Julius fluchte leise vor sich hin. »Dann wirf mir ein Seil herunter. Ich habe etwas Dringendes mit dem Konsul zu besprechen, das keinen Aufschub duldet.«
Der Soldat verschwand, vermutlich um mit seinem Vorgesetzten zu sprechen. Die Extraordinarii warteten unruhig.
»Wir haben den Befehl, dich zum Senat zu begleiten, General«, sagte einer von ihnen vorsichtig.
Julius drehte sich im Sattel um und blickte den Reiter an.
»Wenn Pompeius die Stadt abgeriegelt hat, wird seine Legion überall auf den Straßen zu finden sein. Mir droht kein Gefahr.«
»Ja, Herr«, erwiderte der Reiter. Der Gehorsam hielt ihn davon ab, den Befehl in Frage zu stellen.
Auf der Mauer erschien ein Offizier in voller Rüstung. Der Federbusch auf seinem Helm wehte leicht im Nachtwind.
»Ädile Cäsar? Ich lasse dir ein Seil hinunter, wenn du mir dein Wort gibst, alleine zu kommen. Die Konsuln haben nicht damit gerechnet, dass du so früh zurückkehrst.«
»Du hast mein Wort«, erwiderte Julius. Er sah, wie der Mann ein Zeichen gab und schwere Seilschlingen am Fuß des Tores auf den Boden schlugen. Er erblickte auch Bogenschützen, die ihn von den Türmen am Tor aus ins Visier nahmen, und nickte vor sich hin. Pompeius war kein Dummkopf.
Nachdem er abgestiegen war und das Seil ergriffen hatte, drehte er sich zu den Extraordinarii um.
»Kehrt mit den anderen in die alten Kasernen der Primigenia zurück. Bis zu meiner Rückkehr hat Brutus das Kommando.«
Ohne ein weiteres Wort machte er sich daran, die Mauer zu erklettern.
13
Ein leichter Regen setzte ein, als Julius durch die leere Stadt ging. Jetzt, da sich der Morgen bereits am Horizont abzeichnete, hätten die Straßen voller Arbeiter, Dienstboten und Sklaven sein müssen, die mit tausenderlei Aufträgen unterwegs waren. Die Schreie der Markthändler hätten zu hören sein müssen, ebenso der Lärm der verschiedenen Werkstätten. Stattdessen war es überall geisterhaft still.
Julius zog die Schultern gegen den Regen hoch und hörte, wie seine Schritte von den Mauern der Häuser zu beiden Seiten widerhallten. Er sah Gesichter in den hohen Fenstern der Mietskasernen, aber niemand rief ihn an. Also eilte er weiter zum Forum.
Die Soldaten des Pompeius standen in kleinen Gruppen an allen Ecken, um bei Bedarf sofort die Ausgangssperre durchzusetzen. Einer von ihnen legte die Hand auf den Schwertgriff, als er die einsame Gestalt erblickte. Julius warf den Reitumhang zurück und gab den Blick auf die Rüstung darunter frei. Sie ließen ihn passieren. Die ganze Stadt war nervös, und Julius verspürte wachsenden Zorn über die Rolle, die Crassus dabei gespielt hatte.
Er schritt eilig die Alta Semita hinab, die am Quirinal entlang zum Forum führte. Die großen, flachen Trittsteine verhinderten, dass er in den träge dahinfließenden Dreck des Straßenbettes treten musste. Der Regen machte sich daran, die Stadt zu reinigen, aber es bedurfte mehr als eines kurzen Schauers, um diese Aufgabe zu Ende zu führen.
Noch nie in seinem Leben hatte er das weite Areal des Forums so leer und verlassen gesehen. Der Wind, den die Häuserreihen vorher abgehalten hatten, traf ihn mit voller Wucht, als er auf den Platz hinaustrat, und ließ den Umhang hinter ihm herflattern. Vor den Tempeleingängen und dem Tor zum Senat waren Soldaten postiert, drinnen jedoch waren keine Lichter zu sehen. Die Tempelpriester hatten flackernde Fackeln für die Betenden angezündet, aber dafür hatte Julius keine Zeit. Als er am Tempel der Minerva vorbeikam, bat er die Göttin leise um die Weisheit, seinen Weg durch das Durcheinander zu finden, das Crassus verursacht hatte.
Die eisernen Nägel seiner Sandalen klangen laut auf den Steinplatten des großen Platzes, den er auf dem Weg zum Senat überquerte. Dort standen zwei Legionäre vollkommen regungslos auf ihrem Posten, obwohl Regen und Wind auf ihre ungeschützte Haut trafen. Als Julius seinen Fuß auf die erste Stufe setzte, zückten beide ihre Schwerter. Julius blickte sie finster an. Sie waren beide noch sehr jung. Erfahrene Männer hätten nicht schon bei einem so geringen Anlass blank gezogen.
»Auf Befehl von Konsul Pompeius darf niemand eintreten, bis der Senat wieder zusammengerufen wird«, sagte einer zu Julius, erfüllt von der Wichtigkeit seiner Pflicht.
»Ich muss noch vor dieser Sitzung mit den Konsuln sprechen«, erwiderte Julius. »Wo sind sie?«
Die beiden Soldaten wechselten einen kurzen Blick und überlegten angestrengt, ob sie diese Information weitergeben durften. Julius, der inzwischen bis auf die Haut durchnässt war, wurde allmählich ungeduldig.
»Mir wurde aufgetragen, mich zu melden, sobald ich nach Rom zurückgekehrt bin. Hier bin ich. Wo finde ich euren Befehlshaber?«
»Im Gefängnis, Herr«, antwortete der Soldat. Er wollte noch mehr sagen, überlegte es sich aber anders, nahm wieder die ursprüngliche Haltung ein und steckte das Schwert weg. Nun standen die beiden wieder wie Statuen im Regen.
Mittlerweile hingen schwarze Wolken über der Stadt, und der immer stärker werdende Wind heulte über das menschenleere Forum. Julius widerstand dem Bedürfnis, sich rasch irgendwo unterzustellen und schritt hinüber zum Gefängnis, das an das Senatsgebäude angrenzte. Es war ein kleines Gebäude, in dem sich lediglich zwei unterirdische Zellen befanden, wo die zum Tode Verurteilten in der Nacht vor ihrer Hinrichtung untergebracht wurden. Andere Gefängnisse gab es nicht in der Stadt: Hinrichtungen und Verbannungen machten ihren Bau überflüssig. Die Tatsache, dass Pompeius dort zu finden war, ließ Julius ahnen, was ihn dort erwartete, und er bereitete sich darauf vor, nicht mit der Wimper zu zucken.
Zwei weitere Soldaten des Pompeius bewachten die äußere Tür. Als sich Julius näherte, nickten sie ihm zu, als hätten sie ihn erwartet und öffneten den Riegel.
Da Julius’ Rüstung die Insignien der Zehnten trug, wurde er nicht aufgehalten, bis er die Treppe erreichte, die hinunter zu den Zellen führte. Drei Männer machten ihm Platz, nachdem er seinen Namen genannt hatte, ein vierter folgte ihm die Stufen hinunter. Julius wartete geduldig, während unten irgendwo sein Name genannt wurde und Pompeius’ grollende Stimme antwortete. Die Männer, die ihn beobachteten, erstarrten, woraufhin er sich so entspannt wie möglich an die Wand lehnte, sich das Wasser von der Rüstung wischte und es aus seinem Haar drückte. Damit gelang es ihm, sich unter ihren stummen Blicken zu lockern, und als Pompeius mit dem Soldaten die Treppe heraufkam, konnte er ihn mit einem Lächeln begrüßen.
»Das ist Cäsar«, sagte Pompeius mit hartem Blick und ohne das Lächeln zu erwidern. Nach der Bestätigung durch ihren Feldherrn nahmen die Männer im Raum die Hände von den Schwertgriffen, gingen auseinander und gaben den Weg zur Treppe frei.
»Ist die Stadt noch in Gefahr?«, fragte Pompeius.
»Es ist vorbei«, antwortete Julius. »Catilina hat die Schlacht nicht überlebt.«
Pompeius fluchte leise. »Das ist bedauerlich. Komm mit mir hinunter, Cäsar. Du solltest auch daran teilhaben«, sagte er.
Während er sprach, wischte er sich den Schweiß vom Haaransatz, und Julius sah eine Blutschliere auf seinem Handrücken. Er folgte Pompeius die Treppe hinunter, während sein Herz in banger Vorahnung wild hämmerte.
Auch Crassus hielt sich in den Zellen auf. Alles Blut schien aus seinem Gesicht gewichen zu sein, so dass er im Schein der Lampen wie eine Wachsfigur aussah. Als Julius den niedrigen Raum betrat, blickte er auf. In seinen Augen lag ein böses Glitzern. Ein Übelkeit erregender Geruch hing in der Luft, und Julius versuchte die Gestalten, die in der Mitte des Raumes an Stühle gefesselt waren, nicht anzusehen. Es waren vier Männer, und der Geruch von frischem Blut war ihm wohl bekannt.
»Was ist mit Catilina? Hast du ihn mitgebracht?«, fragte Crassus und legte Julius die Hand auf den Arm.