Adàn wählte seine Worte mit Bedacht.
»So muss es einst auch für mein Land gewesen sein. Die Römer entscheiden über unsere Zukunft, als hätten wir in dieser Angelegenheit überhaupt nichts mitzureden.«
Julius setzte zu einer scharfen Antwort an, überlegte es sich jedoch anders.
»Glaubst du, die Männer von Karthago hätten bei ihren Eroberungen geweint? Und was glaubst du denn, wie dein Volk über das Schicksal derjenigen befunden hat, die es bei seiner Ankunft in Spanien dort vorfand? Diese Kelten kamen aus irgendeinem fremden Land. Glaubst du, deine Vorfahren hätten sich groß Gedanken über die ursprünglichen Bewohner gemacht? Und vielleicht sind sogar die in grauer Vorzeit einmal Eindringlinge gewesen. Glaub ja nicht, dein Volk sei besser als das meine, Adàn.«
Julius setzte Daumen und Zeigefinger auf den Nasenrücken und schloss die Augen. Die pulsierenden Kopfschmerzen ließen nicht nach.
»Ich wünschte, ich hätte einen klareren Kopf, um dir zu erklären, was ich meine. Es ist mehr als nur Stärke, worauf es ankommt. Karthago war stark, aber der Sieg über Karthago hat die Welt verändert. Griechenland war einmal die größte Macht, doch als sie schwächer wurde, kamen wir und haben uns diese Macht einverleibt. Bei den Göttern, ich habe zu viel Wein getrunken, um schon so früh zu streiten.«
Adàn unterbrach ihn nicht. Er spürte, dass Julius kurz vor etwas Wichtigem stand und beugte sich in seinem Stuhl weiter nach vorn, um ihn besser zu verstehen. Julius’ Stimme war fast nur noch ein hypnotisches Flüstern.
»Länder werden mit Blut erobert. Frauen werden geschändet, Männer getötet, jede Gräueltat, die man sich vorstellen kann, geschieht tausendfach, aber dann ist es vorbei, und die Sieger besiedeln das Land. Sie bestellen den Boden, errichten Städte und erlassen Gesetze. Die Menschen gedeihen, Adàn, ob es dir gefällt oder nicht. Dann halten Recht und Gesetz Einzug. Diejenigen, die ihren Nachbarn weiterhin Hab und Gut rauben, werden hingerichtet, werden aus der Gemeinschaft der anderen herausgeschnitten. Das muss so sein, denn selbst Eroberer werden alt und lernen den Frieden zu schätzen. Das Blut der Invasoren vermischt sich mit dem der Einheimischen, bis sie hundert Jahre später nicht mehr Kelten oder Karthager, nicht einmal mehr Römer sind. Sie sind wie ... Wein und Wasser, es lässt sich nicht mehr trennen. Alles beginnt auf dem Schlachtfeld, aber dann werden sie mit jeder Welle mehr erhoben. Ich sage dir, Adàn, wenn ich jemals ein Land finde, das nicht im Feuer gehärtet wurde, dann zeige ich dir dort Wilde, wo wir unsere Städte errichtet haben.«
»Glaubst du das wirklich?«, fragte Adàn.
Julius öffnete die Augen. Seine dunklen Pupillen leuchteten.
»Ich glaube nicht an ein Schwert, Adàn, weil ich es sehen kann. Es ist einfach da. Rom ist mehr als Eisenschwerter und entschlossene Kämpfer. Ich werde sie zu uns holen, trotz aller Gegenwehr. Gallien wird unter meiner Hand leiden, aber wenn ich fertig bin, wird es größer sein, als es sich seine Bewohner jemals vorgestellt haben.«
Marcus Antonius’ Bote erschien am Eingang und räusperte sich leise, um sich bemerkbar zu machen. Die beiden Männer lösten sich aus ihren Tagträumen, und Julius hielt sich stöhnend den Kopf.
»Hol mir ein Gewand und sieh nach, ob Cabera noch etwas von seinen Pulvern gegen Schmerzen hat«, wies er den jungen Mann an. Als er sich umdrehte, sah er Adàns grimmiges Gesicht.
»Das ist eine seltsame Ansicht, Heerführer«, bemerkte der junge Spanier. »Ich verstehe wohl, wie du so denken kannst, mit einer Armee im Rücken, die jederzeit über Gallien herfallen kann. Für die Familien, die in den kommenden Tagen ihre Männer verlieren werden, dürfte das nur ein geringer Trost sein.«
Julius spürte unter den anhaltenden Kopfschmerzen Zorn in sich aufsteigen.
»Meinst du denn, sie winken einander mit Blumen zu, während wir hier sitzen? Die Stämme gehen sich ständig gegenseitig an die Gurgel, mein Junge. Mit vierzig Jahren ist Mhorbaine bereits ein Greis unter den Stammesältesten. Denk mal darüber nach! Krankheiten und Krieg löschen sie aus, bevor sie grau werden. Es mag sein, dass sie uns hassen, aber einander hassen sie noch viel mehr. Aber lass uns dieses Gespräch ein anderes Mal fortsetzen. Ich muss einen Brief an Ariovist diktieren. Wir werden diesen ›Freund Roms‹ höflich darum bitten, sich leise wieder aus den Gebieten, die er erobert hat, zurückzuziehen und Gallien den Rücken zuzukehren.«
»Glaubst du, er geht darauf ein?«, fragte Adàn.
Julius erwiderte nichts darauf, sondern gab ihm nur mit einer Geste zu verstehen, seine Schreibtafel aufzunehmen, und fing unverzüglich damit an, ihm den Brief an den König der Sueben zu diktieren.
Es dauerte länger, als Julius gehofft hatte, die Wälder für die neue Straße bis zur Ebene hinaus zu roden. Obwohl die Legionen von morgens bis abends in der Sommerhitze arbeiteten, musste jede massige Eiche zuerst gefällt und dann von den Männern und Ochsengespannen weggeschleift werden. Cabera hatte ein paar junge Soldaten angelernt, damit sie ihm helfen konnten, die Knochenbrüche und anderen Verletzungen zu versorgen, die bei derlei Arbeiten unvermeidlich vorkamen. Zwei Monate vergingen quälend langsam, bis der erste Stein verlegt werden konnte, doch am Ende des vierten Monats erstreckten sich die flachen Steine über eine Strecke von beinahe vierzig Meilen, breit und widerstandsfähig genug für die großen Katapulte und Belagerungsmaschinen. In die Hügel waren neue Steinbrüche gegraben worden, und Granitpfosten zeigten die Entfernung von Rom an, ließen seinen Schatten weiter reichen als jemals zuvor.
Julius hielt in der großen Halle des römischen Lagers seine Ratssitzung ab, wobei Mhorbaine und Artorath als seine bevorzugten Verbündeten bei ihnen saßen. Er sah sich in ihrem Kreise um und ließ den Blick schließlich auf Adàn ruhen, der ihn merkwürdig anschaute. Der junge Spanier hatte sämtliche Botschaften, die zwischen Ariovist und der römischen Provinz gewechselt worden waren, übersetzt und wusste, was Julius gleich allen verkünden würde. Julius fragte sich, ob es jemals eine Zeit gegeben hatte, zu der er so unschuldig gewesen war wie dieser junge Spanier. Wenn ja, dann lag sie schon so weit zurück, dass er sich nicht mehr daran erinnerte.
Ariovist war nicht leicht beizukommen gewesen. Die beiden ersten Boten waren mit betont knappen Antworten zurückgeschickt worden, die jedes weitere Interesse an Julius oder seinen Legionen verächtlich abtaten. Marcus Antonius war es gelungen, Julius davon zu überzeugen, dass er mit dem König der Sueben vorsichtig umgehen musste, aber dessen Formulierungen waren schroff und verletzend. Ab dem Ende des ersten Monats wartete Julius nur noch darauf, dass die Straße endlich fertig wurde, damit er Ariovist mit seinen Legionen zerschmettern konnte, ob er nun ein Freund Roms war oder nicht. Trotzdem musste er den Schein wahren, jeden nur erdenklichen Versuch einer friedlichen Lösung der Angelegenheit unternommen zu haben. Er wusste, dass Adàn nicht der Einzige seiner Männer war, die Briefe nach Rom sandten. Pompeius hatte sicherlich seine Spione, die ihn auf dem Laufenden hielten, und das Letzte, was Julius jetzt brauchen konnte, war, dass Rom ihn aufgrund seiner Vorgehensweise zum Staatsfeind erklärte. Mit Pompeius als Senatsführer lag so etwas durchaus im Bereich des Möglichen. Er hatte die Senatoren zweifellos perfekt abgerichtet, und eine einzige Stimme konnte Julius’ Autorität mit einem Schlag zunichte machen.
Die Wochen waren langsam genug vergangen, und immer wieder hatte er sich mit den Stammeshäuptlingen getroffen und ihnen alles versprochen, was sie verlangten, wenn sie ihm erlaubten, durch ihre Gebiete zu ziehen und ihm auf dem Marsch Vorräte für seine Armee zur Verfügung stellten. Brutus hatte sich die gallische Sprache mit einem Talent angeeignet, das sie beide überraschte, und konnte schon jetzt an den Verhandlungen teilnehmen, auch wenn seine Bemühungen den Galliern gelegentlich vor Lachen die Tränen in die Augen trieben.