu kümmern. Sobald sie den alten Heiler abgesetzt hatten, ging Julius zu ihm hin und nahm die kraftlosen Hände in die seinen. Er sprach so leise, dass die anderen ihn durch den Lärm des heftigen Windes von draußen nicht hören konnten.

»Weiter als jeder andere Mann Roms, Cabera. Ich bin über den Rand der Welt hinausgegangen. Hast du mich damals dort gesehen, vor so langer Zeit?«

Cabera schien ihn zuerst nicht zu hören, und Julius war betrübt über die Veränderung, die das Alter über ihn gebracht hatte. Auch das schlechte Gewissen machte sich bemerkbar. Auf Julius’ Bitten hatte Cabera Domitius’ zerschmettertes Knie geheilt, und dieser Willensakt war zu viel für den alten Körper gewesen. Seit jenem Tag war er nicht wieder zu Kräften gekommen. Endlich hoben sich die Augen, und der trockene, aufgesprungene Mund zuckte an den Rändern nach oben.

»Du bist hier, weil du es so wolltest, Gaius«, sagte der alte Mann. Seine Stimme war kaum lauter als ein Hauch, und Julius beugte sich näher an seine Lippen. »Ich habe dich nie in diesem schrecklichen, kalten Raum hier gesehen.« Cabera machte eine Pause, und die Muskeln seines Halses zuckten wie im Krampf, als er tiefer Atem holte.

»Habe ich dir gesagt, dass ich dich von Sulla ermordet gesehen habe?«, flüsterte er.

»Sulla ist schon lange tot, Cabera«, sagte Julius.

Cabera nickte. »Das weiß ich, aber ich habe gesehen, wie man dich in seinem Haus ermordet hat, und dann wieder in den Zellen eines Piratenschiffs. Ich habe dich schon so oft fallen sehen, dass ich manchmal staune, dich so stark und lebendig vor mir zu sehen. Ich verstehe diese Visionen nicht, Julius. Sie haben mir mehr Qualen verursacht, als ich es mir jemals vorgestellt hätte.«

Julius bemerkte mit wachsendem Kummer Tränen in den Augen des alten Mannes. Cabera sah seinen Gesichtsausdruck und lachte trocken, ein rasselndes Geräusch, das nicht mehr aufzuhören schien. Obwohl Caberas linker Arm nutzlos in seinem Schoß lag, hob er den anderen und zog Julius noch näher heran.

»Ich würde keinen Tag anders haben wollen ... all die Dinge, die ich gesehen habe. Verstehst du? Ich habe nicht mehr lange, und es wird eine Erleichterung sein. Aber ich bereue nichts von dem, was geschehen ist, seit ich vor so langer Zeit in dein Haus gekommen bin.«

»Ohne dich hätte ich nicht überlebt, alter Mann. Du darfst mich jetzt nicht verlassen«, murmelte Julius, dessen eigene Augen sich mit Tränen und Erinnerungen füllten.

Cabera schnaubte und rieb sich mit den Fingern über das Gesicht.

»Manche Möglichkeiten sind uns verwehrt, Gaius Julius. Manche Wege müssen wir beschreiten. Auch du wirst am Ende den Fluss überqueren. Ich habe es auf mehr Arten gesehen, als ich es dir erzählen könnte.«

»Was hast du gesehen?«, fragte Julius. Er wollte es sehnlichst wissen, andererseits hatte ihn eine lähmende Furcht ergriffen. Einen Augenblick dachte er, Cabera habe ihn nicht gehört, der alte Mann war so still.

»Wer weiß, wohin dich deine Entscheidungen führen?«, fuhr die Stimme zischend fort. »Aber ich habe dich nicht alt gesehen, mein Freund, und einmal sah ich dich in der Dunkelheit Messern zum Opfer fallen, in den ersten Tagen des Frühlings. An den Iden des März sah ich dich fallen, in Rom.«

»Dann werde ich mich an diesem Tag niemals in meiner Stadt aufhalten«, erwiderte Julius. »Ich schwöre es dir, wenn dir das Frieden bringt.«

Cabera hob den Kopf und sah an Julius vorbei, dorthin, wo die kreischenden Möwen sich um einen Futterbrocken stritten.

»Ich glaube, es ist besser, manche Dinge nicht zu wissen, Julius. Mir ist überhaupt nichts mehr klar. Hab ich dir schon von den Messern erzählt?«

Vorsichtig legte Julius die Hände des alten Mannes in seinem Schoß zusammen und rückte die Kissen so zurecht, dass er aufrecht sitzen konnte.

»Das hast du getan, Cabera. Wieder einmal hast du mich gerettet«, sagte er. Mit unendlicher Zärtlichkeit hob Julius den alten Mann auf die Kissen an, damit er es bequem hatte.

»Das freut mich«, sagte Cabera und schloss die Augen.

Julius hörte einen langen Atemstoß aus seinem Leib entweichen, dann wurde die gebrechliche Gestalt vollkommen still. Julius schrie auf, als er sah, wie das Leben aus ihm wich, und berührte Caberas Wange. Die Stille schien sich endlos auszudehnen, aber die Brust blieb reglos und würde sich nie wieder bewegen.

»Auf Wiedersehen, alter Freund«, sagte Julius.

Er hörte ein Scharren auf dem Holzboden, als Renius und Brutus neben ihn traten, und die Jahre schwanden dahin, so dass mit einem Mal nur noch zwei Jungen mit ihrem Lehrer dastanden und einen alten Mann sahen, der einen Bogen spannte, ohne dass auch nur ein Muskel in seinem Arm zitterte.

Julius hörte, wie die anderen Mitglieder seines Rates sich erhoben, als ihnen klar wurde, was geschehen war. Er sah sie mit rotgeränderten Augen an, und sie konnten den Schmerz in seinem Gesicht kaum ertragen.

»Werdet ihr euch meinen Gebeten für den Toten anschließen, meine Herren? Unser Krieg wird noch einen Tag warten können.«

Wieder schrien die Möwen draußen im Wind, und leises Stimmengemurmel erfüllte den kalten Raum. Am Ende herrschte Schweigen. Julius hauchte ein paar letzte Worte und betrachtete den eingefallenen Leichnam des alten Mannes.

»Und jetzt treibe ich hilflos dahin«, sagte er so leise, dass nur Brutus neben ihm es hören konnte.

43

Adàn hatte in dem dunklen Zelt zum Schreiben nur das Licht einer einzelnen Talgkerze zur Verfügung. Er saß völlig reglos auf seinem Platz und blickte zu Cäsar hinüber, der auf einer Bank lag und den Arm ausstreckte, damit er verbunden werden konnte. Auf den ersten Lagen war Blut, der Stoffstreifen selbst war schmutzig, denn er war von einem Leichnam abgerissen worden. Julius ächzte, als der Arzt einen Knoten machte und ihn festzog. Seine Augen öffneten sich unter dem Schmerz, und Adàn sah, dass sie vor Erschöpfung trübe waren.

Der Feldscher packte seine Ausrüstung zusammen und ging hinaus. Ein frischer Windstoß wehte in das stickige Zelt und ließ die Kerze flackern. Adàn überflog die Worte, die er niedergeschrieben hatte, und wünschte, Julius würde endlich schlafen. Sie alle waren hungrig, aber der Winter hatte ebenso wie bei allen anderen das Fleisch von den Knochen ihres Heerführers gebrannt. Julius’ Haut hatte einen gelblichen Ton angenommen und spannte über dem Schädel, und Adàn sah dunkle Ränder unter seinen Augen, die ihn wie den leibhaftigen Tod aussehen ließen.

Adàn dachte, Julius sei eingeschlafen, und fing an, seine Schriftrollen einzusammeln, um sich hinauszustehlen, ohne ihn zu wecken. Er hielt in der Bewegung inne, als Julius an den Schweißflecken seiner Tunika kratzte und sich dann das Gesicht rieb. Adàn schüttelte langsam den Kopf über die Veränderungen, die dieser Mann durchgemacht hatte, seit er ihm zum ersten Mal begegnet war. Gallien hatte mehr genommen, als es gegeben hatte.

»Wo war ich stehen geblieben?«, fragte Julius, ohne die Augen zu öffnen. Seine krächzende Stimme jagte Adàn im Halbdunkeln einen Schauer über den Rücken.

»Avaricum. Der Arzt ist hereingekommen, als ich gerade über den letzten Tag geschrieben habe.«

»Ah, genau. Können wir fortfahren?«

»Wenn du es wünschst, Herr. Vielleicht wäre es besser, wenn ich dich etwas ausruhen lasse«, antwortete Adàn.

Julius erwiderte nichts darauf, sondern kratzte sich nur am unrasierten Kinn.

»Avaricus kam bald nach der Vernichtung dreier Kohorten unter Bericus. Schreibst du?«

»Ja«, flüsterte Adàn. Zu seiner Verwunderung spürte er, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, als Julius sich zum Weitermachen zwang. Woher die Tränen rührten, konnte sich der Spanier nicht erklären.