»Ist das ein Kriegsschiff?« fragte Arren, als sie an dem Zwanzigruderer vorbeikamen, und sein Gefährte antwortete: »Ein Sklavenschiff, nach den Kettenringen im Laderaum zu schließen. Im Süden wird noch immer Menschenhandel getrieben.«
Arren überlegte kurz, dann stand er auf, ging zu dem Gerätekasten und nahm sein Schwert heraus, das er am Morgen seiner Abreise gut eingewickelt und dort verwahrt hatte. Er packte es aus. Er stand unentschlossen da und hielt das in der Scheide steckende Schwert, an dem der Gürtel baumelte, mit beiden Händen.
»Es ist kein Seemannsschwert, die Scheide ist zu reich verziert.«
Sperber, der mit dem Steuern beschäftigt war, warf ihm einen kurzen Blick zu: »Trag es, wenn du willst.«
»Ich dachte, es wäre vielleicht ganz weise …«
»Was Schwerter im großen und ganzen anbelangt, so ist dieses weise«, sagte sein Gefährte und spähte scharf aus, während er das Boot durch die dichtbefahrene Bucht steuerte. »Es widerstrebt dem Gebrauch, nicht wahr?«
Arren nickte. »Ja, so wird behauptet. Es hat aber trotzdem schon getötet. Menschen hat es getötet.« Er blickte auf den schmalen, von vielen Händen abgenutzten Griff. »Ja, es hat getötet, aber ich habe nicht getötet. Ich komme mir vor wie ein Narr. Es ist viel älter als ich … Ich nehme lieber mein Messer«, schloß er, und nachdem er das Schwert wieder sorgfältig eingewickelt hatte, vergrub er es tief unten im Gerätekasten. Er sah verdutzt und ärgerlich drein.
Sperber schwieg, dann sagte er: »Würdest du jetzt rudern, Junge? Wir halten auf den Anlegesteg dort bei den Stufen zu.«
Hort, eine der sieben großen Hafenstädte des Inselreiches, erhob sich farbenprächtig hinter dem lärmenden Hafen auf drei steilen Hügeln. Die Häuser waren aus Lehm gebaut und rot, orange, gelb und weiß verputzt; die Dächer waren mit violetten Ziegeln bedeckt; blühende Perdickbäume ließen die oberen Straßen wie dunkelrote Wälle erscheinen. Bunt gestreifte Sonnendächer waren zwischen den Dächern gespannt und überdeckten schmale Märkte. Die Piers lagen im hellen Sonnenlicht, die Straßen, die sich vom Hafen in die Stadt hinein erstreckten, sahen wie schmale, dunkle Schlitze voll Leuten und Schatten aus. Der Straßenlärm drang zu ihnen über das Wasser.
Als sie das Boot festgebunden hatten, beugte sich Sperber hinunter zu Arren und tat so, als ob er den Knoten nachprüfe. Er flüsterte ihm zu: »Arren, hier in Hort gibt es eine Menge Leute, die mich ziemlich gut kennen. Paß also auf, daß du mich erkennst.« Als er sich aufrichtete, war die Narbe auf seinem Gesicht verschwunden. Sein Haar war grau; seine Nase war dick und etwas knollig, und anstelle seines hohen Stabes aus Eibenholz hielt er ein Elfenbeinstäbchen, das er in seinem Hemd versteckte. »Kennst mich wohl gar nicht, he?« fragte er mit einem breiten Lächeln im Dialekt von Enlad. »Hast wohl deinen Onkel noch nie vorher gesehen?«
Arren hatte am Hof von Enlad Zauberer gesehen, die ihre Gesichter veränderten, wenn sie die Taten von Morred mimten. Er wußte, daß es nur Illusion war, und er verlor seine Fassung nicht ganz und antwortete: »O doch, Onkel Falk!«
Doch während der Magier mit einem Hafenposten um die Gebühren für das Festmachen und Bewachen feilschte, betrachtete Arren ihn aufmerksam, um sicher zu sein, ob er ihn auch erkennen würde. Je mehr er aber schaute, desto unbehaglicher wurde ihm zumute. Die Verwandlung war zu vollkommen, nichts war vom Erzmagier übrig geblieben. Das hier war kein weiser Führer und Lehrer… Die Gebühr des Postens war hoch, und Sperber schimpfte vor sich hin, als er zahlte und entfernte sich mit Arren, immer noch schimpfend. »Das ist doch die Höhe«, brummte er.
»Da muß ich diesem vollgefressenen Dieb Gold geben, um auf mein Boot aufzupassen! Ein halber Zauberspruch wäre zweimal so sicher! Aber was bleibt mir schon übrig, ich muß eben zahlen wegen meiner Verwandlung, na ja! … Und anständig reden tu ich auch nimmer, he Neffe?«
Sie gingen eine enge, kunterbunte, übelriechende Straße hinauf, die vollgestopft war mit Menschen. Links und rechts gab es kleine Geschäfte, nicht viel größer als Buden, deren Inhaber unter den Türen zwischen Bergen von Waren standen und laut die Schönheit und Preisgünstigkeit ihrer Töpfe, Unterwäsche, Hüte, Spaten, Nadeln, Taschen, Kessel, Körbe, Haken, Messer, Seile, Schrauben, Bettwäsche und alles Erdenklichen an Haushaltsgeräten und Werkzeugen anpriesen.
»Ist das ehrlich?«
»He?« fragte der Mann mit der Knollennase und legte seinen Kopf schief.
»Ist das ehrlich, Onkel?«
»Ehrlich? Nein, nein, aber so gehtʹs hier das ganze Jahr über zu. Behalt deine Bratfische, Alte. Ich hab schon gefrühstückt!«
Arren versuchte, einen Mann mit einem Tablett voll kleiner Messingbehälter abzuschütteln, der ihm auf den Fersen folgte und mit weinerlicher Stimme rief: »Kaufen Sie, versuchen Sie es, junger Herr, Sie werden nicht enttäuscht sein, ein Atem, so süß wie die Rosen von Numina, er bezaubert die Frauen, versuchen Sie es, junger Seefürst, junger Prinz …«
Doch plötzlich war Sperber zwischen ihm und dem Trödler und sagte: »Was für Amulette sind das?«
»Keine Amulette! « wimmerte der Mann und schreckte vor ihm zurück. »Ich verkaufe keine Amulette, Seemeister! Nur einen Sirup, der den Atem nach Alkoholgenuß und dem der Haziawurzel versüßt — nur ein Sirup, mächtiger Prinz!« Er kauerte auf den Pflastersteinen, sein Tablett mit den kleinen Krügen klapperte und klirrte, einige waren umgefallen, und ein paar Tropfen der zähen süßen Flüssigkeit waren herausgeflossen und tropften rosa und lila über den Rand des Tabletts.
Sperber wandte sich um und ging mit Arren weiter seines Weges. Die Menge lichtete sich, die Geschäfte wurden noch armseliger, es waren meist nur noch Verschlage, vor denen Waren ausgebreitet lagen, eine Handvoll krummer Nägel, ein zerbrochenes Messer, ein alter Kamm. Arren fand die Armut hier weniger abstoßend als das vorher Gesehene; das reichere Ende der Straße hatte ihm den Atem genommen, Ekel war in ihm aufgestiegen vor der Menschenmasse, vor der Aufdringlichkeit der Trödler, vor den Stimmen, die von allen Seiten auf ihn eindrangen: Kaufe! kaufe! Und das Elend des Bettlers hatte ihn abgestoßen. Er dachte an die kühlen breiten Straßen seiner Heimatstadt im Norden. Kein Mensch in Berila hätte sich so vor einem anderen Menschen erniedrigt. »Das ist ein verachtenswertes Volk!« sagte er.
»Hier rum, Neffe!« war die Antwort seines Gefährten. Sie betraten eine enge Gasse, die sich zwischen hohen, roten, fensterlosen Hauswänden am Hügel entlangzog und am Ende unter einem Torbogen, an dem uralte, zerfetzte Fahnen hingen, hinaus ins Sonnenlicht auf einen viereckigen Marktplatz führte, der voll mit Buden und Tischen stand, wo sich Fliegen in Schwärmen einfanden und die Menschen sich drängten.
Am Rand des Platzes lagerten teilnahmslos Gestalten, Männer und Frauen, die teils saßen, teils regungslos auf dem Rücken lagen. Ihre Münder waren merkwürdig schwärzlich, es sah aus, als ob sie wund wären, und Fliegenschwärme, wie Hände voll Korinthen, hatten sich auf ihre Lippen niedergelassen.
»So viele«, sagte Sperber, und seine Stimme war unterdrückt und atemlos, als ob er zutiefst erschrocken wäre. Doch als ihn Arren anblickte, sah er nur das grobe, gutmütige Gesicht von Falk, dem Händler, das keine Anteilnahme zeigte.
»Was ist mit den Leuten hier los?«
»Hazia. Es betäubt und befriedigt und befreit den Körper vom Geist. Und der Geist schweift umher. Doch wenn er zum Körper zurückkehrt, dann braucht er mehr Hazia… Und das Verlangen wächst und das Leben ist kurz, denn das Zeug ist Gift. Es beginnt mit einem Zittern, später tritt eine Lähmung ein, am Ende wartet der Tod.«