»Dieser Grabstein in Schottland mit dem Namen von Pa ist eine Attrappe?« Ihre Stimme hob sich leicht vor Staunen. »Papa – Frank – hat ihn durch den Reverend anfertigen und dort auf dem Kirchhof von St. Kilda aufstellen lassen – aber Pa ist nicht … wird nicht, meine ich – wird nicht darunter liegen?«
»Ja, hat er, und nein, wird er nicht«, sagte Roger, wobei er sorgsam im Sinn behielt, wen er jeweils mit »er« meinte. »Er – Frank Randall – hat den Stein als eine Art Anerkennung gedacht; etwas, das er deinem Vater schuldete – deinem anderen Vater, meine ich; Jamie.«
Briannas Gesicht war fleckig vor Kälte; jetzt, wo die Hitze des Liebesaktes nachließ, liefen ihre Nasen- und Ohrenspitzen rot an.
»Aber er konnte doch gar nicht wissen, ob wir ihn je finden würden, Mama und ich!«
»Ich weiß ja auch gar nicht, ob er wollte, dass ihr ihn findet«, sagte Roger. »Vielleicht wusste er es ja selbst nicht. Aber er hatte das Gefühl, diese Geste machen zu müssen. Außerdem«, sagte er, denn ihm kam ein Gedanke, »hatte Claire nicht gesagt, dass er kurz vor seinem Tod vorhatte, mit dir nach England zu fahren? Vielleicht hatte er ja vor, dich dort hinzuführen, dafür zu sorgen, dass du den Stein findest – und dann dir und Claire alles Weitere zu überlassen.«
Sie saß reglos da und verdaute diese Idee.
»Dann hat er es gewusst«, sagte sie langsam. »Dass er – dass Jamie Fraser Culloden überlebt hat. Er hat es gewusst… aber nichts gesagt?«
»Ich glaube nicht, dass man ihm das vorwerfen kann«, sagte Roger sanft. »Es war nicht nur egoistisch, weißt du.«
»Ach nein?« Sie war zwar immer noch schockiert, aber noch nicht wütend. Er konnte sehen, wie sie das Gehörte in Gedanken durchkaute, versuchte, es von allen Seiten zu betrachten, bevor sie entschied, was sie denken und fühlen sollte.
»Nein. Überleg doch einmal«, drängte er sie. Die Tanne in seinem Rücken war kalt, die Rinde des umgestürzten Baumstammes feucht unter seiner Hand. »Er hat deine Mutter geliebt, aye, und wollte nicht das Risiko eingehen, sie erneut zu verlieren. Das mag ja egoistisch sein, aber er war schließlich als Erster mit ihr verheiratet; man kann ihm nicht vorwerfen, dass er sie nicht an einen anderen abtreten wollte. Aber das ist es nicht allein.«
»Was denn noch?« Ihre Stimme war ruhig, die blauen Augen geradeaus gerichtet und ungerührt.
»Na ja – was, wenn er es ihr gesagt hätte? Schließlich hatte sie dich, ein kleines Kind – und vergiss nicht, keiner von ihnen hätte gedacht, dass du die Steine ebenfalls durchqueren könntest.«
Ihre Augen waren nach wie vor geradeaus gerichtet, aber erneut von Bestürzung getrübt.
»Sie hätte wählen müssen«, sagte sie leise und heftete den Blick auf ihn. »Bei uns zu bleiben – oder zu ihm zu gehen. Zu Jamie.«
»Dich zurückzulassen«, sagte Roger nickend, »oder zu bleiben und ihr Leben zu leben, obwohl sie wusste, dass Jamie noch lebte, vielleicht erreichbar war – und doch außer Reichweite. Ihre Gelübde zu brechen – diesmal vorsätzlich – und ihr Kind im Stich zu lassen … oder mit der Sehnsucht zu leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das besonders gut für euer Familienleben gewesen wäre.«
»Ich verstehe.« Sie seufzte, und ihr Atemwölkchen verschwand wie ein Geist in der kalten Luft.
»Vielleicht hatte Frank Angst davor, ihr diese Wahl zu lassen«, sagte Roger, »aber er hat ihr – und dir – den Schmerz erspart, sie treffen zu müssen. Zumindest damals.«
Sie zog die Lippen ein, schob sie vor, lockerte sie wieder.
»Ich frage mich, wie sie sich entschieden hätte, wenn er es ihr erzählt hätte«, sagte sie leicht verloren. Er legte seine Hand auf die ihre und drückte sie sanft.
»Sie wäre geblieben«, sagte er mit Bestimmtheit. »Sie hatte sich doch schon einmal so entschieden, nicht wahr? Jamie hat sie zurück geschickt, um dich in Sicherheit zu wissen, und sie ist gegangen. Sie hätte gewusst, dass das sein Wunsch war, und sie wäre geblieben – so lange du sie brauchtest. Und selbst als sie dann zurück gegangen ist, hätte sie es nicht getan, wenn du nicht darauf bestanden hättest. Das weißt du doch selbst, oder?«
Ihr Gesicht entspannte sich ein wenig, als sie sich eingestand, dass es stimmte.
»Du hast sicher Recht. Aber trotzdem … zu wissen, dass er am Leben war, und nicht zu versuchen, ihn zu erreichen …«
Er biss sich von innen auf die Wange, um die Frage nicht laut auszusprechen. Und wenn es deine Entscheidung wäre, Brianna? Das Kind oder ich? Denn wie konnte ein Mann eine Frau, die er liebte, zu einer solchen Entscheidung zwingen, und sei es auch nur theoretisch? Sei es um ihrer selbst oder um seinetwillen … er würde sie nicht fragen.
»Aber er hat trotzdem den Grabstein dort hin gestellt. Warum hat er das getan?« Die Furche zwischen ihren Augenbrauen war immer noch tief, aber nicht länger steil; sie verzog sich, je mehr Briannas Unruhe wuchs.
Er hatte Frank Randall nicht gekannt, empfand aber ein gewisses Mitgefühl mit dem Mann – und mehr als nur die Sympathie eines Außenstehenden. Bis jetzt war ihm gar nicht richtig klar gewesen, warum er ihr jetzt von diesem Brief erzählen musste – vor der Hochzeit –, doch seine eigenen Beweggründe wurden mit jeder Sekunde deutlicher – und verstörender.
»Wie gesagt, ich glaube, er hat aus einem Gefühl der Verpflichtung gehandelt. Nicht nur Jamie oder deiner Mutter gegenüber – sondern auch dir. Wenn es –«, setzte er an, dann brach er ab und drückte ihr fest die Hand. »Hör mal. Sieh dir doch Jemmy an. Er gehört zu mir, genau wie du – und daran wird sich auch nichts ändern.« Er holte tief Luft. »Aber wenn ich der andere Mann wäre …«
»Wenn du Stephen Bonnet wärst«, sagte sie, und ihre kältebleichen Lippen wurden schmal.
»Wenn ich Bonnet wäre«, stimmte er ihr zu, und leises Unbehagen regte sich bei dieser Vorstellung. »Wenn ich wüsste, dass das Kind von mir ist und doch von einem Fremden aufgezogen wird – würde ich mir nicht wünschen, dass das Kind eines Tages die Wahrheit erfährt?«
Ihre Finger verkrampften sich in den seinen, und ihre Augen wurden dunkel.
»Das darfst du ihm nicht sagen! Roger, um Gottes willen, versprich mir, dass du ihm das nie erzählst!«
Er starrte sie erstaunt an. Ihre Nägel gruben sich schmerzhaft in seine Hand, doch er machte keine Anstalten, sich zu befreien.
»Bonnet? Himmel, nein! Wenn ich ihn noch einmal zu Gesicht bekomme, werde ich keine Zeit mit Reden vertun!«
»Nicht Bonnet.« Sie erschauerte, doch er konnte nicht sagen, ob vor Kälte oder vor Grauen. »Gott, halte dich fern von diesem Mann! Nein, ich meine Jemmy.« Sie schluckte angestrengt und ergriff seine beiden Hände. »Versprich mir das, Roger. Wenn du mich liebst, versprich mir, dass du Jemmy nie von Bonnet erzählst, niemals. Selbst wenn mir etwas zustößt …«
»Dir wird nichts zustoßen!«
Sie sah ihn an, auf ihren Lippen ein kleines, ironisches Lächeln.
»Ich bin auch nicht für die Abstinenz geschaffen. Es könnte passieren.« Sie schluckte. »Und wenn es geschieht … versprich es mir, Roger.«
»Aye, ich verspreche es dir«, sagte er widerstrebend. »Wenn du dir da sicher bist.«
»Ganz sicher!«
»Aber hättest du dann lieber nicht von ihm erfahren – von Jamie?«
Bei diesen Worten biss sie sich so fest auf die Lippe, dass ihre Zähne eine violette Spur in der weichen, hellroten Haut hinterließen.
»Jamie Fraser ist nicht Stephen Bonnet!«
»Zugegeben«, sagte er trocken. »Aber ich wollte sowieso nicht von Jemmy sprechen. Ich habe nur gemeint, dass ich an Bonnets Stelle den Wunsch hätte, es zu erfahren, und –«
»Er weiß es doch.« Sie entzog ihm abrupt ihre Hand, stand auf und wandte sich ab.
»Was?« Er holte sie mit zwei Schritten ein, packte sie an der Schulter und drehte sie zu sich um. Sie zuckte zusammen, und er lockerte seinen Griff. Er holte tief Luft und kämpfte darum, einen ruhigen Tonfall zu behalten. »Bonnet weiß von Jemmy?«