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Als er das sagte, blickte ihn Spiel wohlgefällig an und fragte: »Sind Sie hierhergekommen, um in der Schule zu bleiben?«

»Nein. Ich brachte dem Erzmagier eine Botschaft von meinem Vater.«

»Enlad gehört zu den königlichen Fürstentümern, nicht wahr?«

»Enlad, Ilien und Weg. Havnor und Ea waren es einmal, aber in beiden Ländern starb die königliche Linie aus. Ilien geht auf Gemal Seebornzurück und setzt sich über Maharion, der König aller Inseln war, fort; Weg geht auf Akamber und das Haus Scheließ zurück; und Enlad, das älteste Fürstentum, geht direkt auf Morred zurück, und setzt sich über seinen Sohn Serriadh und das Haus Enlad fort.«

Arren sagte die genealogischen Fakten mit einem abwesenden Ausdruck auf, wie ein gelehriger Schüler, dessen Gedanken anderswo sind.

»Glauben Sie, daß zu unserer Zeit noch ein König in Havnor regieren wird?«

»Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.«

»Ich komme aus Ark, und dort denken die Leute oft daran. Jetzt, seit dem Frieden, gehören wir zum Fürstentum Ilien, wie Sie wissen. Wie lange ist das jetzt schon her? Siebzehn oder achtzehn Jahre, seit der Ring mit der Königsrune zum Königsturm in Havnor ist. Dann wurde es eine Weile besser, aber jetzt ist es schlimmer als zuvor. Es wird Zeit, daß ein König den Thron der Erdsee besteigt und unter dem Friedenszeichen regiert. Die Leute haben die Nase voll von Krieg und Raubzügen, und von Kaufleuten, die zu viel verlangen, und von Fürsten, deren Steuern zu hoch sind, und von den dauernden Streitigkeiten. Rok leitet, aber es kann nicht regieren. Die Balance liegt hier, doch die Macht sollte in eines Königs Händen liegen.«

Spiel sprach mit Überzeugung, und aller Unsinn war vergessen. Arrens Aufmerksamkeit war endlich erwacht. »Enlad ist reich, und es ist friedlich dort«, sagte er langsam. »Es hat sich nie an diesen Streitereien beteiligt. Wir hören nur, was in den anderen Ländern vor sich geht. Aber seit Maharion starb, stand der Thron in Havnor leer: achthundert Jahre sind seither vergangen! Würden die Länder einen König annehmen?«

»Wenn er als Friedenskönig kommt und mächtig ist, wenn Rok und Havnor ihn als legitim betrachten, dann ja.«

»Wurde nicht etwas prophezeit? Hatte Maharion nicht gesagt, daß der nächste König ein Magier sein wird?«

»Der Meister der Lieder kommt aus Havnor, und er interessiert sich dafür. Drei Jahre bemüht er sich schon, uns einzutrichtern, was Maharion gesagt hat. Die Worte lauten: ›Er wird Erbe meines Thrones, der das dunkle Land lebend durchschreitet und die fernen Ufer des Tages erreicht.«

»Also ein Magier.«

»Ja, denn nur ein Zauberer oder Magier kann das Totenreich betreten und wieder zurückkehren Aber durchschreiten können selbst Magier es nicht! Außerdem sagt man, daß es nur eine Grenze habe und auf der anderen Seite grenzenlos sei. Und was bedeutet dann die fernen Ufer des Tages? So lautet wenigstens die Prophezeiung des letzten Königs, und deswegen wird eines Tages einer geboren werden, der sie erfüllen kann. Und Rok wird ihn anerkennen, und die See- und Landmächte und alle Völker werden zu ihm strömen. Dann wird im Mittelpunkt der Welt, im Königsturm von Havnor, die Majestät wiederhergestellt, und ich würde auch dorthin kommen, und mit Herz und Hand würde ich diesem wahren König dienen und mit all meinen Künsten«, sagte Spiel, und dann lachte er und zuckte die Achseln, um bei Arren nicht den Eindruck der Gefühlsduselei zu erwecken. Doch Arren blickte ihn verständnisvoll an und dachte: »Er würde für den König das gleiche empfinden, das ich für den Erzmagier empfinde.« Laut sagte er: »Ein König würde Leute wie Sie wohl um sich haben wollen.«

Sie schwiegen, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, ohne sich am ändern zu stören, bis hinter ihnen aus dem Großhaus ein lauter Gong ertönte.

»Aha«, sagte Spiel, »heute gibt es Linsen und Zwiebelsuppe. Kommen Sie!«

»Ich dachte, man kocht hier nicht?« sagte Arren geistesabwesend und folgte ihm.

»Ach manchmal… aus Versehen…«

Das Essen enthielt nichts Magisches, doch viel Nahrhaftes. Nach dem Essen wanderten sie hinaus über die Felder in die blaue Dämmerung hinein.

»Das ist der Rokkogel«, sagte Spiel, als sie einen runden Hügel emporstiegen. Das taufeuchte Gras berührte ihre Beine, und drunten am Thwilbach begrüßte ein Chor kleiner Frösche die erste Frühlingswärme und die kürzer werdenden sternklaren Nächte. Der Grund hier schien geheimnisvoll zu sein, und Spiel sagte leise: »Dieser Hügel hier war der allererste, der über das Meer ragte, als das Erste Wort gesprochen wurde.«

»Und er wird als der letzte versinken, wenn alles wieder vergeht«, sagte Arren.

»Hier stehen wir also ziemlich sicher«, sagte Spiel und schüttelte die Ehrfurcht ab, die ihn überkommen hatte; doch dann rief er aufgeregt aus: »Schauen Sie! Der Hain!«

Wie ein Mondaufgang verbreitete sich ein strahlendes Licht auf der Erde, südlich des Kogels; doch der Neumond war bereits westlich hinter dem Hügel verschwunden; auch war in dieser flimmernden Helle eine Bewegung wahrnehmbar, wie windbewegte Blätter an den Ästen von Bäumen.

»Was ist das?«

»Das kommt vom Hain — die Meister müssen sich dort versammelt haben. Man sagt, daß es damals, vor fünf Jahren, als sie den Erzmagier gewählt hatten, die ganze Nacht über so hell leuchtete wie der Vollmond. Aber warum treffen sie jetzt zusammen? Ist es wegen der Botschaft, die Sie brachten?«

Spiel war aufgeregt und beunruhigt und wollte ins Großhaus zurück, um herauszufinden, was das Konzil der Meister wohl bedeuten könne. Arren folgte ihm, doch er blickte immer wieder zurück auf die seltsame strahlende Helle, bis der Hügel sie verbarg und nur noch der Neumond und die Sterne einer Frühlingsnacht zu sehen waren.

In der aus Stein gebauten Zelle, die man ihm als Schlafkammer zugewiesen hatte, lag Arren mit offenen Augen. Sein ganzes Leben lang hatte er in einem Bett unter weichen Pelzen geschlafen, selbst auf der zwanzig Ruder starken Galeere, die ihn hierhergebracht hatte, gab es mehr Komfort als dieses Lager hier bot — eine Strohmatratze auf einem Steinboden und eine alte Decke aus Filz. Aber all dies nahm der Prinz nicht wahr. »Ich befinde mich im Herzen der Welt«, dachte er. »Die Meister sind an diesem heiligen Platz versammelt. Was werden sie beschließen? Werden sie einen großen Zauber ins Werk setzen, um die Magie zu retten? Ist es wahr, daß die Zauberkraft aus der Welt verschwindet? Wird selbst Rok bedroht? Ich will hierbleiben. Ich werde nicht heimfahren. Lieber fege ich sein Zimmer aus, als Prinz in Enlad zu sein. Ob er mich als Novize behält? Aber vielleicht wird die Kunst der Magie nicht mehr gelehrt, vielleicht werden die wahren Namen der Dinge nicht mehr gelernt. Mein Vater besitzt die Macht zur Zauberkunst, doch ich nicht, vielleicht stirbt sie wirklich aus! Aber ich will ihm trotzdem nahe bleiben, auch wenn er seine Macht und Kunst verliert. Selbst wenn ich ihn nie mehr zu Gesicht bekomme; selbst wenn er kein Wort mehr mit mir spricht!« Doch seine lebhafte Phantasie riß ihn fort, und er sah sich wieder im Brunnenhof unter der Eberesche, dem Erzmagier gegenüber, doch jetzt war der Himmel dunkel, der Baum kahl, und der Brunnen schwieg, und er sprach: »Mein Gebieter, der Sturm ist gekommen, doch ich will hierbleiben und Ihnen dienen.« Und der Erzmagier lächelte ihm zu … Aber hier versagte seine Phantasie, denn er hatte kein Lächeln auf dem dunklen Gesicht gesehen.

Am Morgen erhob er sich und hatte das Gefühl, daß er am Abend zuvor noch ein Junge gewesen war, doch jetzt nicht mehr. Über Nacht war er zum Mann gereift. Er sah dem Tag mit Zuversicht entgegen. Doch als die erste Handlung von ihm verlangt wurde, stand er starr. »Der Erzmagier wünscht Sie zu sprechen, Prinz Arren«, sagte ein junger Novize, der zu seiner Tür gekommen, kurz stehen geblieben war und dann wieder davonrannte, bevor Arren Zeit hatte, sich zu fassen.