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»Ja, ich habe ein paar blaue Steine bekommen«, antwortete Sperber höflich.

»Sopli hat Ihnen bestimmt gesagt, wo man sie bekommen kann.«

»Hahaha«, ertönte es von der Wand. Die offensichtliche Ironie fand den Beifall aller.

»Sopli? Ist das der rothaarige Mann?«

»Der Irre. Heute morgen haben Sie mit seiner Mutter gesprochen.«

»Ich habe einen Zauberer gesucht«, sagte der Zauberer.

Der magere Mann, der ihm am nächsten saß, spuckte in die Dunkelheit. »Wozu?«

»Ich habe gehofft, daß ich vielleicht das finden werde, was ich suche.«

»Wenn Leute nach Lorbanery kommen, dann suchen sie Seide, nicht Steine«, stellte der Bürgermeister fest. »Sie suchen auch kein Zauberzeug, kein Mit-dem-Arm-Herumschwingen und Gefasel und Hexengeplänkel. Hier wohnen ehrliche Leute, die ein ehrliches Handwerk treiben.«

»Das stimmt. Er hat recht«, ließen sich die anderen vernehmen »Wir brauchen kein fremdes Volk hier, keine Leute, die sich in unsere Angelegenheiten mischen und ihre Nase in Sachen stecken, die sie nichts angehen.«

»Das stimmt. Er hat recht«, ertönte es im Chor.

»Wenn wir Zauberer hätten, die nicht verrückt wären, dann würden wir sie in unseren Werkschuppen anstellen, aber die wissen ja nicht, was es heißt, ordentlich zu arbeiten.«

»Sie wüßten es vielleicht schon, wenn es Arbeit gäbe«, sagte Sperber. »Aber eure Schuppen stehen ja leer, eure Bäume sind vernachlässigt, und die Seide in den Lagerhallen wurde schon vor Jahren gewoben. Was treibt ihr denn hier auf Lorbanery?«

»Wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten«, erwiderte der Bürgermeister barsch, aber der Magere unterbrach ihn aufgeregt: » Warum kommen denn keine Schiffe, he? Was ist denn los in Hort? Hat das mit unserer Seide zu tun, die nicht mehr die gleiche Qualität hat wie …?«

Wütende Stimmen unterbrachen ihn. Sie begannen untereinander zu streiten, sprangen auf, der Bürgermeister schüttelte die Faust dicht vor Sperbers Gesicht, ein anderer hielt plötzlich ein Messer in der Hand. Ihre Stimmung war umgeschlagen, ein wilder Taumel hatte sie erfaßt. Arren war aufgesprungen. Er blickte auf Sperber; er wartete darauf, daß der aufstehen würde und sich im plötzlichen Glanz seines magischen Lichtes vor ihnen erheben und sie mit seiner Macht zum Schweigen bringen würde. Aber er rührte sich nicht. Er blieb sitzen und blickte von einem zum anderen und hörte gelassen ihren Drohungen zu. Und allmählich verstummten sie. Sie konnten ihren Zorn genausowenig aufrechterhalten wie ihr Lustigsein. Das Messer verschwand in der Scheide. Die Drohungen milderten sich zu Beschimpfungen. Sie verließen die Kampfstätte wie Hunde nach einer Rauferei: die einen hocherhobenen Hauptes, die anderen den Schwanz eingezogen.

Als sich die beiden allein fanden, stand Sperber auf, ging hinein in die Gaststätte und trank einen langen Schluck Wasser aus dem Krug, der neben der Tür stand. »Komm, Junge!« sagte er. »Mir reichtʹs hier.«

»Zum Boot?«

»Ja«; er legte zwei Silberstücke auf den Fenstersims, um für Bewirtung und Übernachtung zu zahlen. Dann hob er das leichte Bündel mit ihrer Kleidung auf die Schultern. Arren war müde und schläfrig, aber nachdem er einen Blick in die Gaststube geworfen hatte, die stickig und düster war, und in deren Gebälk das unaufhörliche Piepsen und Rascheln der Fledermäuse zu vernehmen war, erinnerte er sich wieder an die vergangene Nacht: Er folgte Sperber gern. Auch hoffte er, als sie die einzige Straße von Sosara in der Dunkelheit hinabschritten, daß sie nun diesem Sopli entweichen würden. Aber als sie den Hafen erreichten, fanden sie ihn wartend an der Anlegestelle.

»Da bist du ja«, sagte der Magier. »Geh an Bord, wenn du mitkommen willst.«

Ohne ein Wort zu reden, stieg Sopli ins Boot und kauerte sich beim Mast nieder wie ein großer, zottiger Hund. Das überstieg Arrens Geduld. »Mein Gebieter!« sagte er. Sperber wandte sich um. Sie standen sich gegenüber.

»Die Leute hier auf der Insel sind alle verrückt. Ich dachte, Sie seien es nicht. Warum nehmen Sie ihn mit?«

»Als einen Führer.«

»Als Führer — in den Wahnsinn? Zum Tod durch Ertrinken oder mit einem Messer im Rücken?«

»Zum Tod, ja — aber auf welchem Weg weiß ich nicht.«

Arren war erregt, und obgleich Sperbers Stimme ruhig klang, so lag doch ein warnender Unterton darin. Er war nicht gewohnt, zur Rede gestellt zu werden. Doch seit Arren am Spätnachmittag versucht hatte, ihn vor dem Irren auf der Straße zu schützen und gemerkt hatte, wie unnötig und umsonst sein Schutz gewesen war, fühlte er eine Bitternis in sich, und das überwältigende Gefühl der Zuneigung, das ihn am Morgen überkommen hatte, war verschwunden und ausgelöscht. Er war nicht in der Lage, Sperber zu schützen, er durfte keine Entscheidung fällen, ja er wußte oder verstand nicht einmal, was sie nun eigentlich suchten. Er wurde nur mitgeschleppt, er war so unnütz wie ein Kind. Aber er war kein Kind mehr.

»Ich möchte mich nicht mit Ihnen streiten«, sagte er, so kalt er es vermochte. »Doch das hier — das übersteigt die Vernunft.«

»Es übersteigt die Vernunft. Wir gehen dorthin, wo uns die Vernunft nicht weiterhilft. Kommst du oder kommst du nicht?«

Tränen des Zornes traten in Arrens Augen. »Ich habe gesagt, daß ich mitkommen und Ihnen dienen werde. Ich bin nicht wortbrüchig.«

»Dann ist es gut«, sagte der Magier und wandte sich schroff ab; doch dann schien er sich zu besinnen und drehte sich Arren zu: »Ich brauche dich, Arren, und du brauchst mich. Jetzt kann ich es dir sagen: dem Weg, dem wir folgen, dem mußt du folgen, nicht aus Gehorsam und Ergebenheit mir gegenüber, sondern weil er für dich bestimmt war, noch bevor du mich gesehen, bevor du deinen Fuß auf Rok gesetzt und bevor du Enlad verlassen hast. Du kannst nicht umkehren.«

Seine Stimme war nicht weicher geworden. Arren antwortete im gleichen kalten Ton: »Wie könnte ich denn umkehren? Ohne Boot, hier am Rande der Welt?«

»Das hier der Rand der Welt? Nein, der liegt weiter draußen. Viel weiter. Wir kommen vielleicht noch dorthin.«

Arren nickte kurz und sprang ins Boot. Sperber löste das Seil und sprach einen leichten Wind in das Segel. Als sie die finster aufragenden, leeren Docks von Lorbanery hinter sich hatten, blies eine frische Brise aus dem dunklen Norden, kühl und rein, und der Mond goß sein silbernes Licht über das glatte Wasser. Er zog links von ihnen seine Bahn, als sie die Küste der Insel in südlicher Richtung umsegelten.

DER IRRE

Der Irre, der einstige Färber von Lorbanery, kauerte beim Mast, hielt seine Knie mit den Armen umschlungen und den Kopf gesenkt. Sein struppiger Haarschopf sah schwarz aus im Licht des Mondes. Sperber hatte sich in eine Decke gewickelt und schlief im Heck des Bootes. Keiner von beiden rührte sich. Arren saß aufrecht im Bug. Er hatte sich geschworen, die ganze Nacht wach zu bleiben und aufzupassen. Wenn der Magier annahm, daß ihr wahnsinniger Passagier weder ihn noch Arren in der Nacht anfallen würde, so war das seine Sache; er, Arren, traf seine eigenen Entschlüsse, er hatte seinen eigenen Pflichten nachzukommen.

Doch die Nacht war lang und ruhig. Das Licht des Mondes ruhte still auf dem Wasser. Sopli, am Mast kauernd, schnarchte langsam und leise vor sich hin. Das Boot glitt ruhig über die glatte Fläche, und der Schlaf überkam Arren, ohne daß er es merkte. Er schreckte kurz auf und sah, daß der Mond sich kaum verändert hatte; er gab seine selbstgewählte Schützerrolle auf und legte sich, nachdem er sich ein bequemes Lager hergerichtet hatte, zum Schlaf nieder.

Wieder träumte er, was er auf dieser Reise immer zu tun schien, und zunächst waren die Träume unzusammenhängend, doch auf eine seltsame Weise erfreulich und beglückend. Dort, wo der Weitblick-Mast war, wuchs jetzt ein Baum mit weiten, überhängenden, dichtbelaubten Zweigen; Schwäne, die sich mit mächtigen Schwingen vor ihnen niederließen, leiteten das Boot; weit vor ihnen, über der beryllfarbenen See, schimmerten die weißen Türme einer Stadt, jetzt befand er sich in einem dieser Türme und eilte leichtfüßig eine Wendeltreppe hinauf. Diese Bilder verwoben und veränderten sich, kamen und gingen und schoben sich zwischen andere Träume, die keine Spuren hinterließen; doch plötzlich befand er sich wieder in dem schrecklichen, düsteren Dämmerlicht auf dem Moor, und die Furcht wuchs und wurde immer stärker in ihm, bis er nicht mehr atmen konnte.