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»Wir sind fast zu Hause«, sagte Teddus laut und deutlich, und das eigentlich mehr zu den Männern an der Straßenecke als zu Alexandria, die das ebenso gut wusste wie er. Er klang unbesorgt und hielt sein langes Messer dicht an der Seite, während sie an den düsteren Gestalten vorbeigingen. Es war viel zu dunkel, um ihre Gesichter zu erkennen, aber Alexandria roch nasse Wolle und einen unangenehmen Knoblauchgeruch. Als einer der Schatten sie an der Schulter anstieß, blieb ihr fast das Herz stehen. Sie stolperte. Teddus’ Sohn führte sie mit seiner Schwerthand weiter und zeigte den Männern dabei unmissverständlich seine Klinge. Die Kerle blieben wie angewurzelt stehen, und Alexandria spürte ihre starren, drohenden Blicke auf sich, als liege der Augenblick auf einer Waagschale. Nur ein kleiner Ausrutscher, und sie würden angreifen, dessen war sie sich sicher. Ihr Herz schlug immer schneller.

Dann waren sie endlich an ihnen vorbei. Teddus nahm sie fest beim Arm, und auf ihrer anderen Seite ging sein Sohn.

»Dreh dich ja nicht nach ihnen um, Mädchen«, flüsterte Teddus leise.

Sie nickte nur, obwohl sie wusste, dass er sie nicht sehen konnte. Folgten ihnen die Männer? Schlichen sie ihnen etwa hinterher wie wilde Hunde? Sie hätte gern einen Blick nach hinten geworfen, doch Teddus zog sie unerbittlich weiter durch die Straßen, immer weiter weg von dieser Ecke. Sein Humpeln wurde stärker, und sein Atem ging mühevoll und stoßweise, als sie die Straßenkreuzung endlich in sicherer Entfernung hinter sich gelassen hatten. Er sprach zwar nie darüber, aber sein rechtes Bein musste jeden Abend mit einer Salbe massiert werden, damit es am nächsten Morgen wieder sein Gewicht trug.

Über ihnen prasselte der Regen auf die Dächer der Häuser, in denen sich Menschen drängten, die genau wussten, warum man in der Dunkelheit nicht durch die Straßen ging. Alexandria riskierte einen Blick nach hinten, konnte aber nichts erkennen und bereute es sofort wieder. Wut stieg in ihr auf. Die Senatsmitglieder mussten nicht solche Ängste ausstehen wie sie. Sie verließen das Haus nie ohne bewaffnete Wachen, und die Raptores gingen ihnen tunlichst aus dem Weg, weil sie sofort erkannten, wer ihnen gefährlich werden konnte. Die Armen hingegen waren ihnen schutzlos ausgeliefert, und selbst am helllichten Tag ereigneten sich in den Straßen Überfälle und Auseinandersetzungen, bei denen nicht selten ein oder zwei Tote zurückblieben. Die Täter gingen dann ganz einfach steifbeinig davon, weil sie wussten, dass sie nicht verhaftet, geschweige denn überhaupt erst verfolgt wurden.

»Wir sind fast da, Mädchen«, sagte Teddus noch einmal. Dieses Mal meinte er es auch so.

Sie hörte die Erleichterung in seiner Stimme und fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn die Bande ebenfalls ihre Messer gezückt hätte. Wäre er für sie gestorben oder hätte er sie der Willkür der Räuber überlassen? Das konnte niemand wissen, aber in Gedanken überschlug sie die Kosten für eine dritte Wache. Doch wer sollte dann den Neuen überwachen?

Nach zwei weiteren Straßenecken hatten sie ihre Straße endlich erreicht. Die Häuser waren zwar größer als in dem Labyrinth, durch das sie gerade gekommen waren, aber das zähflüssige Schmutzrinnsal war hier durch den Regen noch weiter angewachsen. Als ihr etwas von der braunen Brühe unter der Stola bis ans Knie hochspritzte, verzog sie das Gesicht. Schon wieder ein paar Sandalen ruiniert. Das Leder würde diesen üblen Geruch niemals wieder verlieren, egal wie oft sie es auch einweichte.

Leise ächzend vor Schmerzen erreichte Teddus die Haustür als Erster und pochte an. Sie warteten schweigend, und die beiden Männer hielten nach links und rechts Ausschau, für den Fall, dass jemand darauf lauerte, hinter ihnen ins Haus hineinzustürmen. Nur ein paar Nächte zuvor war jemandem in einer nicht weit entfernten Straße genau das passiert. Und niemand hatte es gewagt, das eigene Haus zu verlassen und zu Hilfe zu eilen.

Alexandria hörte, wie sich von innen Schritte der Tür näherten.

»Wer ist da?«, hörte sie Atias Stimme, und Alexandria seufzte erleichtert, weil sie endlich zu Hause war. Sie kannte die Frau schon seit Jahren, und obwohl sie nur bei ihr im Haus lebte und für sie kochte, war sie für Alexandria in ganz Rom doch das, was einer Familie am nächsten kam.

»Ich bin’s, Ati«, antwortete sie.

Ein Lichtstrahl fiel hinaus auf die Straße, als sich die Tür öffnete, und sie schoben sich schnell hinein. Teddus wartete, bis sie von der Straße ins Haus getreten war, bevor er ihr folgte. Sorgfältig schob er den Riegel wieder vor, steckte schließlich sein Messer in die Scheide zurück, und erst dann fiel die Anspannung auch von ihm ab.

»Vielen Dank euch beiden«, sagte Alexandria.

Der Sohn sagte kein Wort, aber Teddus brummelte eine Antwort und tätschelte, wie um sicherzugehen, die dicke solide Außentür. »Dafür werden wir ja schließlich bezahlt«, sagte er.

Sie sah, dass er das schwache Bein ein wenig vom Boden angehoben und das Gewicht ganz auf das andere verlagert hatte. Mitfühlend sah sie ihn an. Es gab sehr unterschiedliche Arten von Mut.

»Ich bringe dir etwas Heißes zu trinken, sobald du dein Bein versorgt hast«, sagte sie.

Zu ihrer Überraschung wurde er rot. »Nicht nötig, Herrin. Ich und der Junge, wir kümmern uns schon um uns. Später vielleicht.«

Alexandria nickte, fragte sich jedoch, ob sie nicht vielleicht darauf hätte bestehen sollen. Teddus schien alles, was wie ein Freundschaftsangebot aussah, irgendwie unangenehm zu sein. Allem Anschein nach wollte er nichts weiter von ihr als regelmäßige Bezahlung, und sie hatte seine Reserviertheit bisher immer akzeptiert. Heute Abend jedoch war sie noch viel zu aufgewühlt und brauchte Menschen um sich herum.

»Ihr müsst doch Hunger haben. In der Küche steht noch kaltes Rindfleisch. Wenn du soweit bist, würde ich mich freuen, wenn ihr uns Gesellschaft leistet.«

Atia trat nervös von einem Fuß auf den anderen, und Teddus starrte einen Moment lang mit gerunzelter Stirn auf den Fußboden.

»Wenn du meinst, Herrin«, sagte er schließlich zögernd.

Alexandria schaute den beiden Männern nach, die sich umdrehten und in ihre Zimmer zurückzogen. Dann sah sie Atia an und lächelte über deren abweisenden Gesichtsausdruck.

»Du bist viel zu nett zu ihnen«, sagte Atia vorwurfsvoll. »Keiner von den beiden hat etwas Gutes an sich, weder der Vater noch der Sohn. Wenn du ihnen das Sagen im Haus überlässt, nutzen sie das sicher aus. Bedienstete sollten niemals vergessen, wo sie stehen, und schon gar nicht, wer sie bezahlt.«

Alexandria lächelte in sich hinein, weil die ausgestandene Angst dieses Abends endlich von ihr abfiel. Theoretisch gesehen war Atia selbst eine Bedienstete, auch wenn sie niemals darüber sprachen. Alexandria hatte sie kennen gelernt, als sie sich damals nach sauberen Räumen in der Stadt umgesehen hatte. Als ihre Goldschmiedewerkstatt weiter gewachsen war, war Atia mit ihr in das neue Haus gezogen, um ihr den Haushalt zu führen. Sie führte sich den anderen Bediensteten gegenüber wie eine Tyrannin auf, aber sie machte aus dem Haus ein richtiges Zuhause.

»Ich bin froh, dass sie mich begleitet haben, Atia. Die Raptores sind heute wegen des Unwetters sehr früh auf den Straßen, und ein oder zwei Becher heißer Wein sind ein fairer Preis für die Sicherheit. Und nun komm schon. Ich verhungere.«

Atia rümpfte zwar die Nase, doch auf dem Weg in die Küche überholte sie Alexandria eilig im Flur.

Das Senatsgebäude erstrahlte im Licht dutzender flackernder Lampen an den Wänden. Trotz des Regens, den man gedämpft draußen niederprasseln hörte, war es in dem hallenden Raum warm und trocken. Nur wenige der anwesenden Männer freuten sich auf den Heimweg, bei dem sie unweigerlich bis auf die Haut nass würden. Der Nachmittag war mit den Berichten über das der Stadt zur Verfügung stehende Geld sowie einer Reihe Abstimmungen hinsichtlich der Genehmigung höherer Aufwendungen für die Legionen, die in fernen Ländern die Pax Romana aufrechterhielten, dahingegangen. Obwohl die Erhöhungen recht deftig ausfielen, blieben noch genügend Reserven, um die Stadt über ein weiteres Jahr zu bringen. Die wohlige Wärme hatte einige der älteren Senatoren schläfrig gemacht, und nur der Sturm draußen hinderte sie daran, sich auf den Weg zu einem verspäteten Mahl und ihren Nachtlagern zu machen.