Выбрать главу

Jedoch nur, wenn sie keine weiteren Kinder bekam, deren Hilflosigkeit sie hier festhielt.

»Guten Morgen, Ma’am.« Ein kleiner Mann in den mittleren Jahren stand vor mir, der erste Patient dieses Morgens. Auf seinen Wangen stand der Bartwuchs einer Woche zwar fröhlich in alle Himmelsrichtungen ab, doch er selbst war ein wenig bleich um die Kiemen. Sein Gesicht war klamm und seine blutunterlaufenen Augen so wund von Rauch und Whisky, dass ich sein Leiden sofort erkannte. Der gemeine Kater war eine weit verbreitete Seuche in meiner Morgensprechstunde.

»Mich kneift’s ein wenig im Bauch«, sagte er und schluckte unglücklich. »Habt Ihr vielleicht etwas dagegen?«

»Genau das Richtige«, versicherte ich ihm und ergriff einen Becher. »Rohes Ei mit einer Prise Ipecacuana. Davon könnt Ihr Euch wunderbar übergeben, und dann seid Ihr ein neuer Mensch.«

Die Sprechstunde wurde am Rand der großen Lichtung am Fuß des Berges abgehalten, auf der nachts das große Feuer des gathering brannte. Die feuchte Luft roch nach Ruß und dem saueren Geruch nasser Asche, doch die geschwärzte Erde – mindestens drei Meter im Durchmesser – verschwand bereits unter einem Gewirr aus frischen Zweigen und Zündholz. Wenn der Nieselregen anhielt, würden sie es heute Abend schwer haben, es anzufachen, dachte ich.

Nachdem der Herr mit dem Kater versorgt war, folgte eine kurze Pause, die es mir ermöglichte, meine Aufmerksamkeit Murray MacLeod zu widmen, der seine Praxis ein Stückchen weiter weg eingerichtet hatte.

Ich sah, dass Murray schon früh begonnen hatte; der Boden zu seinen Füßen war dunkel, und die verstreute Asche war mit Blut durchtränkt und glitschig. Auch er hatte einen frühen Patienten vor sich – einen kräftigen Herrn, dessen rote, aufgequollene Nase und Schwabbelwangen von einem Leben der Alkoholexzesse zeugten. Trotz des Regens hatte er den Mann bis aufs Hemd entkleidet, ihm den Ärmel hochgekrempelt und den Arm abgebunden. Die Schale, die das Blut aufnehmen sollte, ruhte auf den Knien des Patienten.

Ich stand gute drei Meter von dem Hocker entfernt, auf dem Murray operierte, doch sogar von hier aus konnte ich die Augen des Mannes sehen, die selbst im gedämpften Licht des Morgens so gelb waren wie Senf.

»Leberkrank«, sagte ich zu Brianna, allerdings ohne mir sonderliche Mühe zu geben, meine Stimme zu senken. »Man kann die Gelbsucht ja von hier aus sehen, nicht wahr?«

»Vergällte Körpersäfte«, sagte MacLeod laut und ließ seine Aderlassklinge aufschnappen. »Ein Überschuss an Körpersäften, das ist sonnenklar.« Klein, dunkel und akkurat gekleidet, war Murray zwar keine beeindruckende Persönlichkeit, vertrat seine Meinung aber mit umso mehr Nachdruck.

»Zirrhose durch Alkohol«, sagte ich. Ich trat näher und betrachtete den Patienten kühl.

»Eine Einkeilung der Galle, verursacht durch ein Übermaß an Phlegma!« Murray funkelte mich an, denn er war wohl der Meinung, dass ich vorhatte, ihm die Show zu stehlen, wenn nicht gar den Patienten.

Ich ignorierte ihn und bückte mich, um den Patienten zu untersuchen, dessen Reaktion eine alarmierte Miene war.

»Ihr habt eine harte Masse direkt unter den Rippen, nicht wahr?«, sagte ich freundlich. »Euer Urin ist dunkel und Eure Exkremente schwarz und blutig, habe ich Recht?«

Der Mann nickte mit offenem Mund. Allmählich erregten wir Aufmerksamkeit.

»Mu-tterrr.« Brianna stand hinter mir. Sie nickte Murray zu und bückte sich, um mir ins Ohr zu murmeln. »Was kannst du gegen eine Zirrhose tun? Nichts!«

Ich hielt inne und biss mir auf die Lippe. Sie hatte Recht. Ich war so sehr darauf versessen, mit meiner Diagnose anzugeben – und Murray daran zu hindern, den Mann mit seiner fleckigen, rostig aussehenden Klinge zu malträtieren –, dass ich ganz vergessen hatte, dass ich keine Alternative bieten konnte.

Der Patient blickte sichtlich nervös zwischen uns hin und her. Eine Menschentraube begann sich um uns zu sammeln. Ich riss mich zusammen, lächelte ihn an und nickte Murray zu.

»Mr. MacLeod hat es richtig erkannt«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Eine Erkrankung der Leber – verursacht durch einen Überschuss an Körpersäften.« Wahrscheinlich war es ja gar nicht so falsch, Alkohol als Körpersaft zu betrachten; die Leute, die gestern Abend Jamies Whisky getrunken hatten, hatten jedenfalls den Eindruck gemacht, dass ihr Leben davon abhing.

Murrays Gesicht war argwöhnisch und angespannt gewesen, jetzt verlor es vor Erstaunen jeden Ausdruck – ein ausgesprochen komischer Effekt. Brianna nutzte diesen Augenblick und stellte sich vor mich.

»Es gibt da einen Zauber«, sagte sie und lächelte ihm charmant zu. »Er … äh … schärft die Klinge und erleichtert den Fluss der Körpersäfte. Ich werde ihn Euch zeigen.« Bevor er die Klinge fester umfassen konnte, schnappte Brianna sie ihm aus der Hand und wandte sich unserem kleinen Feuer zu, über dem ein Topf mit Wasser dampfend an einem Dreifuß hing.

»Im Namen Michaels, des Schwertträgers und Seelenretters«, intonierte sie. Ich vertraute darauf, dass es keine Blasphemie war, den Namen des heiligen Michael leichtfertig in den Mund zu nehmen – und falls doch, dass Michael angesichts des guten Zwecks nichts dagegen hatte. Die Männer, die dabei waren, das große Feuer aufzuschichten, waren stehen geblieben, um uns zuzusehen, genau wie eine Reihe von Leuten, die die Sprechstunde aufsuchen wollten.

Sie hob die Aderlassklinge und machte langsam ein großes Kreuzzeichen damit, wobei sie sich nach allen Seiten hin umsah, um sich zu vergewissern, dass ihr die Aufmerksamkeit sämtlicher Zuschauer sicher war. So war es; sie waren völlig gebannt. Mir ging es nicht anders, denn ich fragte mich, was in aller Welt sie vorhatte. So, wie sie hier die meisten Gaffer überragte, die blauen Augen konzentriert zusammengekniffen, erinnerte sie mich sehr an Jamie bei einer seiner gewagten Vorstellungen. Ich konnte nur hoffen, dass sie genauso überzeugend war wie er.

»Segne diese Klinge, auf dass sie deinen Diener heile«, sagte sie. Dabei wandte sie die Augen himmelwärts und hielt die Aderlassklinge über das Feuer wie ein Priester die Hostie bei der Wandlung. Im Wasser stiegen Bläschen auf, doch es kochte noch nicht ganz.

»Segne ihre Schneide, auf dass sie den Aderlass vollziehe, auf dass sie Blut vergieße, auf dass … äh … sie das Gift aus dem Körper deines demütigen Bittstellers vertreibe. Segne die Klinge, segne die Klinge, segne die Klinge in der Hand deines untertänigen Dieners … Dank sei Gott für das glänzende Metall …« Dank sei Gott für die vielen Wiederholungen in gälischen Gebeten, dachte ich zynisch.

Dank sei Gott, das Wasser kochte. Sie senkte die kurze, gebogene Klinge auf die Wasseroberfläche, funkelte die Menge bedeutungsvoll an und deklamierte: »Segne diese Klinge mit der reinigenden Kraft des Wassers aus der Seite unseres Herrn Jesus!«

Sie tauchte das Messer ins Wasser und hielt es dort, bis der Dampf, der an seinem Holzgriff aufstieg, ihr die Finger rötete. Dann zog sie es aus dem Wasser und nahm es hastig in die andere Hand. Sie hielt es hoch, während sie in ihrem Rücken unauffällig mit der verbrühten Hand wedelte.

»Möge der Segen des heiligen Michael, der uns gegen die Dämonen verteidigt, auf dieser Klinge und der Hand ihres Benutzers ruhen, zum Wohle des Körpers, zum Wohle der Seele. Amen!«

Sie trat vor und überreichte Murray feierlich seine Klinge, mit dem Griff zuerst. Murray, der kein Dummkopf war, warf mir einen Blick zu, in dem sich der blanke Argwohn mit einer widerstrebenden Hochachtung vor den theatralischen Fähigkeiten meiner Tochter vermischte.

»Ihr dürft die Klinge nicht berühren«, sagte ich und lächelte huldvoll. »Es würde den Zauber brechen. Oh – und Ihr müsst den Zauber jedes Mal wiederholen, wenn Ihr die Klinge benutzt. Und das Wasser muss dabei kochen, klar?«

»Mmpfm«, sagte er, fasste die Aderlassklinge jedoch sorgfältig am Griff an. Mit einem kurzen, an Brianna gerichteten Kopfnicken wandte er sich seinem Patienten zu und ich mich dem meinen – einem jungen Mädchen, das Nesselfieber hatte. Brianna folgte mir. Dabei wischte sie sich die Hände an ihrem Rock ab und machte ein selbstzufriedenes Gesicht. Hinter mir hörte ich das leise Grunzen des Patienten und dann ein metallisches Prasseln, als das Blut in die Schale rann.