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Als das Schiff sich plötzlich in einem Furcht erregenden Winkel zur Seite neigte, taumelten sie alle drei, und unten im Laderaum fiel etwas klirrend zu Boden. Julius’ Füße verloren auf dem schlüpfrigen Deck den Halt, aber Ciros Arm rettete ihn. Dankbar nickend holte er pfeifend Luft.

»Das habe ich vermisst«, sagte er ausgelassen zu den beiden anderen. »Im Dunkeln herumzutorkeln und weit und breit kein Land in Sicht.« Er beugte sich zu Ciro.

»Morgen hast du mit mir zusammen Spätwache. Wenn der Sturm erst einmal abgeflaut ist, werden dir die Sterne den Atem rauben. Die Übelkeit dauert nie länger als einen Tag, oder höchstens zwei.«

»Das will ich hoffen«, stieß Ciro skeptisch hervor. Soweit es ihn betraf, strapazierte Julius durch seine unanständige Fröhlichkeit gerade die Grenzen seiner Freundschaft, während er selbst hier auf ihrer aller Tod harrte. Mit Freuden hätte er einen ganzen Monatslohn gegen eine einzige ruhige Stunde gegeben, damit sich sein Magen endlich wieder beruhigte. Wenn die Übelkeit erst einmal vorbei war, konnte er wieder jedem Problem ins Gesicht sehen, dessen war er sich sicher.

Julius hangelte sich vorsichtig an der Reling entlang, um mit dem Kapitän zu sprechen. Der Händler hatte sich zwar unwirsch in seine neue Rolle ergeben, hatte aber sogar mit den Soldaten gesprochen, als sie sein Schiff beluden. Er hatte ihnen geraten, die Arbeit an Bord immer mit einer Hand zu erledigen und sich mit der anderen selbst irgendwo festzuklammern.

»Wenn ihr über Bord geht«, hatte er zu den Legionären gesagt, »ist das euer Ende. Selbst wenn ich umkehren würde, was ich natürlich nicht tue, ist es sogar bei ruhiger See so gut wie unmöglich, den Kopf eines Menschen auf dem Wasser zu erspähen. Wenn es aber windig ist, dann schluckt ihr besser gleich Wasser und geht sofort unter, dann geht es wenigstens schneller.«

»Sind wir noch auf Kurs, Kapitän?«, fragte Julius, als er sich der dunklen Gestalt näherte, die sich zum Schutz gegen den Wind unter einem schweren Öltuch zusammenkauerte.

»Nun ja, das kann ich erst mit Bestimmtheit sagen, wenn wir uns Sardinien nähern, aber diese Strecke hier bin ich bereits oft genug gefahren«, erwiderte der Kapitän. »Der Sturm kommt von Südost, und wir segeln am Wind.«

Julius konnte seine Züge in der undurchdringlichen Dunkelheit zwar nicht ausmachen, aber seine Stimme klang nicht besorgt. Als die ersten Sturmböen gegen das Schiff geklatscht waren, hatte er die Steuerruder in einem flachen Winkel festzurren lassen und seinen Posten eingenommen. Von dort aus rief er der Mannschaft, die unsichtbar an Deck herumhuschte, hin und wieder neue Befehle zu.

Mit der Reling im Rücken wiegte Julius sich im Rhythmus des Schiffes mit und genoss all dies ungemein. Seine Zeit auf der Accipiter, mit Gaditicus als Kapitän, schien eine Ewigkeit her zu sein, aber wenn er seine Gedanken schweifen ließ, hätte er jetzt wieder genauso gut dort stehen können, auf einem anderen Meer in der Dunkelheit. Er fragte sich, ob Ciro wohl jemals an die Zeit damals zurückdachte. Bei unzähligen Gelegenheiten hatten sie auf der Jagd nach dem Piraten, der ihr kleines Schiff zerstört hatte, ihr Leben aufs Spiel gesetzt.

Julius schloss die Augen und dachte an alle, die bei dieser Jagd umgekommen waren. Besonders Pelitas war ein sehr guter Mann gewesen. Er war jetzt schon lange tot. Damals war alles so einfach gewesen, als läge sein Weg offen vor ihm und warte nur darauf, dass er ihn betrat. Jetzt aber hatte er mehr Möglichkeiten zur Auswahl, als ihm lieb waren. Wenn er zum Konsul gewählt wurde, konnte er in Rom bleiben oder aber seine Legion in neue, unbekannte Länder irgendwo auf der Welt führen. Alexander hatte das schon vor ihm geschafft. Der Knabenkönig hatte seine Armeen gen Osten in Richtung der aufgehenden Sonne geführt, in Länder, die so weit entfernt lagen, dass sie selbst kaum mehr als eine Sage zu sein schienen. In gewisser Hinsicht sehnte sich Julius nach der wilden Freiheit, die er in Afrika und Griechenland kennen gelernt hatte. Niemanden überzeugen und sich vor niemandem rechtfertigen müssen, sondern einfach neue Wege einschlagen.

Bei dem Gedanken daran lächelte er in der Dunkelheit vor sich hin. Spanien lag hinter ihnen, und mit dem Sturm waren ihm alle seine Sorgen, festgefahrenen Gewohnheiten und lästigen Besprechungen von den Schultern genommen.

An die Reling gelehnt, hörte er wieder eilige Schritte von jemandem, der dringend seine letzte Mahlzeit loswerden wollte. Julius hörte Adàns empörten Ruf, als er feststellte, dass Ciro ihm den Weg verstellte. Der Spanier fluchte aufgebracht.

»Was ist denn das? Etwa ein Elefant? Mach schon Platz, du grober Klotz«, blaffte er, und Ciro lachte kurz auf. Es freute ihn, dass auch andere sein Elend teilten.

Der Regen fiel in Sturzbächen vom Himmel, und ein unerwartet greller Blitz irgendwo vor ihnen ließ alle zusammenzucken.

Unbeobachtet hob Julius die Hände gen Himmel und hieß in einem stillen Gebet den Sturm willkommen. Irgendwo vor ihnen lag Rom, und er fühlte sich so lebendig wie seit Jahren nicht mehr.

Der Regen strömte aus dem pechschwarzen Himmel über der Stadt. Obwohl Alexandria sich mit ihren beiden Wachen eigentlich hätte sicher fühlen müssen, fürchtete sie sich, weil die Nacht der dunklen Regenwolken wegen so früh hereinbrach. Ohne die Sonne leerten sich die Straßen rasch, die Familien verriegelten ihre Türen und zündeten die Abendlampen an. Das Straßenpflaster versank in einem zäh dahinfließenden Rinnsal aus Schmutz und Unrat, das ihre Füße umspülte und an ihnen kleben blieb. Beinahe wäre Alexandria auf einem verborgenen Pflasterstein ausgerutscht, und bei dem Gedanken, sich auch noch die Hände mit dem Zeug zu beschmutzen, verzog sie angewidert das Gesicht.

Die Straßen waren unbeleuchtet, und jede dunkle Gestalt, die einem entgegenkam, wirkte unweigerlich bedrohlich. Die Banden der Raptores hielten sicher Ausschau nach leichter Beute, die sie schänden oder ausrauben konnten, und Alexandria hoffte inständig, Teddus und sein Sohn würden sie einschüchtern.

»Halte dich dicht bei uns, Mädchen. Es dauert nicht mehr lange«, sagte Teddus, der vor ihr ging.

Wie er da so vor ihr herhumpelte, konnte sie zwar kaum seine Gestalt ausmachen, aber der beruhigende Klang seiner Stimme lenkte sie ein wenig von ihrer Furcht ab.

Der Wind trug in einem plötzlichen, süßlich-faulen Schwall den Geruch nach menschlichen Exkrementen heran, und Alexandria schluckte heftig, weil sie der Gestank zum Würgen brachte. Es war nicht leicht, keine Angst zu haben. Teddus war schon weit über seine besten Jahre hinaus, und von einer alten Beinverletzung hatte er diesen schwankenden, beinahe schon komischen Gang zurückbehalten. Sein mürrischer Sohn sprach fast nie ein Wort, und sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte.

Auf dem Weg durch die verlassenen Straßen hörte Alexandria, wie die Türen, an denen sie vorbeigingen, von innen knarrend verriegelt wurden. Alle Familien trafen ihre Sicherheitsvorkehrungen. Die ehrbaren Bürger Roms hatten keinerlei Schutz vor den Räuberbanden, und nur wer sich Leibwächter leisten konnte, traute sich nach Einbruch der Dunkelheit noch auf die Straße.

An einer Straßenecke vor ihnen tauchte plötzlich eine Gruppe vermummter Gestalten auf, dunkle Schatten, die sie misstrauisch beäugten. Alexandria fing an zu zittern und hörte, wie Teddus sein Jagdmesser zog. Sie mussten entweder die Straßenseite wechseln oder direkt durch die Gruppe hindurchgehen, und Alexandria kämpfte gegen den Impuls an, einfach wegzurennen. Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie sich von ihren Wachen entfernte. Nur dieser Gedanke ließ sie so gefasst wie möglich weiter auf die Straßenecke zumarschieren. Teddus’ Sohn ging jetzt direkt neben ihr und streifte ihren Arm, aber diese Berührung beruhigte sie keineswegs.