Als Julius in den Hof hinaustrat, hielt er gegen das grelle Sonnenlicht schützend die Hand über die Augen. Die Tore standen offen, und das Lager erinnerte ihn an das Dorf mit der Statue Alexanders. Ein seltsamer Gedanke. Doch die neuen Kohorten wurden bereits im Morgengrauen erwartet, dann würde das Lager wieder zum Leben erwachen.
In dem gleißenden Licht sah er den jungen Mann, der am Tor stand und auf ihn wartete, zunächst gar nicht. Julius ging hinüber zu den Ställen und wurde aus seinen Tagträumen gerissen, als der andere ihn schließlich ansprach. Reflexartig suchte seine Hand den Griff seines Gladius.
»General? Hast du einen Moment Zeit für mich?«, fragte der Mann.
Julius erkannte ihn, und seine Augen wurden schmal. Er erinnerte sich an den Namen des Mannes, dessen Leben er verschont hatte. Adàn.
»Was gibt es?«, fragte er ungeduldig.
Adàn kam einen Schritt näher, und Julius behielt seine Hand am Griff des Schwertes. Er zweifelte nicht daran, dass er mit dem Spanier fertig werden würde, doch es konnten noch andere auf der Lauer liegen, und er lebte schon lange genug, um zu wissen, dass es ratsam war, immer auf der Hut zu sein. Seine Augen suchten das offene Tor nach sich bewegenden Schatten ab.
»Bürgermeister Del Subió hat gesagt, du suchst einen Schreiber, Herr. Ich kann Latein lesen und schreiben.«
Julius sah ihn misstrauisch an. »Hat Del Subió auch erwähnt, dass ich im Begriff bin, nach Rom zurückzukehren?«, fragte er.
Adàn nickte. »Das weiß jeder. Ich möchte Rom gerne sehen, aber vor allen Dingen möchte ich diese Stelle als Schreiber.«
Julius sah ihm in die Augen und versuchte ihn einzuschätzen. Er vertraute auf seine Intuition, die ihm sagte, dass in dem offenen Gesicht des Mannes keine Verschlagenheit lag. Vielleicht sagte der junge Spanier die Wahrheit, obwohl Julius, jetzt, da die Legion sich bereit machte, die Segel zu setzen, seine Motive etwas in Zweifel zog.
»Eine kostenlose Überfahrt nach Rom, und dann verschwindest du im Gewühl der Märkte, Adàn«, sagte er schließlich argwöhnisch.
Der junge Mann zuckte die Schultern. »Du hast mein Wort. Sonst kann ich dir nichts anbieten. Ich kann hart arbeiten, und ich möchte mehr von der Welt sehen. Das ist alles.«
»Und warum möchtest du dann ausgerechnet für mich arbeiten? Vor nicht allzu langer Zeit hattest du römisches Blut an deinen Händen.«
Adàn wurde rot, doch er hob den Kopf und ließ sich nicht einschüchtern. »Du bist ein ehrenwerter Mann, General. Ich würde es zwar lieber sehen, wenn Roms Hand sich nicht über mein Volk legte, aber du hast mich neugierig gemacht. Du würdest es nicht bereuen, mich in deine Dienste zu nehmen, das schwöre ich.«
Stirnrunzelnd musterte Julius ihn. Dem Mann schien die Gefährlichkeit seiner Worte gar nicht bewusst zu sein. Wieder fiel ihm ein, wie Adàn damals vor seinen Leuten in dem langen Raum gestanden hatte und wie bemüht er gewesen war, seine Angst nicht zu zeigen.
»Ich muss dir vertrauen können, Adàn. Ein solches Vertrauen kann erst mit der Zeit wachsen. Was du in meinen Diensten erfahren würdest, ist manch einem sehr viel Geld wert. Kann ich mich darauf verlassen, dass du meine Geschäfte geheim hältst?«
»Wie du bereits sagtest: Das wirst du erst im Lauf der Zeit erfahren. Mein Wort gilt jedenfalls.«
Julius’ Stirn glättete sich wieder, nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte.
»Nun gut, Adàn. Geh hinauf in meine Räume und bring mir die Papiere von meinem Schreibtisch. Ich will dir einen Brief diktieren, um deine Schrift zu beurteilen. Danach bleibt dir noch Zeit genug, um deiner Familie Lebewohl zu sagen. In drei Tagen brechen wir nach Rom auf.«
7
Brutus erbrach sich hilflos über die Reling in die wogende See.
»Das hatte ich ganz vergessen«, sagte er mit kläglicher Stimme.
Ciro konnte als Antwort nur stöhnen, weil auch ihm die letzten Becher Wein, die sie in Valencia getrunken hatten, wieder hochkamen. Eine kräftige Böe wehte einen Teil der stinkenden Brühe wieder zurück, und Brutus erstarrte angeekelt.
»Geh ein Stück weg von mir, du Ochse!«, brüllte er, um den Wind zu übertönen. Obwohl sein Magen leer war, ließen die schmerzhaften Würgekrämpfe keineswegs nach, und der bittere Geschmack im Mund ließ ihn aufstöhnen.
Die Wolken waren vom Osten herangeweht, als die spanischen Gebirge gerade hinter ihnen am Horizont versanken. Der Schiffskonvoi hatte sich schon vor dem Sturm getrennt, weil sie zwangsläufig nicht miteinander Schritt halten konnten. Die mit Rudern bestückten Schiffe schienen den Kurs einigermaßen zu halten, obwohl das starke Schwanken die langen Ruderblätter abwechselnd auf der einen oder anderen Seite komplett aus dem Wasser hob. Die Händler, die auf ihre Segel angewiesen waren, zogen Treibanker hinter sich her. Die großen Bündel aus Segeltuch und Spieren sollten die Geschwindigkeit drosseln helfen und den schweren Rudern etwas Gegengewicht bieten, aber es nützte so gut wie nichts. Durch das Unwetter brach die Dunkelheit viel eher herein, woraufhin auch der Sichtkontakt zueinander verloren ging. Jetzt kämpfte jedes Schiff allein gegen die Wellen an.
Brutus stand zitternd am Heck, als die nächste Sturmböe eine große weiße Welle über die Reling spülte. Eisern umklammerte er die Streben, als ihm das Wasser um die Knie spülte und dann wieder ablief. Die Ruder klatschten und schlitterten haltlos auf den Wasserbergen umher, und Brutus fragte sich, ob das Schiff womöglich mit einem plötzlichen lauten Krachen irgendwo an Land gespült werden und zerbersten würde. Die schwarze Dunkelheit um sie herum war undurchdringlich, und obwohl Ciro nur ein paar Schritte neben ihm stand, konnte er dessen massige Gestalt kaum erkennen. Brutus hörte den großen Mann leise ächzen und schloss die Augen. Das alles sollte einfach nur aufhören. Alles war in bester Ordnung gewesen, bis sie aus dem Schutz der Küste herausgekommen waren, die gewaltigen Wellen der offenen See das Schiff von einer Seite zur anderen geworfen hatten und die Übelkeit von ihm Besitz ergriffen hatte. Zuerst hatte er nur rülpsen müssen, dann hatte er den plötzlichen Drang verspürt, rasch an die Reling zu eilen. Er wusste, dass es besser war, sich über das Heck zu übergeben. Die Männer unten verfügten nicht über diesen Luxus. So dicht gedrängt wie sie da unten in den Laderäumen hockten, musste es dort wahrlich albtraumhaft zugehen.
Mit den wenigen Gedanken, die sich mit etwas anderem als der Übelkeit beschäftigen konnten, wurde er sich dessen bewusst, dass sie zumindest für ein oder zwei Tage vor Ostia vor Anker liegen mussten. Die würden sie auch brauchen, um das Schiff zu reinigen und den Glanz der Zehnten wieder einigermaßen herzustellen. Wenn sie in diesem Zustand in den Hafen einliefen, mussten die Dockarbeiter glauben, sie seien gerade aus einer entsetzlichen Schlacht entkommen.
Brutus vernahm Schritte hinter sich. »Wer ist da?«, fragte er und streckte den Kopf vor, um die Gesichtszüge des Mannes besser zu sehen.
»Julius«, hörte er eine muntere Stimme hinter sich. »Ich habe hier etwas Wasser für dich. Dann hast du wenigstens etwas im Magen, womit du dich übergeben kannst.«
Brutus lächelte schwach, nahm aber dankbar den Wasserschlauch entgegen und presste den Mund an die bronzene Trinköffnung. Er spülte sich den Mund und spuckte dann aus, bevor er ein wenig Wasser durch seine Kehle laufen ließ. Dann nahm ihm Ciro den Wasserschlauch aus den Händen und schluckte ebenfalls gierig.
Brutus wusste, dass er eigentlich nach den Männern unten fragen sollte, oder nach dem Kurs, den sie einschlugen, um zwischen Sardinien und Korsika hindurchzusegeln, doch er konnte sich einfach nicht dazu aufraffen. Vor Übelkeit war sein Kopf ganz schwer geworden, und er konnte nur entschuldigend die Hand in Julius’ Richtung heben, bevor er schon wieder über der Reling hing. Wenn er sich nicht übergab, war es eigentlich noch schlimmer. Dann konnte er rein gar nichts tun, als sich der Übelkeit zu ergeben.