Momentan schienen sie sich jedoch alle sicher in der Vertikalen zu befinden und machten auch den Eindruck, als würde dies vorerst so bleiben. Ich wandte mich wieder zu Hayes um und wischte mir die schmutzigen Hände an meiner Schürze ab.
»Nun … lasst mich einen Blick auf Euren Metallsplitter werfen, und dann sehe ich, was ich tun kann.«
Ohne Zögern legte Hayes Barett, Rock, Weste, Halsbinde und Hemd sowie die silberne Halsberge ab, die ihn wie ein Rundkragen schützte und ein Zeichen seines Amtes war. Er reichte die Kleidungsstücke an seinen Adjutanten weiter, der ihn begleitete, und setzte sich auf meinen Hocker. Weder seine teilweise Nacktheit noch die Gänsehaut, die sich über seinen Rücken und seine Schultern zog, noch das Gemurmel ehrfürchtiger Überraschung, das die wartenden Sklaven bei seinem Anblick ausstießen, konnten seiner stillen Würde etwas anhaben.
Sein Oberkörper war beinahe haarlos und hatte die bleiche Talgfarbe, die die menschliche Haut annimmt, wenn sie jahrelang der Sonne nicht ausgesetzt wird – ein scharfer Kontrast zu dem wettergegerbten Braun seiner Hände, seines Gesichtes und seiner Knie. Doch das war nicht der einzige Kontrast.
Über die milchig weiße Haut seiner linken Brust zog sich ein gewaltiger, bläulich-schwarzer Fleck, der ihn von den Rippen bis zum Schlüsselbein bedeckte. Und seine rechte Brustwarze war zwar ganz normal bräunlichrosa, doch die linke war fast erschreckend weiß. Ich kniff bei dem Anblick die Augen zu und hörte ein leises »A Dhia!« hinter mir.
»A Dhia, tha e ’tionndadh dubh«, sagte eine andere Stimme etwas lauter. Mein Gott, er wird schwarz.
Hayes schien nichts davon zu hören, sondern lehnte sich zurück, damit ich ihn untersuchen konnte. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass die dunkle Verfärbung keine natürliche Pigmentierung war, sondern eine gesprenkelte Fläche, die durch unzählige, kleine, dunkle Körnchen gebildet wurde, die in die Haut eingebettet waren. Die Brustwarze war vollständig verschwunden und einer leuchtend weißen Narbe gewichen, die so groß war wie ein Sixpencestück.
»Schießpulver«, sagte ich und fuhr leicht mit den Fingerspitzen über die verfärbte Fläche. Ich hatte so etwas schon öfter gesehen, hervorgerufen durch Fehlzündungen oder Schüsse aus nächster Nähe, wobei Pulverpartikel – und oft auch Fasern des Ladepfropfens oder winzige Stoff-Fetzen – in die tieferen Hautschichten gejagt wurden. Und genau, meine Fingerspitzen spürten kleine Unregelmäßigkeiten unter der Haut, dunkle Fragmente des Kleidungsstückes, das er getragen hatte, als der Schuss fiel.
»Habt Ihr die Kugel noch im Körper?« Ich konnte sehen, wo sie eingedrungen war; ich berührte den weißen Fleck und versuchte, mir vorzustellen, welchen Weg das Geschoss danach genommen haben konnte.
»Die Hälfte davon, ja«, sagte er gelassen. »Sie ist zerschmettert worden. Als der Arzt sie herausgepult hat, hat er mir die Teile gegeben. Als ich sie danach zusammengesetzt habe, haben sie nur für eine halbe Kugel gereicht, also musste der Rest drinnen geblieben sein.«
»Zerschmettert? Ein Wunder, dass Euch die Splitter nicht ins Herz oder die Lunge gedrungen sind«, sagte ich und hockte mich hin, um mir die Wunde noch genauer zu betrachten.
»Oh, das sind sie«, unterrichtete er mich. »Zumindest nehme ich das an, denn wie Ihr seht, ist mir die Kugel in die Brust gedrungen – aber jetzt lugt sie in meinem Rücken hervor.«
Zu meinem Erstaunen und dem des Publikums hatte er Recht. Ich konnte nicht nur einen kleinen Knoten just unter der Kante seines linken Schulterblattes fühlen, sondern ihn tatsächlich auch sehen; eine dunkle Schwellung auf der weißen Haut.
»Da hol mich doch der Teufel«, sagte ich, und er grunzte belustigt auf, ob über meine Überraschung oder meine Ausdrucksweise, konnte ich nicht sagen.
Der Schrapnellsplitter war zwar eine Kuriosität, doch er stellte kein chirurgisches Problem dar. Ich tauchte einen Lappen in meine Schale mit destilliertem Alkohol, wischte sorgfältig über die Stelle, sterilisierte ein Skalpell und schnitt rasch in die Haut. Hayes saß dabei vollkommen still; er war Soldat und Schotte, und wie die Narben auf seiner Brust bezeugten, hatte er schon viel Schlimmeres ertragen.
Ich nahm zwei Finger und presste sie gegen die beiden Enden des Einschnittes; die Kanten des kleinen Schlitzes wölbten sich vor, dann kam plötzlich ein dunkles, gezacktes Metallstück zum Vorschein wie eine Zunge – weit genug, dass ich es mit der Zange erfassen und herausziehen konnte. Mit einem kleinen Ausruf des Triumphes ließ ich Hayes den verfärbten Klumpen in die Hand fallen und presste ihm dann ein Alkohol getränktes Läppchen auf den Rücken.
Er stieß mit geschürzten Lippen einen heftigen Atemzug aus und sah sich dann lächelnd zu mir um.
»Ich danke Euch, Mrs. Fraser. Dieses kleine Ding begleitet mich jetzt schon eine ganze Weile, aber ich kann nicht behaupten, dass es mich schmerzt, mich davon zu trennen.« Er hob seine blutverschmierte Handfläche und betrachtete das Metallfragment darauf mit großem Interesse.
»Wie lange ist es denn her, dass es passiert ist?«, fragte ich neugierig. Ich glaubte nicht, dass das Schrapnellstückchen tatsächlich seinen Körper durchdrungen hatte, obwohl man diesen Eindruck bekommen konnte. Ich hielt es für wahrscheinlicher, dass es in der Nähe der ursprünglichen Wunde an der Oberfläche verblieben und dann langsam um seinen Oberkörper gewandert war, durch Hayes’ Bewegungen zwischen Haut und Muskel weiter getragen, bis es seine endgültige Position erreichte.
»Oh, über zwanzig Jahre, Mistress«, sagte er. Er berührte den verhärteten, weißen Fleck, der einmal eine seiner empfindlichsten Körperstellen gewesen war. »Das ist in Culloden geschehen.«
Sein Tonfall war beiläufig, doch ich spürte, wie mir beim Klang dieses Wortes eine Gänsehaut über die Arme lief. Über zwanzig Jahre … wohl eher fünfundzwanzig. Und damals …
»Da könnt Ihr ja kaum älter als zwölf gewesen sein!«, sagte ich.
»Nein«, erwiderte er und zog eine Augenbraue hoch. »Elf. Aber am Tag danach hatte ich Geburtstag.«
Ich schluckte herunter, was auch immer meine Antwort gewesen wäre. Ich hatte gedacht, inzwischen könnten mich die Geschehnisse der Vergangenheit nicht mehr schockieren, doch offensichtlich stimmte das nicht. Jemand hatte aus nächster Nähe auf ihn geschossen – auf einen elfjährigen Jungen. Das konnte kein Versehen gewesen sein, kein verirrter Schuss in der Hitze des Gefechtes. Der Mann, der auf ihn geschossen hatte, hatte gewusst, dass er im Begriff war, ein Kind zu töten – und er hatte dennoch Feuer gegeben.
Meine Lippen waren fest zusammengepresst, als ich meinen Schnitt untersuchte. Nicht länger als drei Zentimeter und nicht tief; das Kugelfragment hatte sich direkt unter der Haut befunden. Gut, ich brauchte ihn nicht zu nähen. Ich drückte einen Lappen auf die Wunde und stellte mich dann vor ihn, um den Leinenstreifen zu verknoten, mit dem ich das Läppchen festband.
»Ein Wunder, dass Ihr überlebt habt«, sagte ich.
»So war es«, pflichtete er mir bei. »Ich lag am Boden, und Murchisons Gesicht war über mir, und ich –«
»Murchison!« Das Wort entfuhr mir als Ausruf, und ich sah, wie ein Ausdruck der Genugtuung über Hayes’ Gesicht flackerte. Mich überkam eine dunkle Vorahnung, denn ich erinnerte mich an das, was Jamie am Abend zuvor über Hayes gesagt hatte. Er denkt mehr, als er redet, der gute Archie – und er redet ziemlich viel. Nimm dich vor ihm in Acht, Sassenach. Nun, dazu war es jetzt ein wenig spät – doch ich bezweifelte, dass es wichtig war, selbst wenn es derselbe Murchison gewesen war…
»Der Name ist Euch bekannt, wie ich sehe«, stellte Hayes freundlich fest. »Ich habe in England davon gehört, dass ein Sergeant Murchison vom Sechsundzwanzigsten nach North Carolina versetzt worden war. Aber die Garnisonsgebäude in Cross Creek standen nicht mehr, als wir den Ort erreichten – ein Brand, nicht wahr?«