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Die Sonne durchlief gerade ihren Zenit, als er spürte, dass er die Anspannung nicht mehr länger ertrug. Er gab seinem Wallach die Fersen, und Octavian passte sich seinem Tempo sofort an. Die beiden Männer galoppierten über die Pflastersteine dahin, gefolgt von den bewundernden Rufen und Pfiffen der Händler, die langsam hinter ihnen verschwanden.

Das Grab war sehr schlicht, aus dunklem Marmor gehauen, ein rechteckiger, schwerer Steinblock neben der Straße, weniger als eine Meile vor den großen Toren der Stadt. Julius schwitzte, als er abstieg und sein Pferd zu dem Gras zwischen den Gräberreihen führte, das durch tote Römer so üppig geworden war.

»Das hier ist es«, flüsterte Julius und ließ die Zügel aus der Hand gleiten. Er las die Namen, die in den Stein gemeißelt waren, und schloss einen Moment gequält die Augen, als er den Namen seiner Mutter erblickte. Er hatte es beinahe geahnt, aber die Gewissheit, dass ihre Asche tatsächlich hier begraben war, schmerzte ihn doch unerwartet stark, und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Selbst nach mehr als einem Jahrzehnt war auch der Name seines Vaters noch deutlich zu lesen, und Julius senkte den Kopf, als er die Fingerspitzen über die Buchstaben gleiten ließ und die Linien nachzog.

Der dritte Name war noch immer so gestochen scharf eingemeißelt wie der Schmerz, den er spürte, als er ihn las. Cornelia. Der Sonne und seiner Umarmung entzogen. Nie wieder würde er sie in die Arme nehmen können.

»Hast du den Wein, Octavian?«, fragte Julius nach einer Weile leise. Er versuchte sich aufzurichten, doch die Hand, die er auf den Stein gelegt hatte, schien daran festgewachsen zu sein, er konnte ihn nicht loslassen. Er hörte, wie Octavian in den Satteltaschen kramte, und spürte schließlich den kühlen Ton der Amphore, die ihn mehr als den Monatssold für einen seiner Männer gekostet hatte. Er hatte nur das Beste nehmen wollen, um die zu ehren, die er über alles liebte.

Oben auf dem Grabstein war eine flache Schale in den Marmor eingehauen, die in ein Loch mündete, das nicht viel größer war als eine Kupfermünze. Während Julius das Siegel an der Amphore brach, fragte er sich nachdenklich, ob Clodia jemals seine Tochter hierher mitgenommen hatte, um die Toten zu laben. Er glaubte nicht, dass die alte Frau Cornelia vergessen hatte, genauso wenig wie er selbst.

Der dunkelrote Wein ergoss sich glucksend in die Schale, und Julius hörte, wie er durch das Loch im Stein in die Grabkammer tropfte.

»Dieser Becher ist für meinen Vater, der mich stark gemacht hat«, flüsterte er. »Und dieser ist für meine Mutter, die mir ihre Liebe gegeben hat. Und der letzte ist für meine Frau.« Wie hypnotisiert von dem satten Geräusch des Weines, der im Innern des Grabes verschwand, hielt er inne. »Für Cornelia, die ich geliebt habe und immer noch in Ehren halte.«

Als er die Amphore schließlich an Octavian zurückgab, waren seine Augen vom Weinen gerötet.

»Binde sie nur ja wieder gut zu, mein Junge. Wir müssen noch ein anderes Grab besuchen, wenn wir nach Hause kommen. Und Tubruk wird sich nicht mit einem Becher zufrieden geben.« Julius zwang sich zu einem Lächeln. Er spürte, wie etwas von seiner Trauer von ihm abfiel, als er sein Pferd wieder bestieg. Die Hufe des Wallachs klapperten laut genug, um die unheimliche Stille der Grabreihen zu brechen.

Als Julius sich dem Gut näherte, spürte er so etwas wie Angst in sich aufsteigen. Mit dem Anwesen waren so viele Erinnerungen und so viel Schmerz verbunden. Sein schon in Kindertagen geübtes Auge bemerkte das grobe Unkraut zwischen den zurückgebliebenen Ähren. Er sah eine leise Andeutung von Verfall in jedem überwucherten Weg und in jeder schlecht reparierten Mauer. Man hörte das leise Summen der Bienenstöcke, und bei diesem Geräusch brannten seine Augen.

Der Anblick der weißen Mauern um das Hauptgebäude weckte einen dumpfen Schmerz in seinem Inneren. Die Farbe war fleckig, hier und da war sie abgeplatzt, und Julius fühlte sich schuldig, weil er sich so wenig um das alles gekümmert hatte. In seiner Erinnerung war das Haus irgendwie mit jeder seiner inneren Wunden verbunden, und nicht ein einziges Mal hatte er seiner Tochter oder Clodia geschrieben. Er umklammerte die Zügel und hielt sein Pferd zurück, jeder einzelne Schritt auf das Haus zu schmerzte ihn mehr.

Dort, wo er immer nach seinem Vater Ausschau gehalten hatte, wenn dieser von der Stadt nach Hause kam, stand jetzt eine Torwache. Dahinter lagen die Stallungen, wo er seinen ersten Kuss bekommen hatte, und der Hof, in dem er vor etlichen Jahren beinahe durch Renius’ Hand getötet worden war. Trotz seines heruntergekommenen Äußeren war das Gut überall dort, wo es darauf ankam, noch immer dasselbe, ein fester Ankerplatz in den Wechselfällen seines Lebens. Und doch hätte er in diesem Moment alles dafür gegeben, wenn Cornelia noch da gewesen wäre oder Tubruk herauskäme, um ihn zu begrüßen.

Er hielt vor dem Tor und wartete wortlos. In Gedanken klammerte er sich so sehr an seine Erinnerungen, als könnten sie Wirklichkeit bleiben, bis das Öffnen des Tores alles wieder änderte.

Oben an der Mauer erschien ein Mann, den Julius nicht kannte, und er lächelte bei dem Gedanken an die Treppe, die seinem Blick von hier aus entzogen war. Seine Treppe, sein Zuhause.

»Was wollt ihr hier?«, fragte der Mann in neutralem Ton. Obwohl Julius nur eine einfache Rüstung trug, verlieh ihm seine stumme Begutachtung der Mauern eine gewisse Autorität, die der Mann sofort gespürt hatte.

»Ich bin gekommen, um Clodia und meine Tochter zu sehen«, erwiderte Julius.

Für den Bruchteil einer Sekunde wurden die Augen des Mannes riesengroß, dann aber verschwand er sofort, um Bescheid zu geben.

Die Torflügel schwangen langsam auf, und mit Octavian an seiner Seite ritt Julius zwischen ihnen hindurch in den Hof hinein. In der Ferne hörte er, wie jemand Clodias Namen rief, doch die Erinnerung an die Vergangenheit hielt ihn immer noch in ihrem Bann. Er atmete tief durch.

Bei der Verteidigung dieser Mauern war sein Vater gestorben, und Tubruk hatte ihn auf den Schultern durch dieses Tor getragen. Ein Schauer überlief ihn trotz der warmen Sonnenstrahlen. Es gab hier einfach zu viele Gespenster, und er fragte sich, ob er wohl jemals wieder behaglich hier würde leben können, wo ihn jeder Winkel an seine Vergangenheit erinnerte.

Clodia kam aus dem Haus geeilt, und als sie ihn erblickte, blieb sie wie erstarrt stehen. Julius stieg vom Pferd, und sie verbeugte sich tief. Das Alter war nicht gut zu ihr gewesen, dachte er, während er sie an den Schultern hochzog und sie umarmte. Sie war immer eine kräftige, tüchtige Frau gewesen, aber in ihr Gesicht hatte sich mehr eingegraben als nur die Zeit. Wenn Tubruk noch am Leben gewesen wäre, hätte sie ihn geheiratet, aber diese Chance auf ein bisschen Glück war ihr von denselben Dolchen genommen worden, die ihm Cornelia geraubt hatten.

Als sie das Gesicht hob, sah er Tränen in ihren Augen, und dieser Anblick ließ seine eigene Trauer noch mehr hervorbrechen. Sie hatten den Verlust gemeinsam erlitten, und die schmerzhaften Erinnerungen daran trafen Julius mit voller Wucht. Es war, als wäre die Zeit in dem Moment stehen geblieben, als der Sklavenaufstand den Süden überrollte und sie hier in diesem Hof einander gegenübergestanden hatten. Damals hatte sie versprochen, hier zu bleiben und seine Tochter aufzuziehen. Das waren die letzten Worte gewesen, die sie miteinander gesprochen hatten, bevor er fortgegangen war.

»Du warst so lange weg ... ohne eine Nachricht, Julius. Ich wusste nicht, wohin ich die Kunde vom Tod deiner Mutter hätte schicken sollen«, sagte sie. Während sie sprach, liefen ihr erneut die Tränen über die Wangen, und Julius drückte sie fest an sich.

»Ich ... ich wusste, dass es irgendwann passieren würde. War es sehr schlimm?«