Ich warf Brianna, die neben mir saß, einen Blick zu. Sie hatte ihn gesehen; sie zog eine Augenbraue hoch und zuckte mit den Schultern. Ich verstaute das verknotete Ende meines Fadens zwischen den Materialschichten, so dass es nicht zu sehen war, steckte meine Nadel in die Oberseite des Quilts und erhob mich mit einer gemurmelten Entschuldigung.
»Gebt ihm Bier zum Abendessen«, riet Mrs. Chisholm gerade Mrs. Aberfeldy. »Reichlich und mit viel Wasser. Dann muss er jede halbe Stunde pissen und kommt gar nicht erst dazu, mit der Lärmerei anzufangen.«
»Oh, aye«, wandte Mrs. Aberfeldy ein. »Das habe ich schon versucht. Aber wenn er dann wieder ins Bett kommt, will er … mmpfm.« Sämtliche Damen fingen an zu kichern, und sie lief feuerrot an. »Da komme ich noch weniger zum Schlafen, als wenn er schnarcht!«
Jamie wartete im Flur. Sobald ich erschien, packte er mich am Arm und schob mich zur Haustür hinaus.
»Was –«, setzte ich verwirrt an. Dann sah ich den hochgewachsenen Indianer, der auf der Kante der Eingangstreppe saß.
»Was –«, sagte ich erneut, und dann stand er auf, wandte sich um und lächelte mich an.
»Ian!«, kreischte ich und warf mich in seine Arme.
Er war dünn und hart wie ein Stück sonnengegerbtes Leder, und seine Kleider rochen nach feuchtem Holz und Erde mit einem schwachen Echo der Rauch- und Körpergerüche eines Langhauses. Ich trat zurück und wischte mir über die Augen, um ihn mir anzusehen, und eine kalte Nase stieß gegen meine Hand, so dass ich erneut kurz aufschrie.
»Du!«, sagte ich zu Rollo. »Ich hatte gedacht, ich sehe dich nie wieder!« Von meinen Gefühlen überwältigt, rieb ich ihm wie verrückt die Ohren. Er bellte kurz auf und ließ sich mit ebenso verrücktem Schwanzgewedel auf die Vorderpfoten nieder.
»Hund! Hund-Hund! Hier, Hund!« Jemmy kam aus der Tür der Blockhütte gestürzt. Er rannte, so schnell ihn seine kurzen Beinchen trugen, sein nasses Haar stand ihm zu Berge, und er strahlte über das ganze Gesicht. Rollo schoss auf ihn zu, traf ihn mittschiffs und warf ihn unter großem Gejapse um.
Ich hatte zunächst befürchtet, dass Rollo – der schließlich zur Hälfte Wolf war – Jemmy als Beute betrachtete, doch es war von Anfang an offensichtlich, dass die beiden nur ausgelassen miteinander spielten. Briannas mütterlicher Sonar hatte das Quietschen jedoch aufgefangen, und sie kam zur Tür geeilt.
»Was –«, setzte sie an, während ihr Blick zu dem Chaos im Gras wanderte. Dann trat Ian vor, nahm sie in die Arme und küsste sie. Ihr Aufschrei rief wiederum das Quilterkränzchen auf den Plan, das sich mit einem Gewirr von Fragen, Kreischen und allgemeinen Ausrufen der Aufregung brodelnd auf die Veranda ergoss.
Inmitten des resultierenden Pandämoniums bemerkte ich plötzlich, dass Roger, der von irgendwo aufgetaucht war, eine frische, blutige Schramme auf der Stirn, ein Veilchen – und ein frisches Hemd trug. Ich sah Jamie an, der neben mir stand und die Vorgänge beobachtete, das Gesicht zu einem permanenten Grinsen verzogen. Sein Hemd dagegen war nicht nur schmutzig, sondern auch an der Vorderseite zerfetzt und hatte einen enormen Riss am einen Ärmel. Der Leinenstoff war außerdem über und über mit Schmutz und getrocknetem Blut verschmiert, wenn ich auch kein frisches Blut sah. Dazu noch Jemmys nasses Haar und sein sauberes Hemd – nicht, dass es jetzt noch sauber war –, und das Ganze war höchst verdächtig.
»Was in aller Welt habt ihr drei getrieben?«, wollte ich wissen.
Er schüttelte immer noch grinsend den Kopf.
»Das spielt jetzt keine Rolle, Sassenach. Obwohl ich ein frisches Schwein für dich habe, das du zerlegen kannst – wenn du Zeit hast.«
Ich strich mir entnervt eine Haarsträhne zurück.
»Ist das hier so Brauch, statt eines gemästeten Kalbs bei der Rückkehr des verlorenen Sohns?«, fragte ich und wies mit einer Kopfbewegung auf Ian, der jetzt vollständig in der Flut der Frauen untergetaucht war. Lizzie hatte sich, wie ich sah, an seinen Arm geklammert, und ihr bleiches Gesicht glühte geradezu vor Aufregung. Mir wurde ein wenig unwohl bei diesem Anblick, doch ich verdrängte das Gefühl erst einmal.
»Hat Ian Freunde mitgebracht? Oder – vielleicht seine Familie?« Er hatte gesagt, dass seine Frau in anderen Umständen war, und das war fast zwei Jahre her. Das Kind musste fast alt genug sein, um selbst zu laufen – wenn alles gut gegangen war.
Jamies Gesicht verfinsterte sich ein wenig.
»Nein«, sagte er. »Er ist allein. Bis auf den Hund natürlich«, fügte er mit einem Kopfnicken in Richtung des Hundes hinzu, der mit den Pfoten in der Luft auf dem Rücken lag und sich begeistert unter Jemmys Attacken wand.
»Oh. Aha.« Ich strich mir das Haar glatt und band es wieder zusammen, während ich mir zu überlegen begann, was in Bezug auf die Quilterinnen, das frische Schwein und so etwas wie ein Festessen zur Feier des Tages zu tun war – obwohl sich Mrs. Bug wohl um Letzteres kümmern würde.
»Hat er gesagt, wie lange er bleibt?«
Jamie holte tief Luft und legte mir eine Hand auf den Rücken.
»Für immer«, sagte er, und seine Stimme war von Freude erfüllt – wenn auch mit einem seltsamen Unterton der Traurigkeit, so dass ich ihn verwundert ansah. »Er ist heimgekommen.«
Es war wirklich sehr spät, als die Metzgerarbeiten, die Quiltdecke und das Essen vollendet waren und die Besucher endlich mit Gesprächsstoff beladen nach Hause gingen. So viel Gesprächsstoff allerdings auch wieder nicht; Ian war zu jedermann freundlich, aber zurückhaltend gewesen und hatte nur sehr wenig über seinen Heimweg aus dem Norden erzählt – und nicht das Geringste über seine Gründe dafür.
»Hat Ian dir irgendetwas erzählt?«, fragte ich Jamie, als ich ihn vor dem Abendessen ein paar Minuten allein in seinem Studierzimmer antraf. Er schüttelte den Kopf.
»Ganz wenig. Nur, dass er bleiben will.«
»Meinst du, seiner Frau ist etwas zugestoßen? Und dem Baby?« Ich empfand Bestürzung sowohl um Ians als auch um des schlanken, hübschen Mohawkmädchens willen, das Wakyo’teyehsnonhsa hieß – Die-mit-den-Händen-arbeitet. Ian hatte sie Emily genannt. Der Tod im Kindbett war nichts Ungewöhnliches, selbst bei den Indianern.
Jamie schüttelte nüchtern den Kopf.
»Ich weiß es nicht, aber ich denke, etwas in der Art muss es sein. Er hat sie mit keinem Wort erwähnt – und seine Augen sind sehr viel älter als der Junge selbst.«
Dann war Lizzie mit einer dringenden Nachricht von Mrs. Bug bezüglich des Abendessens an der Tür erschienen, und ich hatte gehen müssen. Doch während ich Lizzie zur Küche folgte, musste ich mich unwillkürlich fragen, was Ians Rückkehr wohl für sie bedeutete – vor allem, wenn wir mit unseren Vermutungen über Ians Mohawkfrau Recht hatten.
Bevor Ian uns verlassen hatte, war Lizzie halb in ihn verliebt gewesen, und sie hatte ihm nach seiner Entscheidung, bei den Kahnyen’kehaka zu bleiben, monatelang nachgetrauert. Doch das war über zwei Jahre her, und zwei Jahre können eine sehr lange Zeit sein, vor allem im Leben eines jungen Menschen.
Ich wusste, was Jamie mit dem meinte, was er über Ians Augen gesagt hatte, und auch mir war klar, dass er nicht mehr der impulsive, fröhliche Junge war, den wir bei den Mohawk zurückgelassen hatten. Lizzie war auch nicht mehr die schüchtern anbetende, kleine Maus, die sie gewesen war.
Allerdings war sie Manfred McGillivrays Verlobte. Ich konnte nur dankbar sein, dass weder Ute McGillivray noch eine ihrer Töchter am Quilterkränzchen des heutigen Nachmittags teilgenommen hatte. Mit etwas Glück würde der Glanz von Ians Rückkehr ja nicht von langer Dauer sein.