»Du willst ihn lebend?«, fragte das Kind.
Julius sah ihm lange in die Augen, ehe er nickte.
»In Ordnung, aber ich will noch heute Nacht hier weg.«
»Ich werde einen Platz für dich finden, Junge. Du hast meine Dankbarkeit.«
»Nicht nur ich. Wir alle. Wir wollen hier keine einzige Nacht mehr verbringen.«
Julius sah ihn überrascht an. »Ihr alle?«
»Wir alle«, sagte der Sklave und hielt seinem Blick ohne das geringste Zittern stand. Julius schaute als Erster weg.
»Nun gut, Junge. Bringe sie alle zum Eingang. Lasst mich noch eine Weile mit Bibulus allein, dann komme ich zu euch.«
»Vielen Dank, Herr«, sagte der Junge. In wenigen Augenblicken waren alle Kinder mit ihm zusammen aus dem Raum verschwunden. Jetzt war nur noch Bibulus’ keuchender Atem zu vernehmen.
»Wie h-hast du davon erfahren?«, flüsterte Bibulus.
»Ehe ich hier hereinkam, hatte ich keine Ahnung, was du bist. Aber selbst wenn ich es nicht gesehen hätte – du triefst vor Schuld«, knurrte Julius. »Denk daran, ich werde es erfahren, wenn du dir wieder Kinder ins Haus holst. Wenn ich höre, dass auch nur ein einziger Knabe oder ein einziges Mädchen über deine Schwelle tritt, kenne ich keine Gnade mehr. Hast du mich verstanden? Der Senat gehört jetzt mir. Vollkommen.«
Bei dem letzten Wort zuckte Julius mit dem Schwert. Bibulus schrie auf und verlor vor Angst die Kontrolle über seine Blase. Stöhnend fasste er nach dem sich rasch ausbreitenden Urinfleck, der sich mit ein wenig Blut vermischte. Julius steckte sein Schwert wieder in die Scheide und ging zur Eingangstür, wo sich mehr als 30 Sklaven versammelt hatten.
Jeder der Flüchtlinge hielt ein kleines Bündel mit Kleidungsstücken im Arm. Ihre Augen waren im Licht der Lampen groß und verängstigt, und die Stille war fast schmerzhaft, als sie sich umdrehten und ihn ansahen.
»Nun gut. Heute Nacht könnt ihr in meinem Haus bleiben«, sagte Julius. »Ich suche Familien für euch, die ein Kind verloren haben und euch lieben werden.« Ihre glücklichen Mienen beschämten ihn mehr als Messerklingen. Wegen ihnen war er nicht hierher gekommen.
21
Der Sommer voller langer, geschäftiger Tage war bereits vorbei, aber der Winter lag noch in weiter Ferne, als sich Julius am Quirinal-Tor in den Sattel schwang, um sich seinen Legionen auf dem Campus anzuschließen. Er ergriff die Zügel, blickte sich um und versuchte, diesen letzten Anblick der Stadt in seinem Gedächtnis festzuhalten. Wer konnte schon wissen, wie lange er im fernen Gallien davon würde zehren müssen? Die Reisenden und Kaufleute, die in dem kleinen römischen Lager am fernen Fuß der Alpen gewesen waren, wussten von einem trostlosen Ort zu berichten, kälter als jeder andere, wo sie je gewesen seien. Julius hatte seinen Kredit nahezu ausgeschöpft, um Pelze und Vorräte für 10000 Soldaten zu kaufen. Er wusste, dass er diese Schulden irgendwann begleichen musste, aber jetzt wollte er sich von diesem Gedanken nicht die letzten Augenblicke in seiner Heimatstadt verderben lassen.
Das Quirinal-Tor stand offen, dahinter erblickte Julius den Campus Martius, auf dem seine Soldaten, zu schimmernden Rechtecken aufgestellt, geduldig warteten. Julius bezweifelte, dass es irgendwo eine Legion gab, die es mit der Zehnten aufnehmen konnte, und Brutus hatte hart gearbeitet, um aus den Männern, die er verpflichtet hatte, etwas Größeres zu machen. Julius war zufrieden mit dem Namen, den Brutus für sie ausgewählt hatte. Die Dritte Gallica würde in dem Land gehärtet werden, nach dem sie benannt worden war.
Brutus und Octavian schwangen sich neben ihm auf die Pferde, während Domitius ein letztes Mal seinen Sattelgurt überprüfte. Julius lächelte, als er ihre silbernen Rüstungen sah. Alle drei hatten sich das Recht, sie zu tragen, redlich verdient, aber in den Straßen beim Tor boten sie darin einen ungewöhnlichen Anblick, und schon jetzt war eine Horde Gassenjungen zusammengekommen, um mit den Fingern auf sie zu zeigen und sie anzustarren. Und das zu Recht. Jedes Teil ihrer Rüstungen strahlte so hell, wie man es mit Politur und Tüchern nur erreichen konnte, und Julius war begeistert von dem Gedanken, mit diesen Männern für Rom reiten zu dürfen.
Wenn Salomin mit ihnen geritten wäre, wäre es perfekt gewesen, dachte Julius. Mit Bedauern dachte er daran, dass es ihm nicht gelungen war, den kleinen Kämpfer davon zu überzeugen, mit ihnen nach Gallien zu ziehen. Salomin hatte lange von der römischen Ehre gesprochen, und Julius hatte ihm zugehört. Mehr konnte er nach Pompeius’ schändlichem Verhalten nicht für ihn tun, aber er hatte ihn nach der ersten Ablehnung nicht weiter bedrängt.
Die Monate im Senat hatten Julius’ Erwartungen bei weitem übertroffen, und das Triumvirat hielt besser, als er es zu hoffen gewagt hatte. Crassus hatte zügig die Fäden des Handels übernommen, seine Flotte konnte sich schon jetzt mit allem messen, was Karthago jemals hatte zur See fahren lassen. Seine neu gegründete Legion war von den besten Offizieren der Zehnten halbwegs in Form gebracht worden, und Pompeius würde die Arbeit nach dem Abmarsch der Zehnten und der Dritten Gallica fortsetzen. Die drei Männer hatten in ihren gemeinsamen Monaten widerwillig Respekt voreinander entwickelt, und Julius hatte das Abkommen, das er mit ihnen getroffen hatte, nicht bereut.
Nach der Wahlnacht war Bibulus zu keiner einzigen Sitzung im Senat erschienen. Gerüchte über eine langwierige Krankheit machten in der Stadt die Runde, aber Julius hatte über das, was geschehen war, Stillschweigen bewahrt. Er hatte sein Versprechen gegenüber den Kindern gehalten und sie nach Norden geschickt, wo sie bei liebevollen Familien aufwachsen würden. Aus Scham darüber, von ihrem Unglück profitiert zu haben, hatte er sie freigekauft, auch wenn das seine ohnehin schon knappen Mittel zusätzlich strapaziert hatte. Seltsamerweise hatte ihm diese einfache Tat mehr Befriedigung verschafft als fast alles andere in seinen Monaten als Konsul.
»Brutus!«, rief eine Stimme und riss ihn aus den Gedanken. Julius wendete sein Pferd, und Brutus lachte laut auf, als er Alexandria entdeckte, die sich durch die Menge zum Tor vorkämpfte. Als sie ihn erreichte, stellte sie sich auf Zehenspitzen, um sich küssen zu lassen, aber Brutus griff nach ihr und zog sie zu sich in den Sattel. Julius wandte den Blick ab, obwohl sie das kaum bemerkt haben durften. Es war schwer, nicht an Servilia zu denken, als er sah, wie glücklich sie zusammen waren.
Als Alexandria wieder auf der Straße abgesetzt wurde, fiel Julius ein Stoffbündel auf, das sie bei sich trug. Er hob die Augenbrauen, als sie es ihm hinhielt, noch immer rot im Gesicht von der Umarmung, die er mit angesehen hatte. Julius nahm das Bündel entgegen und wickelte es langsam aus. Er machte große Augen, als er einen kunstvoll gearbeiteten Helm erblickte. Er war aus poliertem Eisen gefertigt und glänzte vor Öl, aber das Merkwürdigste daran war der Gesichtsschutz, der seinen eigenen Zügen nachgebildet war.
Ehrfurchtsvoll hob ihn Julius über den Kopf und setzte ihn auf, wobei er die an Scharnieren befestigte Gesichtsmaske an ihren Platz schob, bis sie einrastete. Der Helm passte wie angegossen. Die Augen waren groß genug, um gut hindurchsehen zu können, und an den Reaktionen seiner Gefährten erkannte er, dass der Helm die Wirkung erzielte, die Alexandria erhofft hatte.
»Er hat einen kalten Gesichtsausdruck«, murmelte Octavian und starrte ihn an.
Brutus nickte, und Alexandria griff nach Julius’ Steigbügel, um ein paar Worte unter vier Augen mit ihm zu wechseln.
»Ich dachte, er wird deinen Kopf besser schützen als der Helm, den du normalerweise trägst. Oben ist eine Halterung für einen Federbusch, wenn du willst. In ganz Rom gibt es nichts Vergleichbares.«