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Zwischen ihm und Ged stehend, mit gezogenem, blanken Schwert, antwortete Arren: »Orm Embar!«

Jetzt fühlte sich das Schwert ganz leicht an. Der glatte, abgenutzte Griff schmiegte sich in seine Hand: er paßte genau hinein. Die Klinge war bereitwillig, leicht und mühelos aus der Scheide geschlüpft. Die im Schwert steckende Kraft und sein hohes Alter waren auf Arrens Seite, und jetzt wußte er, wie es zu gebrauchen war. Erst jetzt war es sein Schwert.

Der Drache sprach wieder, doch Arren konnte ihn nicht verstehen. Er warf einen Blick auf seinen schlafenden Gefährten, der weder von dem Lärm noch von dem plötzlichen Wind geweckt worden war, und sagte zu dem Drachen: »Mein Gebieter ist müde, er schläft.«

Daraufhin begann Orm Embar näher zu kriechen und steuerte auf den Fuß des Hügels zu. Auf der Erde bewegte er sich schwerfällig, nicht leicht und geschmeidig wie im Flug, doch lag eine gewisse Grazie in dem langsamen, schweren Tappen seiner großen Klauen, in der kraftvollen Krümmung seines gezackten Schwanzes. Am Fuß des Hügels angekommen, faltete er seine Beine unter sich und legte sich darauf, dann hob er den Kopf und rührte sich nicht mehr. Jetzt glich er den Drachen, die sich auf den Helmen alter Krieger kunstvoll erhoben. Arren spürte, wie das gelbe Auge, nicht mehr als drei Meter entfernt, auf ihm ruhte. Er roch den leichten Brandgeruch, der ihn umgab, doch er nahm keinen Aasgeruch wahr, trocken und leicht metallisch riechend erinnerte der Drache an die See, an Salz und Sand: es war ein reiner, wilder Geruch.

Die immer höher steigende Sonne warf ihre Strahlen auf Orm Embar, und er leuchtete wie eine Statue aus Eisen und Gold.

Noch immer schlief Ged, entspannt und nahm von dem Drachen genauso wenig Notiz wie ein Bauer von seinem Hofhund.

Eine Stunde verstrich. Arren schreckte auf. Der Magier saß neben ihm.

»Bist du schon so an Drachen gewöhnt, daß du zwischen ihren Klauen einschläfst?« lachte Ged und gähnte. Dann stand er auf und sprach zu Orm Embar in der Ursprache.

Bevor der Drache sprach, gähnte auch er, vielleicht aus Müdigkeit, vielleicht, um dem Magier nicht nachzustehen, aber es war ein Anblick, den nur ganz wenige gesehen und überlebt hatten: die Reihen gelbweißer Zähne, scharf und spitz wie Schwerter, die gespaltene, feurigrote Zunge, zweimal so lang wie ein Mensch, und der rauchende Schlund tat sich vor ihnen auf.

Orm Embar sprach, Ged machte gerade den Mund auf, um zu erwidern, als beide sich nach Arren umdrehten. Sie hatten in der Stille das hohle Flüstern einer stählernen Klinge in der Scheide gehört. Arren blickte hinauf zum Rand der Düne, die sich hinter dem Kopf des Magiers erhob, und hielt sein Schwert zum Kampf bereit in der Hand.

Dort oben, von der Sonne hell beleuchtet, stand ein Mann. Er stand bewegungslos, wie aus Stein gemeißelt, nur der Saum und die Kapuze seines leichten Umhangs bewegten sich leise im Wind. Sein schwarzes Haar war lang und fiel in dichten Locken auf seine Schultern; er war breitschultrig und groß, ein gutaussehender, kraftvoller Mann. Seine Augen blickten über sie hinweg, hinaus aufs Meer. Er lächelte.

»Orm Embar kenne ich«, sagte er, »und dich kenne ich auch, obwohl du gealtert bist, Sperber, seit ich dich zum letztenmal gesehen habe. Man hat mir erzählt, daß du jetzt der Erzmagier bist. Nicht nur alt, auch berühmt bist du geworden. Und du hast einen Helfer dabei, ein Zauberlehrling zweifellos, einer von denen, die auf der Insel der Weisen weise werden wollen. Was führt euch beide hierher, so weit von Rok und seinen schützenden Wällen entfernt, die alles Dunkle von den Meistern fernhalten?«

»Ein Riß geht durch mächtigere Wälle, als es jene sind«, sagte Ged, und seinen Stab mit beiden Händen fassend, blickte er fest auf den Mann: » Doch möchten Sie uns nicht als Mensch begegnen, damit wir Sie in unserer Mitte begrüßen können, denn lange haben wir nach Ihnen gesucht.«

»Als Mensch?« wiederholte der Mann, und wiederum lächelte er. »Ist ein Körper, ist Fleisch von Bedeutung, wenn zwei Magier aufeinandertreffen? Gewiß nicht. Lassen wir Geist mit Geist sprechen, Erzmagier!«

»Ich glaube nicht, daß wir das tun können. Junge, steck dein Schwert ein. Das hier ist nur ein Senden, eine Erscheinung, nicht der wahre Mensch. Gegen das hier zu kämpfen kommt einem Kampf gegen den Wind gleich. In Havnor, als Ihr Haar noch weiß war, wurden Sie Cob genannt. Doch das war nur ein Umgangsname. Wie sollen wir Sie hier nennen, wenn wir auf Sie treffen?«

»Ihr werdet mich euren Fürsten heißen«, verkündigte die hohe Gestalt auf der Düne.

»Gut, und wie sonst noch?«

»König und Meister.«

Bei diesen Worten zischte Orm Embar laut auf, und messerscharf zerschnitt der Ton die Luft. Seine großen Augen funkelten, doch er wandte den Kopf von dem Mann ab und sank in sich zusammen, als ob ihn eine unsichtbare Macht niederdrücke.

»Und wann und wo wird die Zusammenkunft stattfinden?«

»In meinem Reich und wann es mir gefällt.«

»Gut«, sagte Ged und erhob seinen Stab in die Richtung des Mannes — und der Mann verschwand wie eine ausgelöschte Kerzenflamme.

Arren starrte. Der Drache erhob sich langsam und schwerfällig, bis er auf seinen vier gekrümmten Beinen stand, seine Schuppen klirrten, und er fletschte die Zähne. Der Magier blieb unbeweglich stehen und lehnte sich auf seinen Stab.

»Das war nur ein Senden, nur ein Gedankenbild des wirklichen Mannes, das zwar reden und hören kann, aber keine Macht hat, nur die, die ihm unsere eigene Furcht verleiht. Das Bild muß auch nicht unbedingt wahr sein, das hängt von dem ab, der es sendet. Ich nehme an, daß dieses Bild der Wahrheit nicht entspricht, daß er in Wirklichkeit nicht so aussieht.«

»Glauben Sie, daß er in der Nähe ist?«

»Ein Senden kann nicht über Wasser erfolgen, folglich ist er auf Selidor. Doch Selidor ist eine große Insel, breiter als Rok und Gont und fast so lang wie Enlad. Es kann lange dauern, bis wir ihn finden.«

Daraufhin hob der Drache zu reden an. Ged hörte ihm zu und wandte sich dann zu Arren: »Das sind die Worte des Herrschers von Selidor: ›Ich bin in mein Land zurückgekehrt und werde es nicht verlassen. Ich werde den, der nach dem Ende allen Schöpfens strebt, finden und euch dorthin bringen, damit wir ihn gemeinsam vernichten können.‹ Und habe ich dir nicht gesagt, daß ein Drache das, was er sucht, immer finden wird?«

Daraufhin ließ sich Ged wie ein Gefolgsmann, der den Treueeid leistet, auf einem Knie vor Orm Embar nieder und dankte ihm in seiner Sprache. Der Drache schnaubte nahe, und sein Atem lag heiß auf Geds gesenktem Haupt.

Orm Embar schleppte seinen schweren, schuppigen Körper die Düne hinauf und schlug kraftvoll mit seinen Flügeln. Dann schoß er wie ein Pfeil davon.

Ged klopfte den Sand von seiner Kleidung und sagte zu Arren: »Jetzt hast du mich knien sehen. Und vielleicht wirst du mich noch einmal knien sehen, bevor alles vorüber ist.«

Arren fragte nicht, was er damit meinte. Während ihres langen Beisammenseins hatte er gelernt, daß der Magier immer einen guten Grund hatte, wenn er sich zurückhielt. Doch war es ihm, als läge ein böses Omen in den Worten.

Noch einmal kletterten sie über die Düne zurück zum Strand, um nachzuschauen, ob das Boot hoch genug am Ufer lag, außerhalb des Sturmes und der Flut Reichweite. Sie nahmen ihre warmen Umhänge für die kalten Nächte und allen Proviant, der ihnen verblieben war. Ged blieb neben dem schmalen Bug stehen, der ihn so lange und so weit über fremde Meere getragen hatte; er legte seine Hand darauf, doch sagte er kein Wort, sprach keine magische Formel, um es zu schützen. Dann schlugen sie einen Weg ins Landesinnere ein, gegen die Hügel in der Ferne.