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Der Meister der Heilkunde schaute in das offene, kluge Gesicht des Jungen und dann hinunter auf das starre Gesicht des Gebieters. »Er wird zurückkommen«, sagte er. »Die Lieder werden nicht vergessen werden.«

In dieser Nacht verließ der Meister der Verwandlungen Rok. Niemand hatte ihn fortgehen sehen. Das Fenster seines Zimmers, das auf den Garten hinausging, stand offen. Er blieb verschwunden. Sie nahmen an, daß er seine eigene Kunst dazu verwendet hatte, sich zu verwandeln, vielleicht in irgendeinen Vogel oder in ein anderes Tier, in Nebel oder in Wind, denn alle Formen, alle Substanzen lagen im Bereich seiner Verwandlungskunst. Und so war er entflohen, vielleicht um den Erzmagier zu suchen. Unter ihnen waren manche, die um die Gefahr wußten, die drohte, wenn jemand in seiner eigenen Verwandlung gefangen wird. Das kann geschehen, wenn die Macht nachläßt oder der Wille erlahmt. Sie fürchteten um ihn, doch sie sprachen nicht von ihrer Furcht.

So kam es, daß drei Meister im Konzil der Weisen fehlten. Als die Tage vergingen und keine Nachricht vom Erzmagier sie erreichte, als der Meister des Gebietens weiterhin wie tot auf seinem Bett lag und der Meister der Verwandlungen verschwunden blieb, breitete sich Kälte und Bedrückung im Großhaus von Rok aus. Die Jungen flüsterten untereinander, und manche redeten davon, Rok zu verlassen, denn der Unterricht litt, und sie lernten nicht viel. »Vielleicht«, so meinte einer, »war alles, diese ganzen geheimen Künste und Mächte, von Anfang an nichts als Lüge und Täuschung. Von den Meistern übt nur noch Meister Hand seine Künste, und das weiß ja jeder, daß das nichts weiter ist als Spielerei und Illusion! Und die anderen verstecken sich und weigern sich, irgend etwas zu tun, weil ihre Künste jetzt offenbart sind.« Und ein anderer, der das überhörte, meinte: »Was ist Zauberei denn schon groß? Die ganze Magierkunst ist doch nichts weiter als Schein. Hat sie denn schon jemals einen Menschen vom Tod errettet oder ihm ein langes Leben verliehen? Wenn die Magier die Macht wirklich hätten, derer sie sich rühmen, dann würden sie doch alle ewig leben!« Und er und die anderen Jungen begannen, vom Sterben der großen Magier zu reden, wie Morred im Kampf gefallen war, wie Nereger vom Grauen Magier getötet wurde und Erreth-Akbe vom Drachen, und wie Genscher, der letzte Erzmagier, einfach krank wurde und im Bett starb, wie ein ganz gewöhnlicher Mensch. Manche Jungen hörten zu und freuten sich, denn sie besaßen neidvolle Herzen, andere aber hörten zu und litten.

Und während der ganzen Zeit blieb der Meister der Formgebung im Immanenten Hain, in den er niemanden hineinließ.

Doch der Pförtner, obgleich er selten gesehen wurde, hatte sich nicht verändert. Kein Schatten lag über seinen Augen. Er lächelte und hielt die Türen des Großhauses bereit zur Rückkehr seines Herrn.

DIE DRACHENINSELN

Dieser Herr über die Insel der Weisen wachte gerade auf, weit draußen auf dem Meer im äußersten Westbereich und streckte seine verkrampften, vom Liegen schmerzenden Glieder. Er gähnte. Der Morgen war klar und kalt. Ein paar Minuten später deutete er nach Norden und sagte zu seinem noch verschlafenen Gefährten: »Schau! Die zwei Inseln dort! Kannst du sie sehen? Das sind die südlichsten der Dracheninseln.«

»Sie haben die Augen eines Raubvogels, mein Gebieter«, sagte Arren und spähte aus schlaftrunkenen Augen über das Meer. Er sah nichts.

»Deswegen bin ich ja auch der Sperber«, sagte der Magier; er war noch immer in bester Stimmung; was ihnen drohte, schien ihn nicht zu bedrücken.

»Ich sehe Möwen«, sagte Arren, nachdem er seine Augen wachgerieben und den blaugrauen Horizont, der sich vor dem Boot erstreckte, abgesucht hatte.

Der Magier lachte. »Selbst einem Falken dürfte es schwerfallen, Möwen auf zwanzig Meilen Entfernung zu sehen, meinst du nicht auch?«

Als die Sonne hinter dem Morgennebel im Osten immer heller wurde, sah Arren, wie die winzigen, kreisenden Punkte in der Luft zu schillern begannen, wie Goldblättchen, die im Wasser geschüttelt oder wie Staubkörnchen, die von einem Sonnenstrahl erfaßt wurden. Und plötzlich wurde Arren bewußt, daß es Drachen waren.

Als sich die Weitblick den Inseln näherte, sah Arren, wie die Drachen, vom Morgenwind getragen, in die Höhe stiegen und ihre Kreise zogen, und sein Herz schlug höher, und ein Gefühl der Erfüllung durchströmte ihn, so heftig, daß es ihn schmerzte. Die ganze Glorie, die ganze Pracht des Lebens war in diesem Flug enthalten: eine ungeheure Stärke, eine ungezügelte Wildheit, eine Geschmeidigkeit, wie sie nur der Vernunft eigen war, lagen in diesem Flug. Denn dies waren denkende Geschöpfe, die über eine Sprache verfügten und über uralte Weisheit. In den gemessenen Bahnen ihres Fluges offenbarte sich ein gemeinsamer, mächtiger Wille.

Arren sagte kein Wort, doch er dachte: Jetzt ist es mir gleichgültig, was folgt, denn ich habe die Drachen gesehen, wie sie auf den Schwingen des Morgenwindes geflogen sind.

Manchmal wurden die gleichmäßigen Bahnen und Kreise unterbrochen, und dann und wann blies der eine oder der andere der Drachen eine lange Feuerflamme aus seinen Nüstern, die sich wand und einen Augenblick lang in der Luft schwebte und der Krümmung des langen Drachenkörpers folgte. Der Magier ließ seinen Blick prüfend auf ihm ruhen, dann sagte er: »Sie sind zornig. Sie drücken ihren Zorn im Tanz aus.«

Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Jetzt sitzen wir im Hornissennest.« Denn die Drachen hatten das kleine Segel auf den Wellen erspäht, und einer nach dem anderen brach aus dem Reigen des Tanzes aus und kam, lang und gerade gestreckt, mit mächtigen Flügelschlägen die Luft zerteilend, auf das kleine Boot zugeschossen.

Der Magier blickte auf Arren, der an der Ruderpinne saß, denn die Wellen schlugen heftig und unregelmäßig gegen das Boot. Der Junge hielt das Boot mit fester Hand auf geradem Kurs, doch seine Augen waren auf die mächtigen Schwingen gerichtet. Der Magier schien befriedigt, er wandte sich wieder um und, neben dem Mast stehend, ließ er den magischen Wind erschlaffen. Er hob seinen Stab und sprach laut.

Beim Klang seiner Stimme und den Worten der Ursprache machten einige der Drachen in der Luft kehrt und flogen vereinzelt zu den Inseln zurück. Andere hielten inne und schwebten in der Luft, ihre langen Krallen zwar ausgestreckt, doch sie verharrten reglos. Einer kam herunter und flog langsam auf sie zu: zwei mächtige Flügelschläge brachten ihn über das Boot. Der schuppige Unterleib berührte fast die Mastspitze. Arren sah die verrunzelte, ungeschützte Haut zwischen den Schultergelenken und der Brust, die, wie das Auge, verletzbar war; nur ein mit außerordentlichen Zauberkräften gerüsteter Speer konnte dem Rest des Körpers Schaden zufügen. Der aus dem langen, mit Zähnen gespickten Rachen strömende Rauch erstickte ihn fast, und der Aasgestank ihres Atems würgte ihn. Er biß die Zähne zusammen und hielt den Atem an.

Der Schatten flog vorbei. Er kam wieder zurück, und dieses Mal spürte Arren die heiße Glut des Rachens, bevor er den Rauch roch. Er vernahm Sperbers klare, gebieterische Stimme. Der Drache flog weiter. Dann zerstoben sie alle, wie feurige Funken vom Windstoß davongetragen.

Arren atmete tief aus und wischte sich über die schweißbedeckte Stirn. Er blickte seinen Gefährten an und sah, daß dessen Haar weiß war, der Atem des Drachen hatte die Haarspitzen zu Asche verbrannt. Und das schwere Segeltuch war auch auf der einen Seite braun verkohlt.

»Dein Kopf ist etwas angesengt, mein Junge.«

»Mein Gebieter, auch Ihrer ist nicht mehr so, wie er war.«

Sperber fuhr sich überrascht durchs Haar. »Du hast recht! Das war eine Frechheit, doch ich gehe einem Streit mit diesen Geschöpfen aus dem Wege. Sie scheinen toll oder ganz verängstigt zu sein. Sie haben nicht gesprochen. Noch nie habe ich einen Drachen gesehen, der nicht, bevor er auf seine Beute herabstieß, etwas sagte, wenn es auch nur ein paar Worte waren, genug jedenfalls, um die Qual zu verlängern … Jetzt müssen wir weiter. Schau ihnen nicht in die Augen, Arren! Wende dein Gesicht zur Seite, wenn es nötig ist. Wir segeln mit dem Wind der Welt weiter. Er bläst ja ganz frisch aus dem Süden. Es ist möglich, daß ich meine Kunst für anderes brauche. Halte das Boot auf Kurs.«