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»Ein Feind?« fragte Arren.

Sperber nickte.

»Als sie von dem Großen, von dem König der Schatten…?«

Sperber nickte wieder. »Ich glaube, ja«, sagte er. »Ich glaube, wir müssen nicht nur einen Ort, sondern auch einen Menschen suchen. Schlimm, ganz schlimm ist es, was hier auf dieser Insel vor sich geht: dieser Verlust an handwerklichem Können, an Stolz, diese Gleichgültigkeit! Das ist das Werk eines bösen Willens. Und dieser Wille hat es noch nicht einmal auf diese Insel hier abgesehen, Akaren und Lorbanery sind ihm ganz gleichgültig. Das, was wir verfolgen, ist weit mehr als eine Spur, es ist eine breite Bahn der Zerstörung, es kommt mir vor, als verfolgten wir einen Wagen, der sich losgerissen hat und jetzt den Berg hinunterpoltert und eine Lawine auslöst.«

»Hätte sie — Akaren — Ihnen nicht mehr über diesen Feind erzählen können — wer er ist, wo er ist und was er ist?«

»Jetzt nicht, mein Junge«, sagte der Magier leise, und seine Stimme klang hoffnungslos. »Sicher hätte sie können. In ihrem Wahnsinn war noch Zauberkunst. Ja, ihr Wahnsinn war ihre Zauberkunst. Aber ich konnte sie nicht festhalten, damit sie mir Auskunft gebe. Sie hat zuviel gelitten.«

Und er setzte seinen Weg fort, mit eingezogenem Kopf, als sei ihm selbst eine Last auferlegt, und als suche er verzweifelt, seinen Schmerz zu lindern.

Arren wandte sich um, weil er glaubte, Fußgetrappel hinter sich zu vernehmen. Er sah einen Mann, der, noch ziemlich weit weg, hinter ihnen herlief. Der Abstand verringerte sich rasch. Der Staub des Weges und sein langes, zerzaustes Haar waren von der Abendsonne durchleuchtet und umgab ihn wie einen Heiligenschein; sein langer Schatten hüpfte und sprang von Stamm zu Stamm der Bäume, die entlang des Weges standen. »Haltet an!« rief er. »Hört zu! Ich habʹs gefunden! Ich habʹs gefunden!«

Der Mann kam auf sie zugerannt. Arrens Hand griff flugs dorthin, wo sein Schwert gehangen hatte, und bekam nur Luft zu fassen, dann griff er dorthin, wo sein verlorenes Messer gewesen war, und fand wiederum nur Luft, dann ballte er die Hand zur Faust, alles innerhalb einer einzigen Sekunde; seine Brauen waren finster zusammengezogen, und er machte einen drohenden Schritt nach vorne. Der Mann war einen vollen Kopf größer als Sperber, breitschultrig, schweratmend, und seine Augen blickten wild um sich. »Ich habʹs gefunden!« wiederholte er immer wieder, während Arren ihn mit strengem Blick musterte und mit herrischer Stimme Einhalt gebieten wollte. »Was wollen Sie von uns?« fragte er ihn. Der Mann versuchte, um ihn herum auf Sperber zuzugehen. Arren vertrat ihm den Weg.

»Du bist der Färber von Lorbanery«, sagte Sperber.

Jetzt merkte Arren, daß er sich lächerlich benommen hatte, denn Sperber mußte nur sechs Worte sagen, und der Mann atmete ruhiger und stellte sein zielloses Gestikulieren mit seinen großen farbbefleckten Händen ein, sein Blick wurde weniger irr. Er nickte.

»Ich war der Färber«, sagte er, »aber jetzt kann ich nicht mehr färben.« Er blickte Sperber von der Seite her an und grinste, dann schüttelte er seinen rötlichen, staubigen Haarschopf. »Du hast meiner Mutter den Namen weggenommen«, sagte er. »Jetzt kenne ich sie nicht mehr, und sie kennt mich nicht mehr. Sie mag mich immer noch, aber jetzt hat sie mich verlassen. Sie ist tot.«

Arrens Herz krampfte sich zusammen, aber er sah, daß Sperber nur leicht den Kopf schüttelte. »Nein, nein«, sagte er. »Sie ist nicht tot.«

»Aber sie wird tot sein. Sie wird sterben.«

»Stimmt. Das ist eine Folge des Lebendigseins«, sagte der Magier. Der Färber stutzte und schien eine Weile über diese Worte nachzudenken, dann trat er auf Sperber zu, packte ihn an den Schultern und beugte sich über ihn. Das alles geschah so schnell, daß Arren ihn nicht daran hindern konnte, aber er stand so dicht bei ihm, daß er sein Flüstern vernahm: »Ich habe den Riß in der Dunkelheit gefunden. Der König stand dort. Er paßt darauf auf, der bewacht es. Er hat ein kleines Licht in der Hand, eine Kerze. Er hat geblasen, und sie ist erloschen. Dann blies er noch mal, und sie brannte wieder! Sie brannte!«

Sperber wehrte sich nicht dagegen, festgehalten zu werden, und er gebot ihm nicht, lauter zu sprechen. Er fragte nur ganz schlicht »Wo warst du, als du das gesehen hast?«

»Im Bett.«

»Geträumt?«

»Nein.«

»Auf der anderen Seite der Mauer?«

»Nein«, sagte der Färber, und seine Stimme klang ernüchtert; man sah, daß ihm unbehaglich wurde. Er gab die Schultern des Magiers frei und trat einen Schritt zurück. »Nein, ich … ich weiß nicht, wo es ist. Ich habe es gefunden. Ich weiß nicht, wo.«

»Und gerade das wüßte ich gern«, sagte Sperber.

»Ich kann dir helfen.«

»Wie?«

»Du hast ein Boot. Du bist hierher gesegelt. Du segelst wieder fort damit. Nach Westen? Dort ist der Weg. Der Weg zu dem Ort, von dem er kommt. Es muß eine Stelle geben — hier —, denn er lebt … er ist nicht wie die Geister, die Körperlosen, die über die Mauer gehen, nein, nein, er ist nicht so … nur Seelen kommen über die Mauer, aber er hat einen Körper, sein Fleisch ist unsterblich. Ich habe gesehen, wie er die Flamme mit seinem Atem anblies, und er hat sie ausgelöscht. Das habe ich gesehen!« Ein ekstatischer Ausdruck kam über seine Züge und verlieh seinem Gesicht in dem späten, rotgoldnen Licht eine wilde Schönheit. »Ich weiß, daß er den Tod überwunden hat. Ich weiß es. Ich habe meine Zauberkunst hergeben müssen, um das zu wissen. Ich war nämlich Zauberer! Du weißt das! Und du gehst dorthin zurück. Nimm mich mit!«

Das gleiche rotgoldne Licht fiel auf Sperbers Züge, doch sie blieben davon unberührt; sein Gesicht war hart. »Ich versuche, dorthin zu gehen«, sagte er.

»Laß mich mitgehen!«

Sperber nickte kurz. »Wenn du fertig bist, wenn wir absegeln«, sagte er, genauso kurz angebunden wie zuvor.

Der Färber trat einen Schritt zurück, der triumphierende Ausdruck auf seinem Gesicht schwand, es bewölkte sich, und er starrte Sperber mit großen stieren Augen unverwandt an. Es war, als ob ein Gedanke sich langsam durch den Sturm von Gefühlen, Visionen und Worten quäle, der ihn verwirrte. Endlich wandte er sich von ihnen ab und hastete, ohne ein Wort zu sagen, den Weg wieder zurück, in den aufgewirbelten Staub hinein, der sich noch nicht wieder gesetzt hatte. Arren seufzte erleichtert auf.

Auch Sperber seufzte, doch der Seufzer schien sein Herz nicht zu erleichtern. »Na ja«, sagte er, »auf seltsamen Wegen findet man seltsame Führer. Komm, gehen wir!«

Arren marschierte im gleichen Schritt neben ihm her. »Sie werden ihn doch nicht mitkommen lassen?« fragte er.

»Das bleibt ihm überlassen.«

Und mir, dachte Arren, und Ärger wallte kurz in ihm auf. Doch er sagte nichts, und sie gingen schweigend weiter.

Man empfing sie nicht sehr freundlich in Sosara. Auf einer Insel so klein wie Lorbanery bleibt nichts unbekannt, und man hatte zweifellos gesehen, wie sie vom Weg abgebogen und sich dem Haus des Färbers zugewandt und mit dem Irren gesprochen hatten. Der Gastwirt bediente sie unwillig, und seine Frau hatte Todesangst vor ihnen. Am Abend, als die Männer des Dorfes, wie es ihre Gewohnheit war, unter dem Dachvorsprung entlang der Hauswand saßen, übergingen sie die Fremden sehr offensichtlich und bemühten sich, ein besonders lustiges und witziges Gespräch zu führen. Aber sie hatten wenig Ursache, lustig zu sein, und die Witzigkeit ging ihnen bald aus. Sie saßen und schwiegen eine lange Weile. Dann wandte sich der Bürgermeister an Sperber: »Haben Sie die blauen Steine bekommen?«