Julia saß draußen im Dunkel der Stallungen und genoss die Wärme und Geborgenheit, die von den Pferden ausging. Sie ging an den Verschlägen entlang, tätschelte die weichen Nüstern und redete leise mit den Tieren. Vor dem riesigen Wallach, auf dem der Freund ihres Vaters diese Frau mitgebracht hatte, blieb sie stehen. Es war komisch, dieses Wort. Ihr Vater. Wie oft hatte ihr Clodia von dem tapferen Mann erzählt, der wegen der Laune eines Konsuls aus Rom weggeschickt worden war? Sie hatte sich ihr eigenes Bild von ihm gemacht und sich eingeredet, dass nur seine vielen Pflichten ihn davon abhielten, zu ihr zu kommen. Clodia hatte immer behauptet, eines Tages käme er zurück, und dann sei alles wieder gut. Aber jetzt, wo er da war, fand Julia das Ganze mehr als nur ein wenig beängstigend. Von dem Moment an, als er seinen Fuß in den Staub des Hofes gesetzt hatte, war alles anders geworden, und das Haus hatte einen neuen Herrn.
Er wirkte immer so streng und ernst. Nachdenklich hob sie den Kopf und rieb ihre Nase an den samtigen Nüstern des Wallachs. Das Pferd antwortete mit einem leisen Wiehern, stupste sie an und schnaubte ihr warme Luft ins Gesicht. Er war gar nicht so alt, wie sie erwartet hatte. Sie hatte ihn sich immer mit grauem Haar an den Schläfen und der Würde eines Senatsmitgliedes vorgestellt.
Von dort, wo sich die vielen unbekannten neuen Menschen versammelt hatten, wehte die Nachtluft ein wenig Lärm herüber. So viele! Noch nie hatte das Haus so viele Besucher beherbergt, dachte sie verwundert. Von ihrem Ausguck auf der äußeren Mauer hatte sie einen nach dem anderen ankommen gesehen und über so viele Fremde erstaunt den Kopf geschüttelt.
Vor allem waren es völlig andere Besucher als die, die Clodia sonst immer einlud. Ganz besonders die Frau mit den Diamanten um den Hals: Julia hatte gesehen, wie ihr Vater diese Frau geküsst hatte, als er sich unbeobachtet wähnte, und ihr hatte sich angeekelt die Kehle zugeschnürt. Sie hatte versucht, sich einzureden, die beiden verbinde sicherlich nur eine enge Freundschaft, doch die Art, wie diese Frau sich an ihn drängte, hatte etwas viel zu Vertrautes, und Julia war vor Scham rot geworden. Wer auch immer diese Frau war, sie würden niemals Freundinnen werden, das schwor sie sich.
Eine Weile malte sie sich aus, wie die Frau versuchte, ihre Zuneigung zu gewinnen, und nahm sich vor, sich ihr gegenüber äußerst reserviert zu geben. Nein, sie würde nicht unhöflich zu ihr sein, denn Clodia hatte ihr beigebracht, Unhöflichkeit zu verabscheuen. Sie würde sich gerade kühl genug verhalten, um diese Frau spüren zu lassen, dass sie hier nicht willkommen war.
Neben dem Verschlag des Wallachs hing ein schwerer Umhang am Haken, den Julia als den erkannte, der das zuletzt eingetroffene Paar umhüllt hatte. Sie erinnerte sich an das Lachen des Mannes, das der Wind über das Feld herangetragen hatte. Er war ein sehr ansehnlicher Mann. Er war zwar etwas kleiner als ihr Vater, doch sein Gang war genauso wie der des Mannes, den Clodia angestellt hatte, um ihr das Reiten beizubringen. Gerade so, als habe er so viel Energie in sich, dass er sich vor lauter Lust und Freude darüber kaum vom Herumtanzen zurückhalten konnte.
So, wie seine Begleiterin sich an seinen Rücken geschmiegt hatte, war Julia sich sicher, dass sie ihn liebte. Beinahe zufällig schienen sich die beiden fortwährend zu berühren.
Julia verweilte noch lange im Stall und versuchte herauszufinden, was sie eigentlich fühlte, seit ihr Vater angekommen war. Wenn sie etwas bedrückte oder wenn sie Clodia verärgert hatte, suchte sie immer den Stall auf. Im Halbdunkel, mit dem Geruch nach Leder und Stroh, hatte sie sich seit jeher geborgen gefühlt. Im Haupthaus gab es so viele leere Räume, die nachts kalt und dunkel dalagen. Wenn sie sich hindurchschlich, um draußen im Mondlicht auf die Mauer zu klettern, stellte sie sich immer vor, wie ihre Mutter in den Räumen umherging; dann überlief sie regelmäßig ein kalter Schauer. Nur zu leicht kamen ihr dabei auch die Männer in den Sinn, die sie getötet hatten und die jetzt hinter ihr herschlichen, bis Julia sich in Panik umdrehte und vor Gespenstern erschrak, die sie nie sehen konnte.
Lautes Gelächter drang plötzlich vom Haus herüber. Sie hob den Kopf, um genauer hinzuhören. Das Geräusch ebbte wieder zu vollkommener Stille ab. Nachdenklich blinzelte sie in der Dunkelheit, und ihr wurde klar, dass sie sich durch die Anwesenheit der Freunde ihres Vaters sicher fühlte. Heute Nacht würden keine Mörder über die Mauer klettern, um sie zu holen, nein, heute Nacht würde sie keine Albträume haben.
Sie tätschelte dem Wallach noch einmal die Nase und nahm dann den Umhang vom Haken. In einem Anflug von Zorn warf sie ihn auf den staubigen Boden. Der Freund ihres Vaters verdiente etwas Besseres als diese Frau, sagte sie sich und schlang die Arme um ihren Körper.
Pompeius schritt mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab. Er trug eine Toga aus dickem weißem Tuch, die seine Arme freiließ, so dass an den Oberarmen deutlich das Spiel seiner Muskeln zu sehen war, als seine Finger sich umeinander wanden. Die Lampen in seinem Stadtdomizil erloschen schon langsam, doch er rief nicht nach den Sklaven, um sie wieder auffüllen zu lassen. Die düstere Beleuchtung passte perfekt zu der Stimmung des römischen Konsuls.
»Den Schaden, den er angerichtet hat, als er seinen Posten verlassen hat, kann er nur wieder gutmachen, wenn er sich für die Wahl aufstellen lässt. Sonst gibt es keinen anderen Grund, ein solches Risiko einzugehen, Regulus.«
Der dienstälteste Zenturio stand in Habachtstellung vor seinem unruhig einherschreitenden Vorgesetzten. Er war ihm nun seit über zwanzig Jahren treu ergeben und kannte Pompeius’ Launen so gut wie kaum ein anderer.
»Ich stehe jederzeit zu deiner Verfügung, Herr«, sagte er und blickte dabei weiter ausdruckslos geradeaus.
Pompeius sah ihn an, und was er sah, schien ihm zu gefallen.
»Du bist mein rechter Arm, Regulus, das weiß ich. Ich benötige aber mehr als nur Gehorsam, wenn Cäsar mir nicht die Stadt aus den Händen nehmen soll. Ich brauche Ideen. Sprich nur frei heraus, und hab keine Angst.«
Bei diesem Befehl nahm Regulus eine etwas entspanntere Haltung an. »Hast du schon daran gedacht, ein Gesetz einzubringen, das es dir erlaubt, ein weiteres Mal anzutreten? Er würde niemals Konsul werden, wenn er dir bei der Wahl als Herausforderer gegenübertreten müsste.«
Pompeius runzelte missmutig die Stirn. Wenn er so etwas auch nur einen Augenblick für durchführbar hielte, hätte er es schon längst in die Tat umgesetzt. Doch allein der Vorschlag, zu jenen alten Tagen zurückzukehren, würde sowohl den Senat als auch die normalen Bürger Sturm laufen lassen. Die Ironie, dass er genau die Beschränkungen mitgeschaffen hatte, die ihn nun hemmten, entging ihm durchaus nicht. Aber solche Gedanken brachten ihn jetzt der Lösung seines Dilemmas auch keinen Schritt näher.
»Das ist unmöglich«, antwortete er schließlich mit zusammengepressten Zähnen.
»Dann müssen wir für die Zukunft vorausplanen, Herr«, sagte Regulus ruhig.
Pompeius blieb stehen und sah ihm hoffnungsvoll in die Augen. »Und was schwebt dir vor?«
Regulus holte tief Luft, bevor er antwortete. »Lass mich in seine Legion eintreten. Sollte je der Zeitpunkt kommen, dass du ihn aufhalten musst, hättest du auf diese Weise immer ein verlässliches Schwert in seiner Nähe.«
Pompeius rieb sich nachdenklich das Gesicht, während er Für und Wider dieses Angebots abwog. Einerseits verabscheute er ein derart unehrenhaftes Vorgehen, andererseits wäre es töricht, eine solche Waffe für die Zukunft abzulehnen. Wer wusste schon, was die nächsten Jahre bringen würden, für jeden von ihnen?
»Du müsstest wieder als einfacher Soldat anfangen«, sagte Pompeius langsam.
Der Zenturio holte tief Luft, als er merkte, dass seine Idee nicht sofort auf Ablehnung stieß.