Der Legionär, der ihm am nächsten stand, wirkte wie eine Statue, und als Brutus näher an ihn heranschlurfte, sah er, dass die Augen des Mannes geschlossen waren. Das Gesicht unter dem wuchernden Bart sah blass und fleckig aus. Auf Einschlafen während der Wache stand die Todesstrafe, doch Brutus schlug dem Mann nur zum Gruß auf den Rücken und tat so, als bemerke er das ängstliche Zusammenzucken nicht, als der Mann erschrocken die Augen aufriss und sie wegen des Windes sofort wieder zu schmalen Schlitzen zusammenkniff.
»Wo sind deine Handschuhe, mein Junge?«, fragte Brutus, als er die verkrampften blauen Finger erblickte, die der Soldat aus der Tunika zog und Habachtstellung einnahm.
»Hab ich verloren, Herr«, antwortete der Legionär.
Brutus nickte. Zweifellos war dieser Mann als Spieler ebenso tauglich wie als Wachposten.
»Wenn du deine Hände nicht warm hältst, verlierst du die auch noch. Nimm meine. Ich habe noch ein Paar.« Brutus sah zu, wie der junge Legionär versuchte, die Handschuhe überzustreifen. Er schaffte es nicht, und nach kurzem Kampf fiel einer von ihnen zu Boden. Brutus hob ihn auf und schob ihn über die halb erfrorenen Finger des Soldaten. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Einer plötzlichen Regung folgend, löste er die Spange seines mit Pelz verbrämten Mantels und schlug ihn um die Schultern des jungen Mannes, wobei er versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als der beißende Wind trotz der dicken Unterkleidung über seinen eigenen ungeschützten Körper herfiel. Seine Zähne fingen zu klappern an, und Brutus biss sie fest zusammen, um sie zur Ruhe zu bringen.
»Bitte, Herr, ich kann doch deinen Mantel nicht nehmen«, sagte der Wächter.
»Der hält dich bis zur Ablösung einigermaßen warm, mein Junge. Wenn du willst, gib ihn demjenigen, der dich ablöst. Das überlasse ich dir.«
»Das werde ich tun, Herr. Vielen Dank.«
Brutus wartete, bis die erste Farbe in die Wangen des Soldaten zurückkehrte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich überraschend froh gelaunt, als er wieder von der Brustwehr hinabstieg. Die Tatsache, dass er seinen Rundgang durch das Lager beendet hatte, trug natürlich dazu bei. Ein heißer Rindfleischeintopf und ein von heißen Steinen angewärmtes Bett würden ihm über den Verlust seines einzigen Mantels und seiner einzigen Handschuhe hinweghelfen. Er hoffte nur, dass er in der folgenden Nacht, wenn er seinen Rundgang ohne sie antreten musste, noch ebenso fröhlich sein würde.
Julius zog einen eisernen Schürhaken aus dem Feuer und tauchte ihn in zwei Becher mit Wein. Zerstampfte Nelkenstückchen, die auf dem Wein schwammen, zischten, und Dampf stieg auf, als er das Eisen abermals in die Flammen schob und Mhorbaine einen Becher anbot.
Wenn er sich umschaute, konnte Julius beinahe an die Dauerhaftigkeit der neuen Gebäude glauben. Sogar in der kurzen Zeit vor dem ersten Schneefall hatten seine Legionen die Straße von der römischen Provinz im Süden beinahe bis auf fünf Meilen an die neuen Lager herangeführt. Die dabei gefällten Bäume gaben Balken für die neuen Unterkünfte ab, und Julius war sehr erfreut über ihr Vorankommen gewesen, bis der Winter in einer einzigen Nacht zugeschlagen hatte und am darauf folgenden Morgen ein Wachposten erfroren auf der Mauer gefunden worden war. Die Arbeit im Steinbruch war ausgesetzt worden, und der Legionsalltag hatte sich radikal verändert, nachdem sämtliche Versuche, die Verbindung mit dem Süden doch noch herzustellen, zu einem grundlegenderen Kampf ums Überleben geworden waren.
Aber sogar inmitten all dieser Mühen hatte Julius seine Zeit zu nutzen gewusst. Die Haeduer waren an die bitterkalten Winter gewöhnt, also setzte er sie als Boten ein, um mit möglichst vielen Stämmen, die sie kannten, in Verbindung zu bleiben oder neue Kontakte zu knüpfen. Nach dem letzten Stand hatte Julius sich mit neun von ihnen verbündet und die Gebiete dreier weiterer beansprucht, die von dem Land, das Ariovist aufgegeben hatte, leicht zu erreichen waren. Wie viel davon halten würde, wenn der Winter endlich vorüber war, wusste er nicht zu sagen. Wenn sie zu ihren Versprechen standen, würde er über genug Freiwillige verfügen, um im Frühling zwei neue Legionen aufzustellen. Zweifellos hatten viele der kleineren Stämme nur zugestimmt, um die Fertigkeiten zu erlernen, mit Hilfe derer die Helvetier und die Sueben besiegt worden waren, aber Julius hatte zusammen mit Marcus Antonius geplant, diese neuen Legionen mit ihm treu ergebenen Männern zu durchsetzen. So hatte er es auch mit denjenigen gemacht, die ihm Cato geschickt hatte, um seinen Sohn zu schützen. Sogar aus den Söldnern unter Catilina hatte er Legionäre gemacht. Ob sie es wussten oder nicht, die Gallier, die zu ihm kamen, würden ebenso römisch werden wie Ciro oder Julius selbst.
Mehr Sorgen bereiteten ihm die Stämme, die auf sein Angebot überhaupt nicht reagierten. Die Belger hatten den Boten der Haeduer blenden lassen und sein Pferd sodann bis kurz vor das römische Winterlager geführt, von wo aus das Tier selbst zu Wärme und Futter zurückfand. Die Nervier hatten sich geweigert, seinen Boten zu empfangen, und drei andere Stämme waren ihrem Beispiel gefolgt.
Julius konnte kaum das Frühjahr erwarten. Der Augenblick des Triumphs, den er empfunden hatte, als Ariovist niedergestreckt worden war, hatte sich nicht wiederholt, doch er war immer noch von einem Selbstvertrauen erfüllt, das er sich selbst nicht erklären konnte. Gallien würde ihm gehören.
»Die Stämme, die du erwähnst, haben noch nie gemeinsam gekämpft, Julius. Eher kann man sich die Haeduer Rücken an Rücken mit den Arvernern vorstellen, als dass diese Stämme zu Brüdern werden.«
Mhorbaine nippte an seinem heißen Wein und beugte sich wohlig näher ans Feuer.
»Mag sein«, gab Julius zu, »aber meine Männer haben auf der Landkarte Galliens noch so gut wie kein Zeichen hinterlassen. Es gibt immer noch Stämme, die nicht einmal von uns gehört haben – wie sollen sie die Regentschaft von jemandem anerkennen, den sie noch nie gesehen haben?«
»Du kannst nicht gegen sie alle kämpfen, Julius. Nicht einmal deine Legionen schaffen das«, antwortete Mhorbaine.
Julius schnaubte verächtlich. »Sei dir da nicht so sicher, mein Freund. Meine Legionen könnten Alexander den Großen niedermachen, wenn er sich ihnen in den Weg stellte, aber ich weiß nicht, wohin ich sie nach diesem Winter als Nächstes führen soll. Weiter nach Norden? Nach Westen? Soll ich die mächtigeren Stämme heimsuchen und sie einen nach dem anderen schlagen? Fast hoffe ich, sie würden sich zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, Mhorbaine. Wenn ich die stärksten von ihnen breche, erkennen auch die anderen unser Recht auf dieses Land an.«
»Du hast schon jetzt die Besitztümer Roms verdoppelt«, rief ihm Mhorbaine in Erinnerung.
Julius starrte in die Flammen und gestikulierte mit seinem Becher gegen die Kälte draußen an.
»Ich kann nicht hier sitzen und darauf warten, dass sie zu mir kommen. Jeden Augenblick könnte ich nach Rom zurückgerufen werden, ein anderer Mann könnte hier an meine Stelle gesetzt werden.« Er hielt sich gerade noch zurück, ehe er zu viel sagte, denn Mhorbaines waches Interesse war ihm nicht entgangen. Obwohl der Mann sich als wertvoller Verbündeter erwiesen hatte, waren Julius dank des Weines schon jetzt zu viele Worte über die Lippen gekommen.
Der letzte Brief von Crassus, bevor der Winter die Pässe über die Alpen unpassierbar gemacht hatte, war Besorgnis erregend gewesen. Pompeius entglitt die Kontrolle über die Stadt, und Julius hatte über die Schwäche des Senats geschäumt. Beinahe hätte er gewünscht, Pompeius würde sich zum Diktator ernennen, um die Tyrannei von Männern wie Clodius und Milo zu beenden. Sie waren zwar nur Namen für ihn, doch Crassus nahm die Bedrohung ernst genug, um seine Befürchtungen einzugestehen, und Julius wusste, dass der alte Mann sich nicht von harmlosen Schattengestalten erschrecken ließ. Einmal war Julius sogar drauf und dran gewesen, nach Rom zurückzukehren und Pompeius im Senat den Rücken zu stärken, doch dann hatte der gallische Winter diesen Überlegungen ein Ende gesetzt. Es war ein schrecklicher Gedanke, dass die Stadt, die er liebte, in Korruption und Gewalt versank, während er hier neue Gebiete für sie eroberte. Schon lange hatte er akzeptiert, dass die Länder mit Blut erobert werden mussten, aber diese Vision hatte keinen Platz in seiner eigenen Heimat; allein der Gedanke daran erfüllte ihn mit Zorn.