»Genauso ist es.« Er seufzte, entspannte sich aber etwas, als er merkte, dass ich ihm nicht weh tat. »Ich wohne sogar in Hillsborough. Und wenn ich brav zu Hause geblieben wäre – wie meine liebe Frau mich flehentlich gebeten hat –«, er lächelte reumütig, »dann wäre ich ohne Zweifel ungeschoren davon gekommen.«
»Aber Ihr wart zu neugierig.« Mir war etwas aufgefallen, als er lächelte, und ich drückte sanft mit dem Daumen auf die verfärbte Stelle an seiner Wange. »Jemand hat Euch hier heftig ins Gesicht geschlagen. Sind Eure Zähne dabei beschädigt worden?«
Er sah ein wenig erschrocken aus.
»Aye, Ma’am. Aber daran könnt Ihr nichts ändern.« Er zog die Oberlippe hoch und gab eine Lücke preis, in der zwei Zähne fehlten. Der eine vordere Backenzahn war sauber ausgeschlagen worden, aber der andere war an der Wurzel abgebrochen; ich konnte die Zickzacklinie aus gelbem Zahnschmelz sehen, die sich glänzend von seinem dunkelroten Zahnfleisch abhob.
Brianna, die an diesem Punkt mit der Schiene eintraf, machte ein leises Würgegeräusch. Mr. Goodwins restliche Zähne waren zwar grundlegend gesund, doch sie waren dick mit gelbem Zahnstein verkrustet und mit braunen Kautabakflecken übersät.
»Oh, ich glaube schon, dass ich Euch da ein bisschen helfen kann«, versicherte ich ihm, ohne Brianna zu beachten. »An dieser Stelle schmerzt Euch das Kauen, nicht wahr? Ich kann die Lücke nicht schließen, aber ich kann Euch die Reste des abgebrochenen Zahns ziehen und das Zahnfleisch behandeln, um einer Infektion vorzubeugen. Aber wer hat Euch denn so verprügelt?«
Er zuckte mit den Achseln und beobachtete mit angespanntem Interesse, wie ich mir die glänzende Zange und das Dentistenskalpell mit der geraden Klinge zurechtlegte.
»Um ehrlich zu sein, Ma’am, das kann ich nicht genau sagen. Ich war nur in die Stadt gegangen, um das Gericht aufzusuchen. Ich habe vor, Klage gegen jemanden in Virginia zu erheben«, erklärte er und runzelte bei dem Gedanken daran die Stirn. »Dazu musste ich eine Reihe von Dokumenten einreichen. Allerdings war mir das nicht vergönnt, denn ich fand die Straßen vor dem Gericht völlig mit Menschen verstopft, viele davon mit Knüppeln, Peitschen und ähnlichen Gegenständen bewaffnet.«
Angesichts des Pöbels hatte er wieder gehen wollen, doch just in dieser Minute hatte jemand einen Stein in ein Fenster des Gerichtshauses geworfen. Das Zersplittern des Glases wirkte wie ein Signal auf die Menge, und sie waren vorwärts gestürzt und hatten die Türen eingerannt und dabei Drohungen gebrüllt.
»Da habe ich angefangen, mich um meinen Freund Mr. Fanning zu sorgen, denn ich wusste, dass er sich in dem Gebäude befand.«
»Fanning … Ihr meint Edward Fanning?« Ich hörte ihm zwar nur mit halbem Ohr zu, während ich mir die beste Vorgehensweise für die Zahnextraktion zurechtlegte, doch diesen Namen kannte ich. Farquard Campbell hatte Fanning erwähnt, als er Jamie die unappetitlichen Einzelheiten der Unruhen vor ein paar Jahren erzählte, die auf den Briefmarkenerlass gefolgt waren. Fanning war damals Postbeauftragter in der Kolonie gewesen, ein lukratives Amt, dessen Erwerb ihn sicher teuer zu stehen gekommen war und das ihn noch mehr gekostet hatte, als man ihn zum Rücktritt gezwungen hatte. Offensichtlich hatte er sich in den darauf folgenden fünf Jahren weiter unbeliebt gemacht.
Mr. Goodwin presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, und seine Missbilligung war ihm anzusehen.
»Ja, Ma’am, genau dieser. Und ganz gleich, welche skandalösen Gerüchte die Leute über ihn verbreiten, er ist schon lange mit mir und den meinen befreundet – als ich also hörte, wie man über ihn schimpfte und ihm gar mit dem Tod drohte, stand für mich fest, dass ich ihm zur Hilfe eilen musste.«
In diesem tapferen Ansinnen war Goodwin allerdings alles andere als erfolgreich gewesen.
»Ich habe versucht, mir einen Weg durch die Menge zu bahnen«, sagte er, den Blick fest auf meine Hände geheftet, während ich seinen Arm längs der Schiene positionierte und den Leinenverband darunter drapierte. »Aber ich bin nur sehr schlecht vorangekommen und war kaum am Fuß der Treppe angelangt, als drinnen ein lauter Schrei ertönte und die Menge zurückwich und mich mitriss.«
Während er sich bemühte, auf den Beinen zu bleiben, hatte Mr. Goodwin entsetzt mitangesehen, wie Edward Fanning persönlich aus der Tür des Gerichtshauses geschleppt, niedergeschlagen und dann mit den Füßen zuerst die Treppe hinuntergeschleift wurde, wobei sein Kopf gegen jede einzelne Stufe prallte.
»Es war deutlich zu hören«, sagte er schaudernd. »Ich konnte es trotz des Geschreis hören, ein Poltern, wie wenn man eine Melone die Treppe hinunterrollt.«
»Oje«, murmelte ich. »Aber er hat doch überlebt, oder? Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass jemand in Hillsborough ums Leben gekommen ist. Entspannt bitte Euren Arm und holt tief Luft.«
Mr. Goodwin holte tief Luft, nur um gleich darauf laut loszuprusten und heftig aufzukeuchen, als ich seinem Arm eine Drehung versetzte, um die eingeklemmte Sehne zu befreien und den Arm korrekt einzurenken. Er wurde leichenblass, und auf seinen Hängebacken bildete sich ein Schweißfilm, doch er kniff ein paar Mal die Augen zu und fasste sich tapfer wieder.
»Das hat er aber nicht den Unruhestiftern zu verdanken«, sagte er. »Ihnen fiel nur ein, dass sie sich mit dem obersten Richter noch besser amüsieren könnten, und so haben sie Fanning bewusstlos im Staub liegen lassen und sind in das Gerichtsgebäude gerannt. Ein Freund und ich haben uns nach Kräften bemüht, den armen Mann aufzuheben, und wir wollten ihn gerade in Sicherheit bringen, als uns das Gewühl von hinten ereilte und der Pöbel über uns hergefallen ist. Daher habe ich das –« Er hob seinen frisch geschienten Arm. »Und das.« Er berührte die Narbenwulst an seinem Auge und den zerschmetterten Zahn.
Er sah mich mit finster gerunzelter Stirn an.
»Glaubt mir, Ma’am, ich hoffe, dass sich der eine oder andere hier dazu bewegen lässt, die Namen der Aufrührer zu verraten, damit sie die gerechte Strafe für ihre Barbarei erleiden – aber wenn ich den Kerl, der mich geschlagen hat, hier zu Gesicht bekäme, würde ich ihn nur ungern der Rechtsprechung des Gouverneurs überlassen. Wirklich nur ungern!«
Er ballte langsam die Fäuste, und er funkelte mich an, als vermutete er, dass ich den fraglichen Übeltäter unter meinem Tisch versteckt hätte. Brianna machte hinter mir eine nervöse Bewegung. Mit Sicherheit dachte sie genau wie ich an Hobson und Fowles. Abel MacLennan war in meinen Augen ein unschuldiger Zuschauer, ganz gleich, was er in Hillsborough getan haben mochte.
Ich murmelte eine mitfühlende Beiläufigkeit und brachte die Flasche mit dem Rohwhisky zum Vorschein, den ich zur Desinfektion und zur rudimentären Betäubung benutzte. Dieser Anblick schien Mr. Goodwin sehr zu ermutigen.
»Nur einen Schluck, zur … äh … Stärkung Eurer Nerven«, sagte ich und schenkte ihm einen kräftigen Schluck in einen Becher ein. Und zur Desinfektion des unangenehmen Klimas in seinem Mund, dachte ich. »Behaltet ihn einen Augenblick im Mund, bevor Ihr schluckt – er wird helfen, Euren Zahn zu betäuben.«
Ich wandte mich an Brianna, während Mr. Goodwin gehorsam einen großen Schluck Whisky nahm und dann mit vollem Mund dasaß, die Wangen aufgebläht wie ein Frosch kurz vor dem Losschmettern. Sie schien mir ein wenig blass zu sein, doch ich wusste nicht, ob ihr Mr. Goodwins Geschichte oder der Anblick seiner Zähne so nahe gegangen war.
»Ich glaube, ich brauche dich heute Morgen nicht mehr, Schatz«, sagte ich und tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Wie wär’s, wenn du nachsiehst, ob Jocasta alles für die Trauungen heute Abend vorbereitet hat?«
»Bist du sicher, Mama?« Noch während sie das fragte, band sie ihre blutbefleckte Schürze los und rollte sie zu einem Ball zusammen. Als ich ihrem Blick in Richtung der Wegmündung folgte, entdeckte ich Roger, der hinter einem Busch lauerte, die Augen fest auf sie gerichtet. Ich sah, wie sein Gesicht aufleuchtete, als sie sich ihm zuwandte, und dieser Anblick wärmte mir das Herz. Ja, mit ihnen würde alles gut werden.