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Er sah sie seltsam lächelnd von der Seite an. »Ich zeige es dir », sagte er und bog um die Ecke in eine breitere Straße ein.

Die Häuser hier waren nicht viel mehr als Steinhaufen. Weiter hinten konnte Servilia einen freien Platz erkennen, auf den sie zuhielten. Die Sonne erwärmte die Luft um sie her, und als sie die offene Fläche endlich erreicht hatten, beschleunigte Julius eifrig seine Schritte.

Die schweren Steinplatten, die den Boden des Platzes bedeckten, waren gesprungen, die Risse mit Gras und wilden Blumen durchzogen, doch Julius schritt darüber hinweg ohne hinzusehen. Sein Blick war auf einen zerbrochenen Sockel gerichtet, neben dem die Bruchstücke einer Statue lagen. Die Gesichtszüge der Figur waren beinahe vollständig verwittert, der weiße Stein porös und angeschlagen, doch Julius näherte sich ihr trotzdem mit Ehrfurcht. Er band ihre Pferde an einen jungen Schössling, der zwischen den geborstenen Steinplatten einen Weg ans Licht gefunden hatte, beugte sich zu der Statue hinunter und zeichnete ihre Gesichtszüge mit der Hand nach. Ein Arm war abgebrochen, dennoch konnte Servilia sehen, was für ein eindrucksvolles Standbild es einmal gewesen sein musste. Dann entdeckte sie die Stelle, an der Schriftzeichen in den schweren Sockel eingehauen waren, und sie berührte gedankenvoll die seltsamen Buchstaben.

»Wer ist das?«, flüsterte sie.

»Einer der Gelehrten hier hat mir gesagt, da stünde ›Alexander, der König‹.«

Julius’ Stimme klang ganz rau, und Servilia verspürte wieder das Bedürfnis, ihn zu berühren und seine Gedanken und Gefühle mit ihm zu teilen. Erstaunt sah sie, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, während er das steinerne Gesicht betrachtete.

»Was hast du denn? Ich verstehe nicht ... «, sagte sie und streckte ohne weiter darüber nachzudenken die Hand nach ihm aus. Seine Haut fühlte sich heiß an, und er entzog sich ihrer Berührung nicht.

»Wenn ich ihn sehe ... «, sagte er leise und wischte sich die Tränen aus den Augen. Einen Augenblick drückte er ihre Hand an sein Gesicht, bevor er sie wieder losließ. Wortlos starrte er die Statue noch eine Weile an und zuckte dann die Achseln. Er hatte sich wieder unter Kontrolle.

»Als er in meinem Alter war, hatte er bereits die ganze Welt erobert. Man sagt, er sei ein Gott gewesen. Verglichen mit ihm habe ich mein Leben vergeudet.«

Servilia setzte sich auf die Stufen des Sockels neben ihn, und obwohl sich ihre Oberschenkel nur leicht berührten, spürte sie die Berührung sehr intensiv. Nach einer Weile setzte Julius gedankenverloren und mit tonloser Stimme abermals an.

»Als kleiner Junge habe ich gerne die Erzählungen von seinem Leben und seinen Schlachten gehört. Er war ... einfach unglaublich. Er hielt die Welt in seinen Händen, als er kaum mehr als ein Kind war. Damals dachte ich immer, dass ich ... Ich habe früher seinen Weg vor mir gesehen.«

Wieder hob Servilia die Hand und streichelte ihm über das Gesicht. Dieses Mal schien er die Berührung zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen und hob den Kopf, um sie anzusehen, als sie sprach.

»Alles, was du haben willst, befindet sich direkt vor dir«, sagte sie. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie ihm damit vielleicht nicht eher etwas Persönlicheres darbot, als nur die Hoffnung auf Ruhm. Julius schien beide Bedeutungen aus ihren Worten herausgehört zu haben und ergriff wieder ihre Hand. Dieses Mal suchte sein Blick dabei den ihren, und in seinen Augen lag eine unausgesprochene Frage.

»Ich will alles«, flüsterte er, und sie hätte nicht zu sagen vermocht, wer von ihnen beiden den anderen zuerst küsste. Wie sie da zu Füßen Alexanders saßen, geschah es einfach, und sie spürten beide die Macht des Augenblicks.

5

In den darauf folgenden Tagen schien die Zeit unendlich langsam zu vergehen, wenn Servilia keinen Vorwand für einen weiteren Ausritt finden konnte. Die Goldene Hand florierte, und Servilia hatte zwei Männer aus Rom nach Valencia bringen lassen, beide groß und breit genug, um auch den wildesten Rabauken in Schach zu halten. Statt sich über den Erfolg zu freuen, ertappte sie sich jedoch ständig dabei, wie ihre Gedanken zu dem seltsamen jungen Mann abschweiften, der so verletzlich und zugleich so Furcht einflößend sein konnte. Sie hatte sich gezwungen, nicht noch einmal bei ihm vorzusprechen, und wartete stattdessen auf seine Einladung. Als sie endlich gekommen war, hatte sie laut über sich selbst lachen müssen, trotzdem erfüllte sie eine freudige Erregung.

Bald darauf spazierten sie gemeinsam durch ein wogendes Kornfeld, und sie blieb immer wieder stehen, um weitere Halme zu pflücken, die sie zu einem Kranz flocht. Julius wartete geduldig auf sie. Schon sehr lange war er nicht mehr so entspannt und gelöst gewesen. Die Niedergeschlagenheit, die ihn fest im Griff gehabt hatte, schien sich in ihrer Gesellschaft einfach in Luft aufzulösen. Eigenartig, dass ihr Ausflug in die Wildnis wirklich nur ein paar Wochen her sein sollte. Bereits jetzt hatte Servilia instinktiv erkannt, was für ihn im Leben am wichtigsten war, und er hatte das Gefühl, sie schon immer zu kennen.

Durch sie waren die Albträume, die er wie junge Hunde in schwerem Wein hatte ersäufen wollen, verschwunden. Er spürte sie zwar noch immer um sich kreisen, doch Servilia brachte Alexanders Segen zu ihm. Sie war sein Schutzwall gegen die Schatten, die ihn in die Verzweiflung drängen wollten. Er konnte vergessen, wer er geworden war, und den Mantel seiner Autorität fallen lassen. Jeden Tag eine oder zwei Stunden in einem Sonnenschein, der mehr als nur seine Haut wärmte.

Als sie sich aufrichtete, sah er sie an und wunderte sich wieder über die Wucht der Gefühle, die sie in ihm auszulösen vermochte. Eben noch machte ihn ihr Wissen über Rom und die Senatoren sprachlos, im nächsten Augenblick brach sie wie ein Kind in fröhliches Gelächter aus oder pflückte noch eine Blume, die sie in ihren Kranz einflocht.

Nach ihrem ersten Ausritt zu dem Dorf mit der zerbrochenen Statue hatte Brutus ihre Freundschaft ermutigt. Er sah, dass Servilia Balsam für die Seele seines gequälten Freundes war. Dieser Balsam heilte Wunden, die schon viel zu lange schwärten.

»Pompeius hat einen Fehler gemacht, als er die Sklaven kreuzigen ließ«, sagte Julius. Er erinnerte sich an die lange Reihe aus Kreuzen mit den wimmernden, gequälten Gestalten, die auf den Tod warteten. Selbst vier Jahre später waren die Bilder des großen Sklavenaufstandes in seinem Kopf noch immer schmerzhaft lebendig. Die Krähen hatten sich gütlich getan, bis sie zu fett zum Fliegen waren, und dann hatten sie auch noch seine Männer empört angekrächzt, die nach den träge umherstaksenden Vögeln traten. Allein bei dem Gedanken daran schauderte er jetzt noch.

»Nachdem es einmal angefangen hatte, haben wir den Sklaven ja keine andere Wahl als den Tod gelassen. Sie wussten, dass wir sie niemals einfach ziehen lassen würden. Sie wurden schlecht geführt, und Pompeius hat sie fesseln und von Süden her die ganze Via entlang ans Kreuz nageln lassen. Dem Druck des Pöbels einfach nachzugeben, damit hatte er wirklich keine Größe bewiesen.«

»Dann hättest du es ihm also nicht gleichgetan?«, wollte Servilia wissen.

»Spartakus und die Seinen mussten sterben, aber in ihren Reihen gab es sehr tapfere Männer, die so mancher Legion gegenübergestanden und sie besiegt hatten. Nein, ich hätte eine neue Legion aus ihnen geformt und sie mit den härtesten Schindern unter den Zenturionen aller anderen Legionen gespickt. Sechstausend kampfgestählte, tapfere Männer, Servilia, und alle wurden sie seinem Ehrgeiz geopfert. Statt sie alle einfach ans Kreuz zu nageln, hätte man so viel besser ein Exempel statuieren können. Aber Pompeius blickt nicht weiter, als es ihm seine kleinlichen Regeln und Traditionen erlauben. Er hält an seiner Linie fest, während der Rest der Welt an ihm vorbeizieht.«

»Die Leute haben ihn jubelnd in Rom empfangen, Julius. Pompeius war derjenige, den die Leute wirklich als Konsul wollten. Crassus besetzt lediglich den zweiten Platz in seinem Schatten.«