Ciro kam als Erster auf die Beine und tänzelte leicht. Der massige Gallier erhob sich langsamer. Zum ersten Mal war Wut auf seinem Gesicht zu erkennen.
»Sollen wir aufhören?«, fragte Domitius. Niemand antwortete ihm.
Artorath versuchte es mit einem kräftigen Tritt, verfehlte seinen Gegner jedoch und stampfte dort auf dem Boden auf, wo Ciro eben noch gestanden hatte. Dieser packte Artorath um die Taille, schaffte es jedoch nicht einmal ansatzweise, den riesenhaften Mann anzuheben. Artorath gelang es, Ciros Handgelenk zu umfassen, aber seine gebrochenen Finger verloren den Halt, und er brüllte in Ciros Ohr, als der Römer seinen Fuß in Artoraths Knie schlug und ihn mit dem Kopf auf den Boden knallte. Der Gallier blieb mit heftig pumpender Brust benommen liegen. Ciro nickte ihm zu und half ihm auf.
Fasziniert sah Brutus zu, wie Artorath widerwillig den Beutel an seinem Gürtel öffnete, um Ciro die Münze zurückzugeben, die er gewonnen hatte. Doch Ciro winkte ab und schlug ihm auf die Schulter.
»Du als Nächster, Brutus?«, fragte Domitius hinterhältig. »Du weißt ja, seine Finger sind gebrochen ...«
»Ich würde es natürlich versuchen, aber es wäre nicht fair, ihn noch mehr zu verletzen«, erwiderte Brutus. »Bring ihn zu Cabera, damit er ihm die Hand schient.«
Er versuchte, Artorath seine Absicht mimisch klarzumachen, doch der Riese zuckte nur mit den Schultern. Er hatte schon Schlimmeres durchgemacht, und in seinem Gürtel war immer noch mehr Silber als zu Anfang. Er war überrascht, offene Fröhlichkeit in den Gesichtern der Soldaten rings um den Ring zu sehen, sogar bei denen, die er besiegt hatte. Einer von ihnen brachte ihm eine Amphore Wein und brach das Wachssiegel. Ein anderer klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, bevor er ging. Mhorbaine hat Recht, dachte er. Das war wirklich ein seltsames Volk.
Die Sterne standen gestochen scharf am nächtlichen Sommerhimmel. Die Venus war bereits untergegangen, aber Julius konnte immer noch die winzige rote Scheibe des Mars sehen, die er mit erhobenem Becher grüßte, bevor er ihn Mhorbaine zum Auffüllen hinhielt. Die restlichen Gallier hatten sich schon lange vorher zurückgezogen, und sogar verwässert hatte der Wein dafür gesorgt, dass sich auch die misstrauischsten von ihnen gegen Ende des Festmahls entspannten. Julius hatte mit vielen von ihnen persönlich geredet, ihre Namen und die Siedlungsorte ihrer Stämme in Erfahrung gebracht. Er war Mhorbaine einiges für die Bekanntmachung schuldig und empfand dem Gallier gegenüber, als sie jetzt beisammen saßen, eine angenehme, trunkene Zuneigung.
Das Lager rings umher lag still. Irgendwo kreischte eine Eule, und Julius zuckte zusammen. Er starrte in den Weinbecher und versuchte, sich zu erinnern, wann er aufgehört hatte, Wasser hinzuzugeben.
»Das hier ist ein wunderschönes Land«, sagte er.
Mhorbaine warf ihm einen kurzen Blick zu. Obwohl er nicht annähernd so viel getrunken hatte wie die anderen, ahmte er ihre schwerfälligen Bewegungen mit bewundernswerter Begabung nach.
»Willst du es deshalb haben?«, fragte Mhorbaine und hielt in Erwartung der Antwort den Atem an.
Julius schien die Anspannung in dem Mann nicht wahrzunehmen, der auf dem feuchten Boden neben ihm saß, und schwenkte lediglich mit seinem Becher in Richtung der Sterne, wobei die rote Flüssigkeit über den Rand schwappte.
»Was will jeder Mensch? Würdest du nicht auch davon träumen, diesen Ort hier zu regieren, wenn du meine Legionen hättest?«
Mhorbaine nickte stumm. Der Wind in Gallien hatte sich gedreht, und er bereute nicht, dass er tat, was er tun musste, um sein Volk vor dem Verderben zu bewahren.
»Hätte ich deine Legionen, würde ich mich zum König machen. Ich würde mich Mhorix nennen, oder vielleicht auch Mhorbainrix«, sagte er.
Julius musterte ihn mit verschwommenem Blick. »Rix?« »Das heißt König«, erklärte ihm Mhorbaine.
Julius dachte schweigend nach. Mhorbaine füllte abermals ihre Becher und nippte an dem seinen.
»Aber selbst ein König braucht starke Verbündete, Julius. Deine Männer kämpfen gut zu Fuß, aber du hast nur eine Handvoll Berittene, wohingegen meine Krieger im Sattel geboren sind. Du brauchst die Haeduer, aber wie kann ich sicher sein, dass du dich nicht gegen uns wendest? Wie kann ich dir vertrauen?«
Julius drehte sich um und sah ihm ins Gesicht.
»Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht, Gallier. Wenn ich dich Freund nenne, dann gilt das mein Leben lang. Wenn die Haeduer mit mir kämpfen, werden ihre Feinde zu meinen, ihre Freunde werden meine Freunde sein.«
»Wir haben viele Feinde, aber es gibt einen, der mein Volk ganz besonders bedroht.«
Julius schnaubte verächtlich, und die Hitze des Weins durchströmte seine Adern. »Nenn mir seinen Namen, und er ist ein toter Mann«, sagte er.
»Sein Name ist Ariovist, der Herrscher der Sueben und ihrer Vasallenstämme. Sie sind von germanischem Blut, Julius, mit kalter Haut, eine Plage unbarmherziger Reiter, die leben, um zu kämpfen. Jedes Jahr dringen sie weiter nach Süden vor. Diejenigen, die sich ihnen zunächst entgegengestellt haben, wurden vernichtet, ihre Gebiete als rechtmäßig erobertes Land einbehalten.«
Mhorbaine beugte sich näher heran, seine Stimme klang drängend. »Du aber hast den Helvetiern das Rückgrat gebrochen, Julius. Mit meinen Reitern können deine Legionen diese weißen Krieger vernichten, und alle Stämme Galliens werden auf dich hören.«
Julius blickte zu den Sternen empor und schwieg lange.
»Ich könnte schlimmer sein als Ariovist, mein Freund«, flüsterte er schließlich.
Mhorbaines Augen waren schwarz in der Nacht, als er ein Lächeln auf seine harten Züge zwang. Obwohl er seinen Druiden Omen hinterlassen hatte, fürchtete er um sein Volk, jetzt, da solch ein Mann in Gallien eingedrungen war. Mhorbaine hatte seine Reiterei angeboten, um die Legionen an sein Volk zu binden. Um die Haeduer zu schützen.
»Vielleicht. Das werden wir erfahren, wenn die Zeit gekommen ist. Wenn du gegen ihn in den Krieg ziehst, musst du ihn vor dem Winter zur Schlacht stellen, Julius. Nach dem ersten Schnee ist das Jahr für die Krieger vorbei.«
»Kann euer Winter so schrecklich sein?«
Mhorbaine lächelte freudlos. »Nichts, was ich sage, kann dich darauf vorbereiten, mein Freund. Wir nennen den ersten Mond Dumannios – die dunkelsten Tiefen. Und danach wird es immer kälter. Du wirst es sehen, wenn es so weit ist, besonders wenn du weiter nach Norden marschierst, und das musst du, wenn du meine Feinde besiegen willst.«
»Ich bekomme das Kommando über deine Kavallerie?«, fragte Julius.
Mhorbaine sah ihm tief in die Augen.
»Nur wenn wir Verbündete sind«, sagte er leise.
»Dann lass es uns besiegeln.«
Zu Mhorbaines Verwunderung zog Julius einen Dolch aus dem Gürtel und schnitt sich in die rechte Handfläche. Anschließend hielt er ihm die Klinge hin.
»Besiegele es mit Blut, Mhorbaine, oder es zählt nicht.«
Mhorbaine nahm die Klinge, ritzte sich ebenfalls die Handfläche auf und ließ zu, dass Julius die verletzte Hand mit festem Griff umschloss. Er fühlte das Brennen und fragte sich, was wohl aus diesem Pakt werden würde. Julius deutete mit seinem Becher auf den roten Stern über ihnen.
»Ich schwöre unter dem Auge des Mars, dass die Haeduer Freunde genannt werden. Das schwöre ich als Konsul und Heerführer.« Julius löste ihre Hände voneinander und füllte die Becher abermals aus der Amphore, die er in seinem Schoß hielt.
»So, jetzt ist es vollbracht«, sagte er. Mhorbaine erschauerte, und diesmal trank er mit großen Schlucken gegen die Kälte an.