»Geh zu ihr und rede mit ihr. Sie macht sich Sorgen um dich«, erwiderte Julius und ignorierte die Drohung.
Brutus starrte ihm noch einen Moment in die Augen, dann ging er davon und ließ Julius im Trainingshof stehen. Julius sah ihm nach, dann öffnete er die Faust und zuckte zusammen. Einen kurzen Augenblick wallte der Zorn wieder in ihm auf. Jeden anderen Mann, der es gewagt hätte, sein Schwert gegen ihn zu erheben, hätte er auf der Stelle hängen lassen. Dafür gab es einfach keine Entschuldigung.
Doch sie waren zusammen aufgewachsen, und das war es, was letztendlich zählte. Was sie verband, musste eigentlich stark genug sein, um mit diesem Verrat, mit der Klinge, die auf sein Herz gerichtet gewesen war, fertig zu werden. Nachdenklich kniff Julius die Augen zusammen. Es würde ihm nicht leicht fallen, Brutus ein zweites Mal zu vertrauen.
In den folgenden sechs Wochen herrschte eine beinahe unerträgliche Spannung zwischen ihnen beiden. Obwohl Brutus mit seiner Mutter gesprochen und ihrer Verbindung mit zusammengepressten Lippen seine Zustimmung gegeben hatte, lief er ständig wie in einem Panzer aus Wut und Einsamkeit durch die Gegend.
Ohne ein Wort der Erklärung fing Julius an, die Zehnte wieder selbst zu trainieren. Er ritt mehrere Tage lang mit ihnen aus, aber außer seinen Befehlen sagte er kein einziges Wort. Die Legionäre kämpften sich für ein anerkennendes Nicken von ihm, das mehr Wert zu sein schien als eine ganze Lobrede von jemand anderem, durch Schmerz und Erschöpfung.
Wenn sie in den Unterkünften waren, schrieb Julius bis tief in die Nacht hinein Briefe und Anordnungen und gab einen großen Teil der Goldreserven, die er gehortet hatte, wieder aus. Er entsandte Reiter nach Rom, die in Alexandrias Werkstatt neue Rüstungen in Auftrag geben sollten, ganze Karawanen mit Vorräten beladener Karren wanden sich von den spanischen Städten in die Berge hinein. Neue Minen mussten angelegt werden, um das Eisenerz zu beschaffen, das für die Herstellung von Schwertern nach Cavallos Methode benötigt wurde. Ganze Wälder wurden für die Kohleherstellung abgeholzt, und jeder der fünftausend Soldaten der Zehnten hatte immer mindestens zwei oder drei Dinge gleichzeitig zu erledigen.
Julius’ Offiziere schwankten zwischen dem Schmerz, ausgeschlossen zu werden, und der Begeisterung, dass er seine alte Energie wiedergefunden hatte, hin und her. Lange bevor Julius seine Untergebenen von ihren verstreuten Posten zusammenrufen ließ, ahnten sie, dass ihre Zeit in Spanien dem Ende zuging. Hispania war einfach zu klein, um dem General der Zehnten genug Platz zu bieten.
Julius wählte den fähigsten der spanischen Quästoren aus, um ihn so lange zu vertreten, bis Rom einen anderen ihrer Söhne auf diesen Posten berief. Er übergab ihm das Siegel seines Amtes und vergrub sich dann wieder tage- und nächtelang in seiner Arbeit. Manchmal schlief er drei Tage lang nicht, bis er schließlich erschöpft zusammenbrach. Nach einer kurzen Ruhepause stand er wieder auf und fing das gleiche Spiel von vorn an. Die Männer, die ihm in den Unterkünften begegneten, gingen ihm vorsichtig aus dem Weg und warteten gespannt und nervös auf das Ergebnis seiner unmenschlichen Anstrengungen.
Eines Tages kam Brutus in den frühen Morgenstunden zu ihm, als es um sie herum im Lager noch still war. Er klopfte an die Tür und trat ein, nachdem Julius eine Antwort auf das Klopfen gemurmelt hatte.
Julius saß vor einem mit Karten und Tontafeln überladenen Tisch, auch auf dem Boden zu seinen Füßen lagen Karten und Tafeln verstreut. Als er Brutus erblickte, stand er auf, und für einen kurzen Augenblick schien die frostige Stimmung zwischen ihnen jedes Wort von selbst zu verbieten. Die frühere vertraute Freundschaft hatte bei beiden Rost angesetzt.
Brutus schluckte schwer. »Es tut mir Leid«, presste er schließlich hervor.
Julius sagte kein Wort und starrte ihn lediglich an. Sein Gesicht wirkte wie das eines Fremden und zeigte nichts von der Freundschaft, die Brutus so sehr vermisste.
Brutus machte einen zweiten Versuch. »Es war dumm von mir, aber du kennst mich lange genug. Lass es gut sein«, sagte er. »Ich bin dein Freund. Dein Schwert, weißt du noch?«
Julius nickte und nahm seine Entschuldigung an. »Ich liebe Servilia«, sagte er leise. »Ich hätte es dir vor allen anderen gesagt, aber es ging selbst für uns beide zu schnell. Das ist nicht nur ein Spiel für mich, aber mein Verhältnis zu ihr ist meine Sache. Darüber bin ich dir keine Rechenschaft schuldig.«
»Als ich euch beide zusammen gesehen habe, da ... «, begann Brutus zögernd.
Julius hob abwehrend die Hand.
»Nein. Ich will jetzt nichts mehr davon hören. Es ist gut.«
»Bei den Göttern, du machst es mir wirklich nicht leicht«, sagte Brutus und schüttelte den Kopf.
»Es soll ja auch nicht leicht für dich sein. Mit dir verbindet mich mehr als mit jedem anderen Mann, den ich kenne, und ausgerechnet du hebst im Trainingshof die Hand gegen mich, um mich zu töten. Das ist schwer zu verzeihen.«
»Was?«, erwiderte Brutus entsetzt. »Ich habe doch gar nicht ...« »Ich weiß es, Brutus.«
Betroffen sank Brutus in sich zusammen. Ohne zu antworten zog er sich schließlich einen Hocker heran, und auch Julius setzte sich wieder.
»Willst du, dass ich mich jetzt fortwährend entschuldige? Ich war rasend vor Zorn und glaubte, du benutzt sie nur wie ... Es war ein Fehler und es tut mir Leid. Aber was willst du noch von mir?«
»Ich will wissen, dass ich dir wieder vertrauen kann. Ich will, dass all das hier vergessen ist«, erwiderte Julius.
Brutus stand auf. »Du kannst mir vertrauen, und das weißt du auch. Ich habe die Primigenia für dich aufgegeben. Also lass es gut sein.«
Sie sahen einander an, und langsam stahl sich ein Grinsen in Julius’ Gesicht.
»Hast du gesehen, wie ich deinen Schlag pariert habe? Ich wünschte, Renius hätte das gesehen.«
»Ja, du warst wirklich gut«, sagte Brutus mit einem sarkastischen Unterton. »Bist du jetzt zufrieden?«
»Ich glaube, ich hätte gewinnen können«, sagte Julius schelmisch lächelnd.
Brutus blinzelte ihn an. »Jetzt gehst du zu weit.«
Die Spannung zwischen ihnen war mit einem Mal verflogen und schien nur noch eine ferne, unangenehme Erinnerung.
»Ich will die Legion zurück nach Rom führen«, platzte Julius erleichtert heraus, weil er seine Pläne endlich wieder mit seinem Freund teilen konnte. Insgeheim fragte er sich, ob Brutus die Wochen nach ihrem Kampf wohl ebenso geschmerzt hatten wie ihn.
»Das wissen wir doch alle schon längst. Die Männer tratschen wie ein Haufen alter Weiber. Willst du Pompeius herausfordern?« Brutus sprach in einem so beiläufigen Ton, als hinge nicht das Leben Tausender von dieser Antwort ab.
»Nein. Mit Crassus zusammen regiert er eigentlich ganz gut. Ich will mich bei den Wahlen als Kandidat für einen Konsulposten aufstellen lassen.« Gespannt sah er Brutus an und versuchte, eine Reaktion aus seinem Gesicht abzulesen.
»Glaubst du wirklich, du kannst die Wahl gewinnen?«, fragte Brutus langsam und nachdenklich. »Dir bleiben nur noch ein paar Monate, und die Menschen haben nun mal ein sehr schlechtes Gedächtnis.«
»Ich bin Marius’ letzter lebender Blutsverwandter, und daran werde ich sie erinnern«, sagte Julius, und Brutus spürte die alte Begeisterung von früher in sich aufsteigen. Er dachte darüber nach, wie sehr sich sein Freund in den letzten Monaten wieder zu seinem Vorteil verändert hatte. Es erschien ihm fast wie eine Wiedergeburt des Julius’, den er von früher kannte. Die bösartigen Wutausbrüche waren endgültig verschwunden, und seine Mutter hatte dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Selbst seine süße, kleine Angelina sah ehrfürchtig zu Servilia auf, und so langsam konnte er auch verstehen, warum.
»Die Sonne geht bald auf. Du solltest noch ein wenig schlafen«, sagte er.