Выбрать главу

Arren schwieg eine Weile, als er das Lied zu Ende gesungen hatte. Dann sang er leichtere, anspruchslosere Melodien, und seine Stimme umschmeichelte und bestrickte das wellenbewegte Meer, die vom Wind bewegte Luft und das immer schwächer werdende Licht, bis die Nacht einbrach.

Als er verstummte, war alles ringsum stilclass="underline" kein Wind regte sich, die Wellen waren kaum wahrnehmbar, das Holz und die Seile knirschten kaum hörbar. Die See war verstummt, und über ihnen erschien ein Stern nach dem andern. Ein durchdringend helles Licht leuchtete im Süden auf und goß einen goldenen Funkenregen über das Wasser.

»Ein Leuchtfeuer! Schauen Sie!« Und eine Sekunde später: »Ist das vielleicht ein Stern?«

Sperber blickte eine Weile auf das Licht, dann sagte er: »Ich glaube, das ist der Stern Gorbadon. Man kann ihn nur im Südbereich sehen. Gorbadon bedeutet Krone. Kurremkarmerruk hatte uns das erzählt und wenn wir noch weiter nach Süden fahren würden, dann würden noch acht weitere Sterne, einer nach dem ändern, unter Gorbadon auftauchen und sich zu einem eindrucksvollen Sternbild schließen, manche sagen, es gleiche einem Läufer, andere sehen die Rune Agnen darin, die Rune des Endens.«

Sie sahen zu, wie der Stern sich langsam vom Horizont löste und mit gleichmäßig starkem, stetigen Licht leuchtete.

»Du hast Elfarrans Lied gesungen«, sagte Sperber, »so als ob du ihren Schmerz nachempfinden könntest, und du hast ihn mich mitfühlen lassen… Von all den Geschichten, die in der Erdsee erzählt werden, hat mich diese immer am meisten gefesselt. Morreds Mut, trotz der Hoffnungslosigkeit, und Serriadh, der milde König, der jenseits der Hoffnungslosigkeit geboren wurde, ich bewundere sie. Und dann sie, Elfarran! Als ich die schlimmste Tat meines Lebens vollbrachte, hatte ich mich zu ihr, zu ihrer Schönheit, hingewandt, und ich habe sie gesehen — ganz kurz habe ich Elfarran gesehen.«

Ein kalter Schauer rieselte Arrens Rücken hinunter. Er schluckte und rührte sich nicht, seine Augen waren auf den prächtigen, beunruhigenden, topasfarbenen Stern gerichtet.

»Wer ist dein Held?« fragte der Magier, und Arren sagte nach kurzem Zögern: »Erreth-Akbe.«

»Weil er der Größte war?«

»Weil er, wenn er gewollt hätte, über die ganze Erdsee hätte herrschen können, aber er tat es nicht, sondern er ging fort, ganz allein, und er war allein, als er im Kampf mit dem Drachen Orm an Selidors Küste starb.«

Sie saßen eine Weile schweigend, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, dann fragte Arren, und sein Blick war noch immer auf den gelb leuchtenden Gorbadon gerichtet: »Dann ist es also wahr, daß die Toten durch Magie wieder ins Leben zurückgerufen werden und mit lebenden Menschen reden können?«

»Mit gewissen Zauberformeln des Gebietens können wir Tote erwekken, ja. Aber das wird nur sehr selten getan, und ich bezweifle, ob es jemals gut ist, das zu tun. Und in diesem Punkt stimmt der Meister des Gebietens mit mir überein, er unterrichtet die Zauberkunde von Paln, in der diese Formeln enthalten sind, nicht. Die mächtigsten Formeln stammen von dem Grauen Magier zu Paln, der vor ungefähr tausend Jahren lebte. Der gebot den alten Helden und Magiern, selbst Erreth-Akbe, zu erscheinen und die Fürsten von Paln in Fragen der Kriegsführung zu beraten und ihre Herrscherprobleme zu lösen. Aber der Rat von Toten nützt den Lebenden wenig. Paln ging elendiglich zu Grunde, und der Graue Magier wurde vertrieben, und als er starb, hatte er keinen Namen mehr.«

»Es ist also böse, wenn man das tut?«

»Ich würde eher sagen, daß es ein Mißverständnis ist — ein Mißverständnis des Lebens. Denn Leben und Tod sind ein und dieselbe Sache — wie die zwei Seiten meiner Hand, die Innenfläche und der Handrücken. Doch obwohl sie ein Ganzes formen, sind sie verschieden … Sie können weder getrennt noch verwechselt werden.«

»Dann werden also heutzutage diese Formeln nicht mehr gebraucht?«

»Ich habe nur einen Menschen gekannt, der sie unbekümmert benutzte, ohne an das Risiko zu denken. Denn es ist riskant und gefährlich, weit mehr als alle andere Magie. Wie gesagt, Leben und Tod sind wie die beiden Seiten meiner Hand, doch um die Wahrheit zu sagen, wir wissen nicht, was Leben und Tod wirklich bedeuten. Und sich Macht anzumaßen über etwas, das man gar nicht versteht, ist nicht weise, und es ist unwahrscheinlich, daß je etwas Gutes dabei herauskommen wird.«

»Wer war der Mann, der sie gebrauchte?« fragte Arren. Er hatte Sperber noch nie so nachdenklich und aufgeschlossen gefunden, noch nie so willig, Fragen zu beantworten. Beiden tat es gut, miteinander zu reden, obwohl das Thema unheimlich war.

»Er wohnte in Havnor. Er war nur ein einfacher Zauberer, der keinen Stab erworben hatte, aber er war ein mächtiger Magier. Er benutzte seine Kunst, um Geld zu verdienen. Er zeigte jedem, der zahlen konnte, den Geist, den er sehen wollte, eine tote Ehefrau, einen toten Ehemann, ein Kind, sein Haus war voll aufgestörter Geister vergangener Jahrhunderte, darunter auch die schönen Frauen alter Zeit, als wir noch einen König hatten. Ich war Zeuge, wie er meinen alten Meister Nemmerle, der Erzmagier zu Rok war in meinen jungen Jahren, zu sich rief, nur um die Schaulust der Leute, die nichts zu tun hatten, zu befriedigen. Und diese große Seele mußte dem Ruf folgen und kam gehorsam wie ein Hund zu seinem Herrn. Ich war aufgebracht und habe ihn aufgefordert — damals war ich noch nicht Erzmagier — und sagte zu ihm: ›Sie nötigen die Toten, in Ihr Haus zu kommen, folgen Sie mir in deren Haus!‹ Und ich habe ihn gezwungen, mir in das Trockene Land zu folgen, obgleich er sich mit seiner ganzen Macht dagegen sträubte und seine Gestalt veränderte und laut heulte. Aber es half ihm alles nichts.«

»Sie haben ihn getötet?« flüsterte Arren, gebannt.

»Nein! Ich habe ihn nur gezwungen, mir in das Land des Todes zu folgen und wieder mit mir zurückzukehren. Er hatte Angst. Er, der den Toten gebot, zu ihm zu kommen, hatte schreckliche Angst vor dem Tod — seinem eigenen Tod; noch nie habe ich einen Menschen gesehen, der größere Angst hatte! Nun, und als wir zu der Steinmauer kamen … aber ich erzähle dir mehr, als ein Novize zu wissen braucht. Und du bist noch nicht einmal ein Novize.«

Die klaren Augen drangen durch die Dämmerung und erwiderten Arrens Blick; sie dämpften seine Wißbegierde ein wenig. »Es macht wohl nichts«, fuhr der Erzmagier fort, »da ist also eine Steinmauer, sie befindet sich an einer bestimmten Stelle, dort wo die Grenze ist. Nach dem Tod geht der Geist über diese Mauer, und ein lebender Mensch kann diese Mauer nicht übersteigen, nur einem Magier ist es möglich … Und an dieser Steinmauer hatte sich der Mann hingekauert, auf der Seite des Lebens, und er hat versucht, meinem Willen zu widerstehen, und er konnte es nicht. Er hat sich mit den Händen an den Steinen festgekrallt und hat geflucht und gefleht. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich solche Feigheit gesehen. Mir wurde ganz übel von diesem Anblick. Daran hätte ich erkennen müssen, daß ich unrecht tat. Aber ich war zu stolz und zu eingebildet. Denn er war sehr mächtig, und ich war versessen darauf, zu beweisen, daß ich der Mächtigere war.«

»Was hat er später getan — nachdem sie zurückgekommen waren?«

»Im Staube gekrochen ist er und hat geschworen, nie mehr die peinische Zauberkunst zu wirken, er hat meine Hände geküßt und hätte mich umgebracht, wenn er es gewagt hätte. Er hat Havnor verlassen und ging in den Westen, vielleicht nach Paln. Jahre später habe ich gehört, daß er gestorben ist. Als ich ihn kannte, war er schon weißhaarig, aber er hatte lange Arme und war so gelenkig wie ein Ringer. Wie kam ich darauf, von ihm zu sprechen? Ich kann mich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern.«