Nachdem sie sich zusammengeschlossen hatten, legte sich die Nervosität, die Brutus befallen hatte, ein wenig und wich der Aufregung, zum ersten Mal eine Legion gegen einen Feind zu führen. Obwohl er einerseits hoffte, Julius hinter ihnen auftauchen zu sehen, wollte er sie andererseits alleine befehligen. Auf seinen Befehl hin schwenkten die Extraordinarii herum, als hätten sie schon seit Jahren zusammen gekämpft. Brutus genoss den Anblick und spürte, wie sich bei dem Gedanken, das Kommando über sie jemand anderem übertragen zu müssen, alles in ihm sträubte.
Renius war mit fünf Zenturien an der Küste zurückgeblieben, um die Ausrüstung und das Gold aus Spanien zu bewachen. Das war nötig, aber Brutus vermisste jeden Mann, der ihm deshalb fehlte, während die Stärke des Feindes nicht bekannt war. Als er seinen Blick über die Marschkolonne schweifen ließ, erfüllte ihn Stolz auf die Männer, die für ihn marschierten. Anfangs hatten sie nichts besessen außer einem goldenen Adler und der Erinnerung an Marius, jetzt jedoch waren sie wieder eine Legion, und sie waren sein.
Er blickte zum Himmel, um zu sehen, wo die Sonne stand, und erinnerte sich an die Karten, die ihm seine Späher gezeichnet hatten. Catilinas Streitmacht war mehr als einen Tagesmarsch von der Stadt entfernt, und er würde sich entscheiden müssen, ob er ein Marschlager aufschlagen oder seine Männer die Nacht hindurch marschieren ließ. Die Zehnte war zweifellos so ausgeruht, wie sie nur sein konnte, längst erholt von der Seereise, die sie in die Heimat zurückgebracht hatte. Außerdem schoss ihm der auf rührerische Gedanke durch den Kopf, dass Julius sie einholen würde, wenn sie Halt machten, und der Oberbefehl dann wieder auf ihn übergehen würde. Der unebene Boden würde im Dunkeln heimtückisch sein, aber Brutus beschloss, seine Männer weiterzutreiben, bis sie auf den Feind stießen.
Die Region Etruria, deren südlichste Spitze Rom bildete, war ein Land der Hügel und Schluchten, nicht leicht zu durchqueren. Die Zehnte war gezwungen, ihre Reihen zu verbreitern, um sich den Weg an alten Felsen und Tälern vorbei zu bahnen, und Brutus sah mit Genugtuung, wie sich die Formationen schnell und diszipliniert veränderten.
Octavian galoppierte durch sein Blickfeld und warf seinen Wallach mit demonstrativem Geschick herum, als er auf seine Höhe kam.
»Wie weit noch?«, brüllte er über das Scheppern und Trampeln der Reihen hinweg.
»Noch dreißig Meilen bis zu dem Dorf, das wir ausgekundschaftet haben«, erwiderte Brutus lächelnd. Er konnte sehen, wie sich seine eigene Erregung in Octavians Gesicht spiegelte. Der Junge hatte noch nie eine Schlacht miterlebt. Für ihn wurde der Marsch nicht durch Gedanken an Tod und Schmerz getrübt. Brutus hätte ungerührt bleiben sollen, aber die Zehnte strahlte in der Sonne, und der Junge, der er einmal gewesen war, freute sich an der Befehlsgewalt.
»Nimm dir eine Zenturie und erkunde den Weg hinter uns«, befahl Brutus und ignorierte den enttäuschten Ausdruck, der sich im Gesicht des jüngeren Mannes breit machte. Es war hart für ihn, aber Brutus wollte ihn nicht die erste Attacke reiten lassen, ehe er nicht das wahre Gesicht der Schlacht gesehen hatte.
Er beobachtete, wie Octavian Reiter zusammenstellte und in perfekter Formation ans Ende der Kolonne ritt. Brutus nickte befriedigt und genoss die Gelegenheit, wie ein General denken zu können.
Er erinnerte sich daran, wie er Julius vor Jahren die Primigenia übergeben hatte, und ein bitteres Gefühl des Bedauerns überfiel ihn, ehe er es unterdrücken konnte. Die Befehlsgewalt, die er innehatte, trug er nur als Stellvertreter, bis Julius zu ihnen stieß, aber die Erinnerung an diesen Marsch würde ihm lange im Gedächtnis bleiben.
Einer der Kundschafter kam eilig herangeritten. Das Pferd rutschte auf der lockeren Erde, als der Reiter kräftig an den Zügeln zog. Sein Gesicht war kreidebleich vor Aufregung.
»Der Feind ist in Sicht. Er marschiert auf Rom zu.«
»Wie viele?«, fuhr Brutus ihn mit wild schlagendem Herzen an. »Zwei Legionen Freischärler, Herr, in offener Aufstellung. Kavallerie konnte ich keine sehen.«
Hinter ihnen ertönte ein Ruf, und Brutus drehte sich fast mit einem Gefühl der Furcht in seinem Sattel um. Hinter der Kolonne kamen zwei Reiter auf sie zugaloppiert. Da wusste er, dass Domitius seine Pflicht erfüllt und Julius zur Zehnten gebracht hatte. Heftig biss er die Zähne zusammen und versuchte, den Zorn zu unterdrücken, der ihn durchflutete.
Er wandte sich wieder dem Kundschafter zu und zögerte. Sollte er warten, bis Julius kam und das Kommando übernahm? Nein, das würde er nicht tun. Er würde den Befehl geben, und er holte tief Luft.
»Gib den Befehl weiter. Vorrücken und angreifen. Die Hornisten sollen zur Manipel-Aufstellung blasen. Die Velites nach ganz vorn, die Extraordinarii an die Flanken. Wir werden diese Dreckskerle gleich beim ersten Angriff in die Flucht schlagen.«
Der Kundschafter salutierte, ehe er davongaloppierte, und Brutus fühlte sich leer, als er die Staubwolke sah, die Blut und Kampf versprach. Von hier an würde Julius sie in die Schlacht führen.
Als sie die Legion erblickten, die auf sie zukam, gerieten die Marschreihen der Söldner ins Wanken und wurden langsamer. Die Zehnte glitt wie ein großes, silberglänzendes Tier auf sie zu, und der Boden bebte leise im Takt ihrer Schritte. Zahllose Fahnen wehten im Wind, und das Klagen der Cornicen schwebte dünn durch die Luft.
4000 der Männer, die Catilinas Gold angelockt hatte, stammten aus Gallien. Ihr Anführer drehte sich zu dem Römer um und legte ihm eine kräftige Hand auf die Schulter.
»Du hast gesagt, die Stadt kann sich nicht verteidigen«, knurrte er.
Catilina schüttelte die Hand ab.
»Wir sind in der Überzahl und werden sie schlagen, Glavis«, fuhr er ihn an. »Du hast gewusst, dass du dich auf ein blutiges Geschäft einlässt.«
Der Gallier nickte und spähte durch den Staub zu den Reihen der Römer hinüber. Er bleckte die Zähne unter dem Bart, zog ein schweres Schwert aus der Scheide, die quer über seinem Rücken hing, und ächzte unter dem Gewicht. Um ihn herum folgten die Männer seinem Beispiel, bis sie mit einem Wald von Klingen über ihren Köpfen den Angriff erwarteten.
»Nur diese kleine Legion, und dann noch eine in der Stadt. Die fressen wir mit Haut und Haaren«, versprach Glavis, legte den Kopf in den Nacken und brüllte. Die Gallier um ihn herum antworteten. Die ersten Reihen lösten sich, wurden schneller und rannten über das unebene Gelände.
Catilina zog sein eigenes Schwert und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Herz hämmerte vor ungewohnter Furcht, und er fragte sich, ob der Gallier es bemerkt hatte. Verbittert schüttelte er den Kopf und verfluchte Crassus für seine Lügen. Es hätte vielleicht möglich sein können, Rom in der Verwirrung und Panik der Dunkelheit zu erobern, aber eine Legion in offener Feldschlacht besiegen?
»Wir sind in der Überzahl«, flüsterte er vor sich hin und schluckte schwer. Vor sich sah er eine wogende Masse von Pferden, die die Fußsoldaten überholte. Die Erde erzitterte unter der Wucht des Angriffs, und mit einem Mal war Catilina überzeugt, dass er sterben würde. In diesem Augenblick schwand alle Angst, und seine Füße wurden beim Laufen immer leichter.
Julius übernahm ohne zu zögern das Kommando, kaum dass er auf seinem schweißnassen Pferd Brutus erreicht hatte. Er übergab ihm die Wachstafel, die von den Konsuln unterzeichnet worden war.
»Damit sind wir legitimiert. Hast du den Angriffsbefehl bereits gegeben?«
»Das habe ich«, erwiderte Brutus. Er versuchte die Kälte, die er spürte, zu verbergen, aber Julius sah ihn gar nicht an, sondern versuchte, das Vorgehen der Rebellenstreitmacht einzuschätzen.