Alexandria hielt eine Hand an die Tonform und spürte die darin gefangene Hitze. Ob wohl jemals ein Mann sie so sehr lieben würde, um ihr Bildnis ein Leben lang bei sich zu behalten?
Tief in Gedanken versunken, hörte sie nicht, wie Brutus hinter ihr die Werkstatt betrat. Während er sie noch beobachtete, entstand eine merkwürdige Stille, und etwas, das sie nicht hätte beim Namen nennen können, bewog sie dazu, sich schließlich umzudrehen.
»Bring den guten Wein und zieh dich aus«, sagte er. Wie gebannt ruhte sein Blick auf ihr, und den mit offenem Mund dastehenden Tabbic bemerkte er überhaupt nicht. »Ich bin wieder da, Mädchen. Julius ist zurück, und wenn wir hier fertig sind, steht ganz Rom Kopf.«
9
Brutus tätschelte Alexandrias Oberschenkel. Als sie im Sonnenuntergang zum Gut hinausgeritten waren, freute er sich einfach nur daran, sie hinter sich auf dem Sattel zu spüren. Nachdem er den ganzen Tag mit ihr im Bett verbracht hatte, fühlte er sich so entspannt und zufrieden mit der Welt wie schon lange nicht mehr. Wenn nur jede Heimkehr so wie diese sein könnte.
Sie war das Reiten nicht gewohnt und drückte sich fest an ihn. Brutus spürte, wie ihm der Wind einige ihrer Haarsträhnen in den Nacken peitschte, und er empfand dieses Gefühl als außerordentlich erotisch. Während seiner Abwesenheit war sie stark geworden. Ihr Körper war straff und strotzte nur so vor Gesundheit, auch ihr Gesicht hatte sich ein wenig verändert. Auf die Stirn hatte ein Spritzer flüssiges Metall eine Narbe eingebrannt, die beinahe wie eine Träne aussah.
Ihr schwarzer Umhang flatterte im Wind um ihn herum, und er griff nach einem Zipfel und zog sie näher zu sich heran. Sie legte die Arme um seine Brust und atmete tief ein. Die Luft war angenehm warm, weil der Boden die Hitze des Tages abstrahlte. Brutus wünschte sich nur, dass jemand jetzt sehen könnte, was für ein schönes Paar sie abgaben, wie sie quer über die Felder auf das Gut zuritten.
Er konnte es schon von weitem ausmachen. In der einsetzenden Dunkelheit verschmolzen die Lichter der Fackeln miteinander und gaben den Mauern das Aussehen einer Lichterkrone. Brutus zügelte sein Pferd ein wenig, denn einen Moment lang hatte er geglaubt, Tubruk am offenen Tor auf ihn warten zu sehen.
Als er sah, wie das Pferd in Schritt fiel, blieb Julius stumm, denn er erahnte und verstand Brutus’ Gedanken. Er besänftigte seine Ungeduld und dankte insgeheim den Göttern für die Ankunft seines Freundes. Es war gut und richtig, dass er hier war. Die beiden Männer lächelten einander wehmütig an, als sich Brutus im Sattel nach hinten drehte, um zuerst Alexandria beim Absteigen behilflich zu sein, und dann selbst neben ihr vom Pferd sprang.
Julius küsste Alexandria auf die Wange. »Es ist mir eine Ehre, dich in meinem Haus zu haben. Die Diener begleiten dich ins Haus. Ich möchte hier draußen noch ein paar Worte mit Brutus wechseln«, sagte er zu ihr. Ihre Augen blitzten kurz auf, und er fragte sich, ob sie wohl, wie er selbst auch, manchmal an einen ganz bestimmten Abend zurückdachte.
Als sie im Haus verschwunden war, holte Julius tief Luft und schlug Brutus freundschaftlich auf die Schulter.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass Tubruk nicht mehr hier ist«, sagte er traurig und sah dabei über die Felder.
Brutus betrachtete ihn schweigend, bückte sich dann und hob eine Handvoll Erde auf.
»Weißt du noch, wie er dich das hier in die Hand hat nehmen lassen?«, fragte er.
Julius nickte gedankenvoll und tat es ihm nach. Brutus freute sich, als er sah, dass Julius lächelte, während er die staubige Erde langsam in den sanften Wind rieseln ließ.
»Getränkt mit dem Blut derjenigen, die vor uns gegangen sind«, sagte er.
»Und unserem eigenen. Er war ein guter Mann«, fuhr Brutus fort, ließ auch seine Handvoll Erde im Wind verwehen und klatschte dann energisch in die Hände. »Du wirst dir jemand Neues suchen müssen, der dafür sorgt, dass die Felder wieder gepflügt werden. Ich habe das Gut noch nie so vernachlässigt gesehen. Aber wenigstens bist du jetzt wieder da.«
Julius sah ihn stirnrunzelnd an. »Ich habe mich schon gefragt, wohin du verschwunden bist, aber ich sehe, du hast eine bessere Betätigung gefunden, als dich um das Lager in Ostia zu kümmern.«
Julius konnte seinem Freund einfach nicht böse sein, obwohl er vorgehabt hatte, ihm eine deutlichere Rüge zu erteilen.
»Renius hatte dort alles im Griff. Außerdem ist es ganz gut, dass ich nicht dort geblieben bin«, erwiderte Brutus. »Alexandria hat mir erzählt, dass morgen auf dem Forum eine öffentliche Debatte stattfindet, deshalb bin ich direkt hierher geritten, um dir Bescheid zu sagen.«
»Das weiß ich bereits. Sobald Servilia davon erfahren hatte, hat sie es mir mitgeteilt. Ich bin aber trotzdem froh, dass du gekommen bist. Ich hätte ohnehin nach dir geschickt, auch wenn du meinen Befehlen nicht zuwider gehandelt hättest.«
Brutus sah seinen Freund forschend an und versuchte herauszufinden, wie ernst diese Kritik gemeint war. Die Anstrengung und Erschöpfung der Zeit in Spanien waren aus Julius’ Gesicht gewichen. Er sah so jung aus wie schon lange nicht mehr. Brutus wartete noch einen Augenblick.
»Ist mir vergeben?«, fragte er schließlich.
»Aber ja«, antwortete Julius. »Und jetzt komm ins Haus und sieh dir meine Tochter an. Ein Zimmer steht schon für dich bereit; ich will dich bei mir haben, um eine Kampagne zu planen. Du bist als Letzter gekommen.«
Sie gingen nebeneinander durch den Hof, in dem nur das unruhige Flackern der Lampen entlang der Mauer zu hören war. Als die Tore hinter ihnen geschlossen wurden, strich eine leichte Brise über sie hinweg. Brutus spürte, wie sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten; er fröstelte. Julius öffnete die Tür zu einem Raum voller Leben und Lärm, und er zog den Kopf ein, um einzutreten und verspürte den ersten Schauer der Erregung.
Wie er kurz darauf feststellte, hatte Julius sie alle zusammenrufen lassen. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen und begrüßte seine Freunde. Mit Alexandria waren jetzt alle Menschen, an denen ihm etwas lag, hier in diesem einen Raum versammelt. Und alle hatten sie die leuchtenden Augen freudiger Verschwörer, die planten, wie eine Stadt zu regieren wäre. Servilia, Cabera, Domitius, Ciro, Octavian ... alle hatte Julius an seine Seite gerufen. Der einzige Fremde war der junge Spanier, der als Schreiber mit Julius hierher gekommen war. Genauso wie Brutus schaute auch Adàn von einem Gesicht zum anderen. Als sich ihre Blicke trafen, nickte Brutus ihm zu und erkannte ihn damit in ihrer Runde an. Julius hatte das sicher so gewollt.
Brutus sah, wie steif und unsicher Alexandria inmitten der anderen stand, und trat instinktiv neben sie. Julius sah es und verstand.
»Wir brauchen dich hier, Alexandria. Niemand sonst unter uns hat in den letzten Jahren in Rom gelebt, und genau dieses Wissen brauche ich jetzt.«
Sie errötete auf bezaubernde Weise, entspannte sich etwas, und unbemerkt von den anderen kniff Brutus ihr ins Hinterteil. Als Alexandria seine Hand wegschlug, sah ihn seine Mutter scharf an, doch Brutus lächelte sie nur an und schaute wieder zu Julius hinüber.
»Wo ist denn jetzt deine Tochter?«, fragte er, denn er war wirklich neugierig, das Mädchen zu sehen.
»Sie wird wohl draußen im Stall sein«, antwortete Julius. »Sie reitet nämlich wie ein Zentaur. Ich rufe sie später herein, bevor sie zu Bett geht.« Bei dem Gedanken an seine Tochter malte sich Stolz auf seinem Gesicht, und Brutus lächelte ebenfalls. Dann aber räusperte sich Julius und sah wieder in die Runde.
»Also schön. Ich muss jetzt entscheiden, was genau ich morgen früh tun werde, wenn ich auf dem Forum erscheine und für einen der Konsulposten kandidiere.«