»Ich bin mir sicher, dass Jamie … äh … etwas tun kann«, sagte ich und hoffte, dass besagtes »Etwas« nicht allzu viel Gewalt beinhalten würde. Mir kam der ungebetene Gedanke, dass der zwergenhafte Diebesfänger problemlos in einen der leeren Vorratskörbe passen würde.
»Gut.« Ute McGillivray nickte bedächtig, ohne den Blick von den Männern abzuwenden. »Besser, wenn ich ihn nicht umbringe.« Ihr Blick wandte sich plötzlich mir zu, ihre Augen hellblau und leuchtend. »Aber ich werde es tun, wenn ich muss.«
Ich glaubte ihr.
»Ich verstehe«, sagte ich vorsichtig. »Nur – Verzeihung, aber selbst wenn dieser Mann Euren Sohn festgenommen hätte, hättet Ihr nicht zum Sheriff gehen und ihm erklären können …?«
Die Mädchen wechselten weitere Blicke. Diesmal war es Hilda, die das Wort ergriff.
»Nein, Ma’am. Wisst Ihr, es wäre ja nicht so schlimm gewesen, wenn der Diebesfänger uns an unserer Lagerstelle angetroffen hätte. Aber hier unten –« Sie zog die Augenbrauen hoch und nickte in Richtung der Wettkampfarena, wo ein dumpfer Aufprall und Beifallsgebrüll von einer erfolgreichen Anstrengung kündeten.
Das Problem lag anscheinend bei Hildas Verlobtem, einem gewissen Davey Morrison aus Hunter’s Point. Mr. Morrison war ein Farmer von einigem Besitz und Einfluss sowie ein Athlet, der die Kunst des Steinwurfs und des Baumstammweitwurfs beherrschte. Auch er hatte eine Familie: Eltern, Onkel, Tanten, Vettern und Cousinen, die alle aufrechte Charaktere waren und – so wurde mir erklärt – zu Vorurteilen neigten.
Wäre Manfred vor den Augen einer Menge, in der sich zahlreiche Verwandte Davey Morrisons befanden, von einem Diebesfänger ergriffen worden, hätte sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet, und der Skandal hätte die sofortige Auflösung von Hildas Verlobung nach sich gezogen – eine Vorstellung, die Ute McGillivray eindeutig mehr beunruhigte als der Gedanke, dem Diebesfänger die Kehle durchzuschneiden.
»Aber wenn ich ihn umbringe und mich jemand sieht, wäre das auch schlecht«, sagte sie unverblümt mit einer Handbewegung in Richtung der schütteren Baumreihe, die uns von der Wettkampfarena abschirmte. »Das wäre den Morrisons auch nicht recht.«
»Wahrscheinlich nicht«, murmelte ich und fragte mich, ob Davey Morrison die geringste Ahnung hatte, worauf er sich einließ. »Aber Ihr –«
»Ich werde meine Töchter gut verheiraten«, sagte sie bestimmt und nickte mehrmals zur Bekräftigung. »Ich werde gute Männer für sie finden, große, starke Männer mit Land und Geld.« Sie legte einen Arm um Sengas Schultern und drückte sie fest. »Nicht wahr, Schätzchen?«
»Ja, Mama«, murmelte Senga und legte Kopf samt der ordentlichen Haube voller Zuneigung an Mrs. McGillivrays ausladende Brust.
Irgendetwas ging bei den Männern vor sich; dem Diebesfänger waren die Hände losgebunden worden, und er stand da und rieb sich die Handgelenke. Seine Miene war nicht länger trotzig, sondern er lauschte mit argwöhnischem Gesicht auf Jamies Worte. Er blickte in unsere Richtung, dann zu Robin McGillivray, der etwas zu ihm sagte und es mit heftigem Kopfnicken unterstrich. Die Kiefer des Diebesfängers arbeiteten, als kaute er auf einer Idee herum.
»Also seid Ihr heute Morgen hierher gekommen, um nach passenden Kandidaten Ausschau zu halten? Ja, ich verstehe.«
Jamie langte in seinen Sporran und zog aus der Felltasche etwas hervor, das er dem Diebesfänger unter die Nase hielt, als forderte er ihn auf, daran zu riechen. Ich konnte von hier aus nicht erkennen, was es war, doch die Miene des Diebesfängers veränderte sich plötzlich von Argwohn zu angewidertem Erschrecken.
»Ja, deswegen.« Mrs. McGillivray sah nicht länger zu den Männern; sie tätschelte Senga und ließ sie dann los. »Wir gehen jetzt nach Salem, wo meine Familie lebt. Vielleicht finden wir da auch einen guten Mann.«
Myers war jetzt einen Schritt von der Konfrontation zurückgetreten und ließ entspannt die Schultern hängen. Er schob einen Finger unter die Kante seines Lendenschurzes, kratzte sich herzhaft an den Pobacken und sah sich um. Offensichtlich interessierte er sich nicht länger für die Vorgänge. Als er mich in seine Richtung blicken sah, kam er zwischen den Schösslingen zurück geschlendert.
»Kein Grund mehr zur Sorge, Ma’am«, versicherte er Mrs. McGillivray. »Ich wusste, dass Jamie Roy es in Ordnung bringen würde, und so ist es auch. Euer Sohn ist gerettet.«
»Ja?«, sagte sie. Sie blickte skeptisch zu den Baumschösslingen hinüber, aber es stimmte; die Haltung der Männer hatte sich entspannt, und Jamie reichte dem Diebesfänger gerade seine Handschellen wieder. Ich sah die entschiedene Abneigung, mit der er sie anfasste. Er hatte in Ardsmuir in Eisen gelegen.
»Gott sei Dank«, sagte Mrs. McGillivray und seufzte heftig. Ihre massige Gestalt schien plötzlich zu schrumpfen, als ihr der Atem entfuhr.
Jetzt entfernte sich der Diebesfänger und bewegte sich in Richtung des Baches von uns fort. Der Klang der Eisen, die an seinem Gürtel schwangen, erreichte uns als leises, metallisches Klirren, sofern wir ihn zwischen den Aufschreien der Menge hören konnten. Jamie und Rob McGillivray standen dicht beieinander und unterhielten sich, während Fergus dem Diebesfänger mit leicht gerunzelter Stirn hinterherblickte.
»Was hat Jamie denn zu ihm gesagt?«, fragte ich Myers.
»Oh. Nun ja.« Der Bergläufer grinste mich breit an und entblößte seine Zahnlücken. »Jamie Roy hat ihm todernst erzählt, dass es wirklich ein Glück für den Diebesfänger – er heißt übrigens Boble, Harvey Boble – gewesen sei, dass wir genau zur rechten Zeit auf Euch gestoßen sind. Er hat ihm zu verstehen gegeben, dass ansonsten diese Dame hier –« er verneigte sich vor Ute, »– ihn wahrscheinlich in ihrem Wagen mit nach Hause genommen und ihn insgeheim wie ein Schwein geschlachtet hätte.«
Myers rieb sich mit dem Handrücken unter seiner von roten Adern durchzogenen Nase entlang und gluckste leise in seinen Bart hinein.
»Boble hat gesagt, das glaube er nicht, und dass sie doch nur versucht hätte, ihm mit ihrem Messer Angst einzujagen. Aber dann hat sich Jamie Roy dicht über ihn gebeugt, ganz im Vertrauen, und gesagt, dasselbe hätte er wahrscheinlich auch gedacht – wenn er nicht schon so viel von Frau McGillivrays Ruhm als Wurstköchin gehört hätte und die Ehre gehabt hätte, etwas davon zum Frühstück serviert zu bekommen. Da ist Boble langsam blass um die Nase geworden, und als Jamie Roy dann ein Stück Wurst hervorgezogen und es ihm gezeigt hat –«
»Oje«, sagte ich, denn ich konnte mich lebhaft daran erinnern, wie diese Wurst roch. Ich hatte sie tags zuvor bei einem Händler auf dem Berg gekauft und dann feststellen müssen, dass sie nicht fachgerecht gepökelt worden war und nach dem Anschneiden derart nach fauligem Blut roch, dass keiner von uns sie beim Abendessen angerührt hatte. Jamie hatte den Rest der anstößigen Wurst in sein Taschentuch gewickelt und in seinen Sporran gesteckt, um entweder sein Geld zurückzuverlangen oder ihn dem Händler in den Schlund zu stopfen. »Ich verstehe.«
Myers nickte und wandte sich an Ute.
»Und Euer Mann, Ma’am – die gute Seele, Rob McGillivray ist wirklich der geborene Lügner –, hat zu allem Ja und Amen gesagt, mit dem Kopf genickt und gestöhnt, wie viel Arbeit es ist, genug Fleisch für Euch zu schießen.«
Die Mädchen kicherten.
»Das könnte Pa gar nicht«, sagte Inga leise zu mir. »Er kann ja noch nicht einmal einem Huhn den Hals umdrehen.«
Myers zog gutmütig die Schultern hoch, während Jamie und Fergus jetzt durch das feuchte Gras auf uns zukamen.
»Also hat Jamie Boble sein Wort als Ehrenmann gegeben, ihn vor Euch zu beschützen, und Boble hat sein Wort als … nun ja, er hat gesagt, dass er sich von Manfred fern halten wird.«