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Als sie an einem nahen Quellwasser, das in einem der fürstlichen Gärten hinter ihnen entsprungen war und klar und munter über braune Steine davoneilte, tranken, nahm Arren einen tiefen Schluck und tunkte dann den ganzen Kopf in das kalte Wasser. Dann stand er auf und deklamierte laut aus den Taten von Morred:

Preis sei den Brunnen von Scheließ, den silbernen Harfen des Wassers, Doch ich segne von Herzen den Fluß hier, der den Durst meiner Kehle gestillt hat.

Sperber lachte ihm zu und auch er mußte lachen und schüttelte den Kopf wie ein Hund, daß die Tropfen ihn umsprühten und hinaus ins letzte, goldene Sonnenlicht flogen.

Sie mußten die Baumgruppe verlassen und wieder hinunter in die Stadt gehen, und als sie an einer Bude gebratene, von Fett triefende Fische gegessen hatten, senkte sich die Dunkelheit schwer und dicht auf die Stadt. Es wurde schnell dunkel in den engen Gassen. »Komm, wir gehen, Junge!« sagte Sperber, und Arren fragte: »Zum Boot?«, doch er wußte, daß sie nicht zum Boot, sondern zu dem Haus am Fluß, in das leere, schmutzige, schreckliche Zimmer gehen würden.

Hase wartete im Hauseingang auf sie.

Er zündete eine Ölfunzel an und leuchtete ihnen voran auf der schwarzen Treppe. Die kleine Flamme zitterte unaufhörlich in seiner Hand und warf riesige, huschende Schatten gegen die Wand.

Er hatte einen zweiten Strohsack für seine Besucher besorgt, doch Arren zog den nackten Boden nahe der Tür vor. Die Tür öffnete sich nach außen, und um sie zu bewachen, hätte er eigentlich draußen sitzen müssen, doch der finstere, schwarze Gang war mehr, als er ertragen konnte, und außerdem wollte er Hase im Auge behalten. Sperbers Aufmerksamkeit, und vielleicht auch seine Macht, waren auf Hase und was er ihm zu sagen und zu zeigen hatte, gerichtet. Es blieb Arren überlassen, wach zu sein und aufzupassen.

Hase sah besser aus als am Morgen. Er saß aufrecht und hatte seinen Mund und seine Zähne gereinigt. Er sprach zunächst auch ganz vernünftig, war aber ziemlich aufgeregt. Im Licht der Lampe waren seine Augen so dunkel wie die eines Tieres: das Weiße war nicht zu sehen. Er sprach eindringlich auf Sperber ein und versuchte diesen zum Genuß von Hazia zu überreden. »Ich will dich mitnehmen, mit mir nehmen. Wir müssen miteinander gehen. Wenn du noch länger wartest, bin ich schon fort, ob du bereit bist oder nicht. Du mußt Hazia nehmen, um mir folgen zu können.«

»Ich glaube, daß ich dir folgen kann.«

»Nicht dorthin, wohin ich gehe. Das sind keine … Beschwörungen.« Er schien nicht in der Lage zu sein, das Wort »Zauberer« oder »Zauberei« auszusprechen. »Ich weiß, daß du zu dem… dem Ort gelangen kannst — du weißt schon, was ich meine, die Steinmauer. Aber es ist nicht dort. Es ist woanders.«

»Wenn du gehst, werde ich dir folgen.«

Hase schüttelte den Kopf. Sein hübsches, verwüstetes Gesicht war gerötet. Sein Blick glitt öfters zu Arren, und er schloß ihn in seine Rede ein, obwohl er nur zu Sperber sprach. »Hör zu: Es gibt zwei Arten von Menschen, stimmtʹs? Wir und die anderen. Die … die Drachen und die anderen. Menschen ohne Macht existieren nur, sie leben nicht so wie wir. Die zählen nicht. Die wissen nicht, was sie träumen. Die haben Angst vor dem Dunkel. Aber die anderen, die Gebieter der Menschen, die haben keine Angst, ins Dunkel zu gehen. Wir haben Macht.«

»So lange wir die Namen der Dinge wissen.«

»Namen spielen dort überhaupt keine Rolle — das ist es ja gerade! Es kommt nicht darauf an, was du tust, oder was du weißt. Beschwörungen haben keine Wirkung. Das mußt du alles vergessen, das läßt du alles zurück Deswegen hilft es, Hazia zu essen; du vergißt die Namen, die Form der Dinge spielt keine Rolle mehr, du berührst die Wirklichkeit direkt. Ich gehe jetzt gleich, und wenn du wissen willst, wohin, dann mußt du tun, was ich dir sage. Ich gehorche ihm. Du m ußt ein Gebieter über Menschen sein, wenn du dem Leben gebieten willst. Du mußt das Geheimnis finden. Ich könnte dir seinen Namen sagen, doch was bedeutet ein Name? Ein Name ist nicht wirklich, auf ewig und immer wirklich. Drachen können nicht dorthin gehen. Drachen sterben. Sie sterben alle. Sie sterben aus. Heute abend habe ich so viel genommen, daß du nicht mit mir Schritt halten kannst. Ich bin heil. Wo ich verloren gehe, dort kannst du mich führen. Erinnerst du dich an das Geheimnis? Erinnerst du dich? Kein Tod. Kein Tod — nein, nein! Das Blut trocknet aus wie ein versiegender Fluß — es ist verschwunden. Keine Furcht. Kein Tod. Namen sind verschwunden, Worte, Form, alles ist fort. Zeig mir, wo ich verloren gehe, zeig mir, Gebieter …«

So fuhr er fort, halb erstickt, in Trance, in Worten, die wie eine Beschwörung klangen und doch sinnlos waren, die sich nicht zu einem Ganzen schlössen. Arren hörte aufmerksam zu und versuchte, alles zu verstehen. Wenn er das nur könnte! Sperber sollte tun, was ihm gesagt wurde, er sollte die Droge nehmen, nur dieses eine Mal, um herauszufinden, was Hase zu sagen hatte, dieses Geheimnis, von dem er sprach und das er nicht beschreiben konnte. Wozu waren sie denn sonst gekommen? Doch vielleicht — Arren blickte von Hasens verzücktem Gesicht zum Profil des ändern — verstand der Magier bereits … Wie aus Stein gemeißelt war es, dieses Profil. Wo war die Knollennase, der gutmütige Ausdruck? Falk der Handelsherr war verschwunden, hier saß der Magier, der Erzmagier von Rok, der größte Magier der Erdsee.

Die Stimme von Hase war in einen Singsang übergegangen, er wiegte seinen Oberkörper, auf seinen überkreuzten Beinen sitzend, unaufhörlich hin und her. Sein Gesicht war eingefallen, sein Mund schlaff. Ihm gegenüber, in dem schwachen, ruhigen Licht der Öllampe, die auf dem Boden zwischen ihnen stand, saß schweigend der Erzmagier. Er hatte die Hand von Hase ergriffen und hielt sie fest. Arren hatte nicht gesehen, wie er danach gegriffen hatte. Die Dinge, die sich abspielten, hingen nicht zusammen, verschiedene Male verspürte Arren eine seltsame Leere, die nicht mit Leben erfüllt war — er mußte eingenickt sein! Stunden mußten schon verstrichen sein, Mitternacht war bestimmt längst vorbei. Wenn er einschliefe, würde er Hase in seinen Träumen auch folgen können und zu dem geheimnisvollen Ort gelangen? Vielleicht. Jetzt schien es gar nicht so unmöglich zu sein. Aber er mußte die Tür beschützen. Sperber und er hatten es kaum erwähnt, aber beide waren sich bewußt, daß Hase, als er sie bat, am Abend zurückzukehren, etwas im Schilde führte. Er war Pirat gewesen, er kannte die Diebesbanden und Mordbrenner. Sie hatten keine Worte darüber verloren, doch Arren wußte, daß er aufzupassen hatte, denn während der Magier seinen Geist auf die seltsame Reise schickte, war er schutzlos. Und er, Arren, hatte in seiner Dummheit sein Schwert auf dem Boot gelassen, was würde ihm sein Messer viel helfen, wenn nun plötzlich die Tür hinter ihm auffliegen würde? Aber das würde nicht passieren, er hatte gute Ohren. Hase redete nicht mehr. Beide Männer waren totenstill, das ganze Haus war still. Niemand konnte die knarrenden Stiegen lautlos heraufkommen. Wenn er etwas vernehmen würde, dann würde er Krach schlagen: laut schreien würde er, und die Träume würden unterbrochen werden, und Sperber würde sich umwenden und sich selbst und Arren mit dem ganzen erschreckenden, blitzenden Zorn eines Zauberers verteidigen…