Kurz vor dem Aufbruch war Julius noch einmal zu ihm gekommen. Er hatte Brutus’ Kälte bemerkt und beschwichtigend auf ihn eingeredet.
»Ich muss dich mitnehmen, Brutus«, sagte er. »Die Extraordinarii sind die einzigen fähigen Reiter, die ich habe, und sie sind deine Befehle gewöhnt.«
Julius war dicht neben ihn getreten, damit niemand sonst ihn hören konnte.
»Und falls ich zum Kampf gezwungen werde, möchte ich nicht Marcus Antonius an meiner Seite haben. Er hält zu viel von diesem Ariovist und seiner Freundschaft mit Rom.«
Brutus hatte genickt, obwohl die Worte nicht viel dazu beitrugen, das Gefühl, hintergangen worden zu sein, zu beschwichtigen. Marcus Antonius’ Posten stand ihm zu.
Noch vor Mittag erblickten die Vorreiter »die Hand« und machten Meldung. Als die Zehnte sich der Felsformation näherte, konnte Brutus vor sich Tausende von berittenen Männern in perfekter Aufstellung erkennen. Sie hatten für die Begegnung eine Stelle ausgesucht, an der die Kavallerie auf beiden Seiten von steilen Berghängen behindert wurde. Der Felsen, den sie »die Hand« nannten, bildete den höchsten Punkt gen Osten, wohingegen das Gelände im Westen in dichtem Wald erstickte. Brutus fragte sich, ob Ariovist zwischen den dunklen Eichen noch mehr Männer versteckt hielt. Er wusste, dass er selbst sie dort postiert hätte, und hoffte, dass die Legionen nicht in eine Falle tappten. Eines war sicher: Falls es bei einer Auseinandersetzung mit diesen germanischen Reitern zum Rückzug kam, dann musste die Zehnte ihn zu Fuß bewerkstelligen, oder sie wurde niedergemacht.
Die Cornicen bliesen zum Absteigen, ein aus zwei Tönen bestehendes Signal, über das sie sich vor dem Aufbruch im Lager verständigt hatten. Erleichtert sah Brutus, wie die Zehnte ihre Unbeholfenheit abstreifte, sobald sie festen Boden unter den Füßen hatte.
Nur die Extraordinarii blieben im Sattel, um die Flanken zu schützen. Die Legionäre der Zehnten führten ihre Pferde schlecht gelaunt und mit grimmigen Gesichtern am Zügel weiter. Brutus drangsalierte sie weiterhin und befahl den Zenturios, Ordnung in den Reihen zu halten, während sie sich dem Ort der Zusammenkunft und dem König der germanischen Sueben näherten. Je dichter sie an den Feind herankamen, desto mehr wuchs die Spannung, und schon bald erkannte Brutus Einzelheiten der Männer, auf die sie zugingen. Ariovist sah er zum ersten Mal, als der König mit drei anderen aus der Masse herausgeritten kam und zweihundert Fuß vor seiner vordersten Linie anhielt. Julius setzte sich mit Domitius und Octavian ebenfalls in Bewegung. Die Anspannung war ihren steifen Rücken deutlich anzusehen.
Brutus warf einen letzten Blick auf die Reihen der Zehnten. »Haltet euch bereit!«, rief er, als er lostrabte, um sich seinem Anführer anzuschließen.
Die Geräusche von viertausend nervösen Pferden verebbte hinter ihm, als er zu Domitius und Octavian aufschloss. Ihre silbernen Rüstungen glitzerten. Julius trug den Maskenhelm, und als er sich im Sattel umdrehte, um Brutus zu begrüßen, erlebte Brutus die Wirkung dieser kalten, starren Züge.
»Sehen wir doch mal, was mir dieser König zu sagen hat«, tönte Julius’ Stimme aus dem Eisenmund hervor.
Die vier Männer trieben ihre Pferde zum Galopp an und ritten in perfekter Formation über den zerklüfteten Boden.
Julius erkannte Redulf an Ariovists rechter Schulter und sah mit Erstaunen, dass die beiden anderen Krieger neben dem König ebenso merkwürdig deformiert waren wie der Bote. Einer von ihnen war kahl rasiert, doch der andere hatte schwarze, topfartig geschnittene Haare, die nicht dazu beitrugen, den eigenartigen Doppelwulst zu verbergen. Es sah aus, als hätte eine riesenhafte Faust seinen Schädel gepackt und zusammengequetscht. Alle trugen Bärte und blickten grimmig drein, was wahrscheinlich Stärke ausdrücken sollte. Jeder war mit Gold und Silber geschmückt, und Julius war froh, dass er die Besten seines Schwertturniers als Ehrengarde dabeihatte. Ihre makellosen silbernen Rüstungen überstrahlten die Krieger der Sueben, und Julius wusste, dass jeder seiner Gefährten tödlicher war als ihre Gegner.
Ariovist hatte nicht die wulstige Stirn seiner Begleiter. Sein Gesicht wurde von dunklen Augenbrauen und einem ungeschnittenen Bart beherrscht, der den Großteil seiner Züge verdeckte und nur Wangen und Stirn frei ließ. Seine Haut war blass, und die Augen, die Julius finster anblickten, waren so blau wie die von Cabera. Der König rührte sich nicht, als Julius heranritt und ohne Gruß vor ihm anhielt.
Die Stille dauerte an, während Julius und der König einander betrachteten. Keiner von ihnen wollte als Erster das Wort ergreifen. Brutus musterte die Reihen der Pferde und ließ den Blick noch weiter schweifen, bis dorthin, wo eine größere Streitmacht die südliche Spitze der Ländereien markierte, die Ariovist erobert hatte, ungefähr fünfzehn Meilen südlich des breiten Rheins. In der Ferne erkannte Brutus zwei befestigte Lager, die ganz nach römischem Muster angelegt waren. Die Masse der suebischen Reiter war nicht in Schlachtordnung aufgestellt, aber Brutus sah, dass sie das Gelände von Hindernissen gesäubert hatten und jederzeit zum Angriff übergehen konnten. Als er die langen Speere sah, die die Männer trugen, fing er an zu schwitzen. Jeder Soldat der römischen Infanterie wusste, dass Pferde niemals in einen Schildwall stürmen würden, ebenso wenig wie man sie zwingen konnte, gegen einen Baum zu rennen. Solange die Legionen ihre Blockformationen beibehielten, konnten sie ohne ernst zu nehmende Gefährdung durch die Streitmacht des Ariovist hindurchbrechen. Aber die Theorie war angesichts so vieler der bleichen, bärtigen Krieger nicht sehr tröstlich.
Julius verlor unter der schweigsamen Musterung des Königs die Geduld.
»Ich bin zu dir gekommen, so wie du es von mir verlangt hast, Freund meiner Stadt«, fing er an. »Obwohl dies hier nicht dein Land ist, bin ich hergeritten und habe deine Bedingungen akzeptiert. Jetzt sage ich dir, dass du deine Armee über die natürliche Grenze, den Rhein, zurückziehen musst. Wenn das unverzüglich geschieht, kommt es nicht zum Krieg zwischen uns.«
»Ist das die römische Freundschaft?«, höhnte Ariovist plötzlich mit einer tiefen, dröhnenden Stimme, die die Römer zusammenzucken ließ. »Ich habe vor zehn Jahren gegen eure Feinde gekämpft. Der Titel wurde mir verliehen, aber zu welchem Zweck? Damit ich nach Gutdünken von dem Land vertrieben werden kann, das ich rechtmäßig erobert habe?« Seine Zähne leuchteten gelb aus dem Bart hervor, und die Augen funkelten unter den dichten Brauen.
»Der Titel gibt dir nicht das Recht, dir alles Land zu nehmen, nach dem dich gelüstet«, erwiderte Julius. »Deine Heimat liegt auf der anderen Seite des Flusses, und das sollte dir genügen. Ich sage dir, Rom wird niemals zulassen, dass du dir Gallien oder auch nur einen Teil davon nimmst.«
»Rom ist weit weg, Heerführer. Du bist alles, was deine Stadt hier und jetzt zu bieten hat, und du hast den Zorn meiner weißen Krieger noch nicht kennen gelernt. Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Ich bin schon in Gallien geritten, als du kaum mehr warst als ein kleines Kind! Das Land, das ich erobert habe, gehört mir durch das Recht der Eroberung, ein weitaus älteres Gesetz als deines. Es gehört mir, weil ich die Stärke bewiesen habe, es zu behalten, Römer!«
Die zornige Rede ließ Julius’ Pferd nervös scheuen, und Julius streckte die Hand aus, um den Nacken des Wallachs zu tätscheln. Er riss sich zusammen, um dem anderen zu antworten.
»Ich bin hier, weil du als unser Freund giltst, Ariovist. Ich respektiere dich im Namen meiner Stadt, aber ich sage es dir noch einmal, du wirst dich über den Rhein zurückziehen und das Land Roms und der römischen Verbündeten verlassen. Wenn du nach dem Gesetz der Eroberung leben willst, werde ich deine Armee kraft des gleichen Gesetzes vernichten!«