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Die Mischung von Verzweiflung und Triumph, von Furcht und Eitelkeit, die in seiner Stimme lag, hörte sich unheimlich an.

Ged fragte nur: »Wo ist sie?«

»Dort. Nicht weit. Du kannst hingehen. Aber du kannst dort nichts tun.

Du kannst sie nicht schließen. Selbst wenn du deine ganze Macht und Kraft in dieser einen Tat verbrauchen würdest, wäre es nicht genug. Nichts ist dafür genug.«

»Vielleicht«, antwortete Ged. »Du hast es aufgegeben, doch wir, wir haben es noch nicht aufgegeben. Führ uns dorthin!«

Der Augenlose hob sein Gesicht. Angst und Haß lagen darauf und kämpften miteinander. Der Haß trug den Sieg davon. »Nein, ich führe euch nicht dorthin.«

Da trat Arren hervor und befahclass="underline" »Du wirst uns dorthin führen!«

Der Blinde rührte sich nicht. Die eisige Kälte und die Dunkelheit des Totenreiches umhüllte sie und umhüllte ihre Worte.

»Wer bist du?«

»Ich heiße Lebannen.«

Ged sprach: »Du, der sich König nennt, du weißt nicht, wer das ist?«

Wiederum stand Cob, ohne sich zu rühren. Dann sprach er stammelnd: »Aber er ist tot — du bist tot. Du kannst nicht zurück. Kein Weg führt hinaus. Du bist hier gefangen.« Noch während er sprach, erlosch der schwache Lichtflimmer, und sie hörten, wie er sich von ihnen wandte und sich hastig in die Dunkelheit davonstahl. »Geben Sie mir Licht, mein Gebieter!« rief Arren, und Ged hielt seinen Stab hoch über seinen Kopf, damit das weiße Licht die uralte Dunkelheit zerbreche, und sie sahen, wie die gekrümmte Gestalt des Blinden, ohne zu zögern, sicher und hurtig, doch mit merkwürdigem Gang das Flußbett hinauf eilte, die Felsen vermeidend und die Schatten suchend. Ihm auf den Fersen folgend rannte Arren, und dahinter kam Ged.

Bald war Arren seinem Gefährten weit voraus. Das Licht wurde schwächer und war oft ganz verdeckt von den Felsen und den Windungen des Flußbettes. Doch Arren spürte Cobs Gegenwart, er hörte das Geräusch, das seine Füße verursachten, und der Abstand zwischen Arren und Cob verringerte sich, besonders, als der Weg steiler wurde. Sie kletterten eine enge Schlucht hinauf, die mit Steingeröll angefüllt war. Der Trockene Fluß wurde schmaler, je näher sie seinem Ursprung kamen, und die Ufer zu beiden Seiten wurden steiler. Felsgestein bröckelte unter ihren Füßen und Händen, denn sie mußten oft auf allen vieren kriechen. Arren spürte, wie das Flußbett sich zu einer letzten Enge verschmalerte, er machte einen Satz, packte Cob beim Arm und hielt ihn fest. Sie waren an einem Becken angelangt, das ein bis zwei Meter breit war und wohl Wasser hätte halten können, wenn es Wasser gegeben hätte. Hinter dem Becken ragte eine steile, rauhe Wand aus Fels und Schiefer empor. Und in der Wand war eine schwarze Öffnung, der Ursprung des Trockenen Flusses.

Cob versuchte nicht, sich seinem Griff zu entwinden. Er stand, ohne sich zu bewegen, während das Licht von Geds Stab immer heller auf sein Gesicht mit den leeren Augenhöhlen fiel. Der hatte es Arren zugewandt: »Hier ist der Ort, den du suchst. Siehst du ihn? Hier kannst du wiedergeboren werden. Du mußt nur mir folgen. Du wirst ewig leben. Und wir können beide zusammen Könige sein.«

Arren schaute auf die schwarze, unheimliche Öffnung, auf den Ursprung des Trockenen Flusses, auf dieses Maul aus Staub, in das die tote Seele hineinkriecht und wieder herauskommt, doch nicht um zu leben, sondern um ein Schattendasein zu führen: abscheulich schien es ihm und seine Stimme klang erstickt, er würgte, denn Übelkeit hatte ihn überfallen: »Es soll geschlossen werden!«

»Es wird geschlossen werden«, sagte Ged, der zu ihm getreten war. Und von seinen Händen und von seinem Gesicht ging ein Licht aus, als ob ein Stern in dieser endlosen Nacht auf die Erde gefallen wäre. Vor ihm gähnte die ausgetrocknete Quelle, die weitoffene Tür und hinter ihr war es hohl, wie weit und tief es ging, war nicht zu sehen. Nichts befand sich dahinter, worauf ein Licht hätte fallen können. Es war eine absolute Leere. Licht und Dunkel, Leben und Tod gab es dort nicht. Es war ein Weg, doch er führte in ein Nichts.

Ged hob die Hände hoch und begann zu sprechen. Arren hielt noch immer Cobs Arm fest. Der Blinde hatte seine freie Hand auf das Felsgestein der Wand gelegt. Beide rührten sich nicht, die Macht der Zauberformel hielt sie in ihrem Bann. Die Kunst, um die sich Ged sein ganzes Leben lang bemüht hatte, die Kraft seines jähen, starken Herzens, jetzt halfen sie ihm in seinem Ringen mit der Tür, in seinem Bemühen, sie zu schließen und die Welt zu heilen. Und dem Befehl seiner Stimme und dem Wirken seiner Hände gehorchend schoben sich die Felsen mühsam, schmerzlich zusammen, versuchten knirschend, wieder eins zu werden. Doch zur gleichen Zeit wurde das Licht, das von seinen Händen und von seinem Gesicht ausging, immer schwächer, es starb ab, und sein Stab aus Erlenholz begann zu erlöschen, bis nur noch ein ganz geringes Lichtlein verblieb, doch in diesem schwachen Licht sah Arren, daß die Tür fast geschlossen war.

Auch der Augenlose fühlte, wie die Felsen sich bewegten, fühlte, wie sie sich berührten: doch er fühlte gleichzeitig, wie Kunst und Macht geopfert wurden, wie sie gegeben wurden und erloschen, und er schrie plötzlich auf: »Nein!« und riß sich von Arren los. Er sprang nach vorne und umfing Ged mit blindem, eisernem Griff. Unter seinem Anprall wurde Ged zu Boden gerissen, und der Augenlose umschloß seine Kehle, um ihn zu erwürgen.

Arren riß Serriadhs Schwert in die Höhe, die Klinge zerschnitt pfeifend die Luft und traf den gebeugten Nacken unter dem verfilzten Haar.

Der Geist eines Lebenden hat Gewicht im Lande der Toten, und der Schatten seines Schwertes hatte eine scharfe Klinge. Das Schwert ging tief und durchschnitt Cobs Genick. Beim Licht des Schwertes spritzte schwarzes Blut in die Höhe.

Doch es hat wenig Zweck, einen Toten töten zu wollen, und Cob war ein Toter, schon seit vielen Jahren. Die Wunde schloß sich, ihr eigenes Blut aufsaugend. Der Blinde erhob sich zu seiner vollen Größe und tastete mit langen Armen nach Arren, sein Gesicht war von Wut und Haß verzerrt; es schien, als hätte er erst jetzt gemerkt, wer sein wahrer Rivale und Feind war.

So schrecklich war der Anblick dieses Mannes mit den leeren Augenhöhlen, der sich von seiner tödlichen Wunde erholte, der unfähig war zu sterben, viel schrecklicher, als es der Anblick jedes Sterbens sein konnte, daß Arren von einem unsäglichen Haß ergriffen wurde und wie ein Berserker auf Cob losging. Er hieb auf ihn ein, und Cob fiel mit gespaltenem Schädel auf die Erde, sein Gesicht von Blut überströmt, doch Arren hieb schon wieder auf ihn ein, bevor sich die Wunde schließen konnte, denn er wollte ihn erschlagen, bis er endgültig tot war…

Ged, der sich neben ihm mühsam auf seinen Knien aufgerichtet hatte, sprach nur ein einziges Wort.

Beim Klang seiner Stimme hielt Arren inne, als hätte jemand seinen Schwertarm gepackt. Auch der Blinde, der wieder dabei war, sich zu erheben, war erstarrt, Ged versuchte mühsam, auf die Füße zu kommen, bis er schwankend stand. Als er sich ganz aufgerichtet hatte, wandte er sich der Felswand zu.

»Damit seist du geschlossen!« sprach er mit klarer Stimme und schrieb mit seinem Stab in feurigen Linien eine Figur auf das Felsentor: die Rune Agnen, die Rune des Endens, die Straßen schließt und in Sargdeckel geritzt wird.

Zwischen den Felsen gab es keine Leere, keine Kluft mehr. Die Tür war geschlossen.

Der Boden des Trockenen Landes zu ihren Füßen erbebte, über den unbeweglichen, leblosen Himmel rollte der Donner und verhallte.